|
Leseprobe 6: DUNKLE TRÄUME
Joshua schreckte entsetzt aus dem Schlaf. Dies war kein normaler Traum gewesen! Er war ihm so wirklich erschienen, als ob
Kopfschüttelnd schaltete er das Licht ein und stand so hastig auf, dass sich sein Kreislauf wehrte. Für einen Moment sah er nur schwarze Punkte. Suchend griff Joshua nach dem Bettgestell und hielt sich daran fest, bis sich seine Sicht klärte. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er erst in einer Stunde aufstehen müsste, aber an Schlafen war nicht mehr zu denken. Das Gefühl von Blut auf seinem Pyjama konnte Joshua einfach nicht vertreiben. Er stolperte ins Wohnzimmer.
Julian?
Der Junge war fort. Nur ein Zettel lag auf dem Tisch. Danke, stand darauf. Mit einem Seufzen ließ er sich auf den Küchenstuhl fallen. Er musste Ina anrufen! Die junge Frau war ein Medium, noch stärker als er, und kannte sich mit spirituellen Dingen viel besser aus. Mit fahrigen Bewegungen suchte Joshua im Handy nach Inas Telefonnummer und rief sie an. Sie hatte ihm einst gesagt, sie wäre Tag und Nacht für ihn da.
Josh, was ist los?!
Woher weißt du
Niemand außer dir ruft um 6 Uhr früh an.
Ich
kann ich kurz zu dir kommen? Ich hab ein Problem.
Bring Brötchen mit.
Joshua sprang unter die Dusche, verzichtete auf eine Rasur und zog sich eilig an. Er wusste, ein Bäcker an der Hauptstraße würde geöffnet haben.
Nur wenig später stand er mit den Brötchen vor Inas Tür. Es war kalt und Joshua verharrte zitternd am Eingang des alten Hauses. Der Türöffner surrte und er schlüpfte in den Flur. Ina wohnte in der vierten Etage und Joshua kam atemlos bei ihr an. Die Tür war bereits offen und Kaffeeduft wehte ihm entgegen. Er trat in die gemütliche Wohnung, zog leise die Tür zu und ging in die Küche.
Hey
Lächelnd wandte sich Ina zu ihm um. Ihr hellbraunes Haar rahmte zerzaust ihr Gesicht ein und Joshua sah, dass sie ihre halblange Kurzhaarfrisur noch nicht richtig frisiert hatte.
Hey zurück. Setz dich, ich hab dir schon nen Kaffee hingestellt.
Danke. Joshua öffnete die Papiertüte und schüttete die Brötchen in den Weidenkorb, den Ina auf den Tisch gestellt hatte.
Die sind sogar noch warm, bemerkte er.
Ina setzte sich zu ihm, betrachtete ihn. Mann, Josh, du siehst furchtbar aus.
Joshua fuhr sich über seine unrasierte Wange. Ja, mein Chef wird begeistert sein, wenn ich nachher so dort auftauche.
Was ist los? Sie griff über den Tisch nach seiner Hand und er bemerkte, wie sie erschauerte. Es wird stärker, sagte Ina gedämpft.
Manchmal kann ich es kaum kontrollieren. Überall sind Geister, Ina.
Du kannst es nicht mehr ausblenden?
Nie für lange. Im Moment ist es heftig.
Hast du jemanden verloren, der dir nahe steht?
Ein Stich fuhr ihm in die Brust, als er an Lisbeth dachte.
Eine meiner Schützlinge hat sich umgebracht und ich war dabei, als sie verblutete, konnte sie nicht retten.
Lisbeth?
Joshua fragte nicht, woher sie es wusste. Seine Freundin war sich solcher Dinge einfach bewusst. Er nickte nur.
Josh, das ist schlimm. Das muss verarbeitet werden. Du bist geschwächt, das ist alles. Glaub mir, wenn das ein wenig geheilt ist, wirst du dich wieder konzentrieren können und
Sie stockte. Da ist noch was anderes, oder?
Ich helfe Erich.
Ina stöhnte auf. Du weißt, dass du das nicht gut verpacken kannst! Wieso lässt du dich schon wieder darauf ein? Normale Geister sind schon anstrengend. Du gibst dich mit Mordopfern ab!
Ich habe etwas Seltsames geträumt, Ina, und es fühlte sich überhaupt nicht wie ein Traum an.
Ina bestrich ein halbes Brötchen mit Marmelade und reichte es ihm. Iss erst einmal und dann erzähl.
Tut mir leid, dass ich dich mit so was belästige.
Schon gut.
Joshua nahm einen großen Schluck von dem heißen Kaffee und aß gedankenverloren. Dann richtete er sich ein wenig auf.
Ich hab geträumt, dass ich eine Frau erstochen hab.
Besorgt blickte Ina ihn an, sagte aber nichts.
Er senkte den Blick. Es war so wirklich. Da war so eine Wut, so ein Hass, aber auch eine furchtbare Angst in mir. Die Frau verhöhnte mich und ich stieß ihr einfach ein Messer in den Bauch.
Joshua verschwieg, dass die Waffe den Leib der Frau aufgeschlitzt hatte. Dass ihr in dem Traum die Eingeweide entrissen worden waren.
Nervös kaute er auf seiner Unterlippe.
Hast du im wachen Zustand ähnliche Gefühle?
Nein! Nicht mal annähernd!
War vielleicht jemand bei dir?
Als ich aufwachte, habe ich nichts gespürt. Meine Wohnung war doch auch immer sicher vor ungebetenen Geistern!
Du bist zurzeit sehr angespannt. Das sieht man dir an. Vielleicht
Letztens bei dem Mord konnte ich das erste Mal überhaupt nichts erkennen. Alle Erinnerungen der Frau waren klar und deutlich, das Gesicht des Mörders hingegen war total verhüllt.
Ina runzelte die Stirn. Das hört sich an, als ob dein eigenes Unterbewusstsein dir was verschweigen will. Oder war der Mörder maskiert?
Joshua schüttelte den Kopf. Nein, es war wie ein grauer Nebel und ich konnte das Gesicht nicht sehen. Mein Unterbewusstsein? Wie meinst du das denn?
Nehmen wir mal an, du kennst den Mörder, magst ihn vielleicht sogar. Oder du selbst wärst es. Dann kann es passieren, dass dein Unterbewusstsein das nicht wahrhaben will und so das Gesicht vor dir verbirgt, um dich zu schützen.
Aber wieso träume ich so einen Mist? Das habe ich doch noch nie gehabt!
Vielleicht gibt es eine Verbindung zwischen dir und den Morden. Oder dich nimmt das alles extrem mit.
Eine Verbindung?
Wie gesagt, vielleicht kennst du den Mörder?
Mann, ich kenn doch keine Psychopathen!
Joshua, du bist Streetworker und arbeitest mit drogenabhängigen Straßenkindern. Das sind gequälte Seelen, die zu allem fähig sein können, wenn man sie genug reizt. Eine Seele erträgt nicht alles.
Julians Bild schoss in Joshuas Gedanken, doch er verdrängte es vehement.
Meine Kids sind nicht so.
Ich weiß, dass du sie alle liebst. Aber du kennst ihre Akten und somit ihre Vergangenheit.
Verzweiflung keimte in ihm auf, nahm ihm die Luft zum Atmen, und Joshua fuhr sich durch das wirre Haar. Als er spürte, wie Tränen in ihm aufstiegen, entschuldigte er sich und eilte in Inas Bad. Er ließ kaltes Wasser laufen und wusch sein Gesicht, um jegliche Gefühle zu ersticken.
Ina klopfte an die Tür und Joshua öffnete sie.
Ist alles in Ordnung?
Ja, ich muss nur nachdenken.
Vielleicht rufst du Erich an und sprichst mal mit ihm. Er nimmt dich ernst.
Mach ich. Du, ich muss zur Arbeit. Vielen Dank, Ina. Joshua beugte sich zu ihrer zarten Gestalt hinunter und umarmte sie kurz.
Keine Ursache.
Er flüchtete fast aus der Wohnung und verharrte dann einige Zeit in der Kälte. Es war halb acht. Er musste noch nicht ins Büro. Ina hatte recht, er musste mit Erich sprechen. Mit einem Frösteln setzte er sich in das kalte Auto und rief Kommissar Salberg an.
Erich meldete sich rasch. Was ist los, Joshua?
Ich
gibt es was Neues wegen der Morde?
Nein, eigentlich nicht.
Ähm, also heute Nacht
da habe ich etwas geträumt. Joshua zögerte kurz. Gibt es oben an der Kurt-Schumacher-Straße eine Baustelle mit Container?
Ich glaub schon. Die machen da gerade neue Abflussrohre. Da steht bestimmt ein Container für Schutt. Warum?
Kannst
kannst du da mal nachgucken gehen? Ich mein, vielleicht spinn ich ja auch, oder es war nur ein Albtraum, aber
es fühlte sich anders an.
Was vermutest du dort, Josh. Eine Leiche?
Ja.
In Ordnung, ich schicke mal eine Streife hin. Die sollen einen Blick drauf werfen. Joshua, gehts dir gut?
Nicht so wirklich. Wenn ihr was findet, sag mir Bescheid, ja? Aber
ich will nicht hinkommen.
Ist gut. Ich ruf dich nachher an.
Eine Frage geisterte durch Joshuas Gedanken. Wann war Julian gegangen?
Weitere Leseproben
[Zurück zum Buch]
|
|