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Leseprobe 3
Als Brandon sie am nächsten Morgen weckte, war es noch dunkler als tags zuvor. Offenbar hatte er sein Versprechen, dass sie heute einen Tag ausspannen wollten, schon wieder vergessen, was sie ihm schläfrig und noch etwas morgenmuffelig verständlich machte.
Das habe ich absolut nicht, meine empfindsame, englische Rose. Es wird ein sehr ruhiger Tag werden. Aber das bedeutet nicht, dass du ihn im Bett verschlafen darfst, immerhin sollst du ja so viele besonderen Eindrücke mit nach Hause nehmen, wie du nur kannst.
Er grinste übers ganze Gesicht und fing an, ihre Wangen und ihre Stirn mit Küssen zu bedecken, bis Celia schließlich nachgab und sich aus den Federn stemmte.
Also gut, du hast gewonnen, stöhnte sie, gab ihm aber kurz darauf einen innigen Kuss und umarmte ihn fest. Ich muss nur unter eine eiskalte Dusche, um halbwegs wach zu werden.
Du wirst es nicht bereuen. Ich habe eine ganz besondere Überraschung für dich, raunte er ihr zu und küsste zärtlich ihr Ohrläppchen. Der Picknick-Korb ist schon gepackt, aber du musst dich beeilen, denn wir müssen zeitig aufbrechen.
Fragend warf Celia einen Blick nach draußen. Es ist noch stockdunkel.
Ich weiß. Sein Grinsen hatte etwas Verschwörerisches an sich. Es muss auch dunkel sein. Wenn wir im Hellen aufbrechen, kann ich es dir nicht mehr zeigen.
Immer noch mit leiser Skepsis ging Celia ins Badezimmer, um sich zu duschen, wobei sie entgegen ihrer Ankündigung auf den kalten Wasserguss verzichtete. In Jeans und T-Shirt, mit Wanderschuhen und einer leichten Jacke gegen die morgendliche Kühle gerüstet, brach sie mit Brandon lange vor der Dämmerung auf. Allmählich gewöhnte sie sich daran, nicht immer zu wissen, wo der Weg sie hinführte. Bereut hatte sie es bisher noch nie.
Nachdem sie Killarney verlassen hatten, fuhren sie ein kurzes Stück auf der Landstraße entlang, dann bog Brandon in Feldwege ab und ihnen kam kaum noch ein Auto entgegen. Die Landschaft bestand aus nichts als dunklen Schatten und Schemen. Die einzige Orientierung war, dass es immer nur bergauf ging.
Wo sind wir hier?, fragte sie stirnrunzelnd und versuchte, irgendetwas zu erkennen, das ihr einen Anhaltspunkt gab.
Wir sind fast da, versicherte Brandon und warf ihr einen amüsierten Seitenblick zu. Es nennt sich Aghadoe. Ein Aussichtspunkt oberhalb von Killarney. Vertrau mir, du wirst es lieben.
Celia hob nachdenklich die Brauen. Einen Aussichtspunkt besuchte man normalerweise wegen der schönen Aussicht. Von der dürfte um diese Uhrzeit jedoch nicht viel zu sehen sein. Aber Brandon ließ sich weder beirren, noch gab er weitere Informationen preis.
Nach gut einer halben Stunde parkte er seinen Wagen und griff nach dem Picknickkorb. Das letzte Stück mussten sie zu Fuß gehen.
Jetzt konnte Celia auch wieder ein wenig von der Landschaft erkennen, die gerade im Dämmerlicht eine mystische Atmosphäre besaß. Es hätte sie wirklich nicht gewundert, wenn irgendwo kleine Lichtelfen auf den Felsen getanzt hätten oder eine Horde Kobolde über die Wiesen gerannt wäre. Urplötzlich tauchten im Hintergrund die Umrisse einer Ruine auf. Ein leiser Schauder rann Celia über den Rücken. Irische Geistergeschichten kamen ihr in den Sinn.
Brandon bemerkte ihr Stocken und drückte zärtlich ihre Hand. Alles gut. Ich bin doch bei dir. Er legte seinen Arm um ihre Taille und zog sie an sich. Sofort fühlte sich Celia wieder sicherer.
Das ist Parkavonear Castle. Die Burg stammt aus dem dreizehnten Jahrhundert. Heute ist nur noch diese Ruine übrig, die stark an einen Broch erinnert. Du kennst doch diese großen runden Türme. Es ist jetzt nicht mehr weit.
Die letzten Meter waren anstrengend, denn die Steigung nahm stetig zu. Ihr Puls raste so schnell, dass ein unangenehmer Druck in ihrem Kopf entstand. Celia befürchtete schon, wieder einen Anfall zu erleiden, doch da blieb Brandon endlich stehen, holte eine Decke aus dem Korb und breitete sie auf dem Gras zu ihren Füßen aus.
Einladend wies er mit der Hand darauf. Mylady, bitte nehmen Sie Platz und genießen Sie den Moment.
Der Fußweg hatte Celia einiges abverlangt. Normalerweise wartete sie nach der Medikamenteneinnahme immer, bis der Schwindel nachließ, aber da Brandon ja nichts davon mitbekommen durfte, hatte sie sie wieder heimlich direkt vor ihrem Aufbruch im Badezimmer einnehmen müssen und litt jetzt unter den vorübergehenden Nebenwirkungen. Kalter Schweiß und zitternde Knie waren da noch das Harmloseste. Ihr nüchterner Magen rebellierte gegen die bittere Chemie. Auch ihr beschleunigter Puls hatte nicht nur mit der Anstrengung zu tun, das wusste sie. Zum Glück wurde es rasch besser, nachdem sie es sich auf der Decke bequem gemacht hatte.
Von Aussicht kann hier aber nicht die Rede sein, wandte sie ein, während sie versuchte, die Details der Landschaft, die sich vor ihr ausbreitete, im Dämmerlicht zu erkennen. Vergebens.
Warte es nur ab, versprach Brandon und schenkte ihr einen Becher heißen Tee ein. Der wirkte immerhin beruhigend auf ihre gereizten Magenwände.
Fast eine halbe Stunde saßen sie still da, tranken Tee und kuschelten sich aneinander. Allmählich war es Celia sogar egal, dass sie kaum etwas erkennen konnte. Die Nähe zu Brandon, die Geräusche und Düfte der Natur um sie herum, das alles war schon Grund genug, den beschwerlichen Weg auf sich genommen zu haben. Doch genau in dem Moment, in dem sie sich an Brandons Brust lehnte, mit sich und der Welt zufrieden, erleichtert darüber, dass der befürchtete Anfall ausblieb, brach die Morgendämmerung an.
Es war ein Moment uralter Magie.
Celia konnte kaum fassen, was sie sah, als die Sonne langsam über den Bergkamm kroch und ihre Strahlen in die noch nebelverhangenen Täler sandte. Hatte sie jemals etwas Schöneres gesehen? Atemlos drängte sie ihren Rücken noch enger an Brandons Brust, der seine Arme fest um sie schlang. Ein wundersamer Moment der Stille, den sie miteinander teilten und der sie einander so nah brachte, wie sie es vielleicht nie wieder erleben würden.
Schwach zeichneten sich die Umrisse der Ruine unter ihnen ab. Wenig später erahnte Celia die weitläufige Seenlandschaft des Ring of Kerry, die sich zusehends aus den dichten Schwaden schälte, während die Sonne Stück für Stück das ganze Tal erfüllte und in ein rotgoldenes Licht tauchte.
Gott das ist
unbeschreiblich, entfuhr es ihr.
Ich habe doch gesagt, es ist etwas Besonderes.
Celia glaubte, in ein irisches Avalon, eine Feenwelt aus alten Mythen und Legenden einzutauchen. Sie rechnete fast damit, dass jeden Moment ein paar Kobolde von der Burgruine aus zu ihrem Tagewerk aufgebrechen würden.
Wenn Brandon sie nicht daran erinnert hätte, wäre es ihr gar nicht in den Sinn gekommen, Fotos zu machen. Kurz kamen sogar Zweifel in ihr auf, ob es überhaupt möglich war, diese magische Welt festzuhalten. Vermutlich würde sie sich auf unerklärliche Weise der digitalen Bildverarbeitung entziehen.
Sie schaltete ihre Kamera auf Panorama und experimentierte mit einigen Sonderprogrammen, doch schließlich legte sie sie doch wieder beiseite, um dieses einmalige Schauspiel direkt zu erleben, statt nur durch ihre Linse zu blicken.
Dieser Moment gehörte ihr.
Celia spürte, wie Brandon seine Lippen federleicht über ihre Schläfe gleiten ließ, an ihrem Wangenknochen hinab. Obwohl sie die Augen schloss, war ihr Herz noch immer voll von der majestätischen Aussicht. Es war ein Gefühl, als schwebe sie über sich und blicke von oben hinab. Sie sah und fühlte, wie sich ihre Lippen zum Kuss fanden, wie ihre Fingerspitzen suchend und forschend über Brandons Brust glitten und Stück für Stück die lästige Kleidung beiseiteschoben.
Als die Sonne höher stieg und die Erde ebenso wie ihre nackte Haut wärmte, lagen Brandon und sie im weichen Gras, verloren in ihrer eigenen Welt. Unter Brandons zärtlichen Liebkosungen breitete sich eine grenzenlose Entspannung in Celia aus. Der Schmerz und selbst die Erinnerung daran rückte in weite Ferne. Es gab nur sie beide in dieser verzauberten Feenwelt und jenes unbeschwerte flüchtige Glück, das ihnen geschenkt wurde.
Erst als sie wieder züchtig bekleidet auf der Decke lagen und von den mitgebrachten Leckereien naschten, wurde Celia so richtig bewusst, dass sie jederzeit von anderen Wanderern hätten überrascht werden können. Ihr schoss die Schamesröte in die Wangen, aber von Reue keine Spur. Sie hätte es wieder getan. Dennoch wurde ihr die Kehle eng, während sie versuchte, die Ruhe hier oben auszukosten. Nur der Wind trug ihnen entfernte Stimmen zu. Glück und Leid lagen gerade so nah beieinander. Sie hätte Brandon so gerne alles erzählt, sich ihm anvertraut, die Last mit ihm geteilt, die auf ihrer Seele lag, auch wenn es ihr auf dieser Reise schon so oft gelungen war, diese für eine Weile zu verdrängen. Aber auch jetzt wagte sie es nicht. Es würde alles zerstören. Würde einen Schatten auf sie werfen, der nie wieder weichen konnte. Und die Zeit, die ihr mit ihm noch blieb, sollte ohne Schatten sein.
Ich darf es nicht zu sehr auskosten. Ich darf mir nicht mehr nehmen als mir zusteht. Ich darf diesen Kelch nicht bis zur Neige leeren.
Tränen brannten hinter ihren Lidern, doch sie blinzelte sie fort. So sehr sie sich auch wünschte, dass diese Zeit niemals endete, sie wusste, das Ende rückte unaufhaltsam näher. Wie auch immer es geschehen würde, es würde geschehen. Ganz egal, was sie tat.
Musst du eigentlich nicht langsam nach Hause?, fragte Celia und rieb ihre Wange an seiner Schulter. Sie hoffte, dass er ihrer Stimme nicht anhörte, was in ihrem Inneren vorging. Sie hatte Angst vor seiner Antwort. Nicht nur wegen ihrer eigenen Gedanken, sondern auch, weil sie wusste, dass er eigentlich längst den Betrieb seines Vaters hätte übernehmen sollen, statt mit ihr durch Irlands grüne Weiten zu ziehen.
Mhm!, seufzte er versonnen. Ich war ja fast schon zuhause, als mich eine wunderschöne, liebreizende, zauberhafte, kleine Engländerin auf Abwege geführt hat.
Er küsste sanft ihre Stirn.
Ihr schlechtes Gewissen nahm zu. Schüchtern hob sie den Blick und sah ihm in die Augen. Ich bin so unendlich glücklich mit dir, wie noch nie in meinem Leben. Und am liebsten würde ich immer so weitermachen. Aber du hast Verpflichtungen. Es
es wäre in Ordnung für mich, wenn du nach Hause musst. Sie warten doch sicher auf dich. Ich kann
meine Reise auch allein zu Ende bringen. Es sind ja gar nicht mehr so viele Stationen.
Fragend hob er eine Augenbraue. Du willst mich doch wohl nicht loswerden, oder?
Sie lachte freudlos, es mischten sich Tränen darunter, die sie um jeden Preis vor ihm verbergen wollte. Die wunderschöne Landschaft, die sich jetzt im strahlenden Sonnenschein präsentierte, brachte ihr Vorhaben beinahe ins Wanken und machte es ihr noch schwerer, an ihrem Entschluss festzuhalten. Aber je länger sie zusammen blieben, umso schwerer würde am Ende die Trennung fallen.
Und die würde unweigerlich kommen. Für immer.
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