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Leseprobe 2
Meine erste Nacht ohne Phil verläuft fiebrig-feucht. Was Herr Dr. Suleyman als banale spastische Bronchitis abgetan hat, erweist sich als Cholerapestmalariaschweinegrippe mit schwerer Dioxinvergiftung. Jedenfalls fühlt es sich für mich so an und ich bin wirklich kein Sensibelchen. Nun aber leide ich. Der H5N1-Hühnergrippevogelpest-Beschissenfühlvirus fällt im Laufe des Abends mit aller Macht über mich her und hat mich auch am Morgen noch fest im Griff. Vor dem Frühstück verleihen meine Kinder mir den Titel Sterbender Schwan, ehe sie sich mit Kakao und Käsebrötchen bewirten lassen und in die Schule verschwinden. Ungeachtet der Tatsache, dass es das letzte Mal sein könnte, dass wir einander in die Arme schließen, verläuft der Abschied routiniert und ohne größere Umstände.
Als der Tisch wieder abgeräumt ist, schleppe ich mich zum geschätzt zehnten Mal innerhalb der letzten fünf Stunden ins Bad, denn das allerschlimmste am Kranksein ist nicht etwa der zähflüssige, nach Verwesung schmeckende Schleim, der Hals und Nase verklebt, das Hämmern in den Schläfen, das einen doppelten Schädelbasisbruch vermuten ließe, wenn ich es nicht besser wüsste, oder aber der Schüttelfrost, der nicht übler ausfallen könnte, fläzte ich mich nackt in einen Eiskübel auf der Zugspitze, nein: Das Schlimmste ist der Gestank. Ich bekomme ihn einfach nicht weg. Selbst, nachdem ich eine Handvoll Wildrosencremeseife allein in meinem Gesicht verschmiert und mit literweise Wasser wieder abgespült habe, kann ich das Elend noch riechen. So kapituliere ich einmal mehr vor dem stinkenden Schweiß, krieche auf allen vieren zum Kleiderschrank und schlüpfe in einen frischen Schlafanzug.
Als ich mein Federbett unter Aufbringung der letzten Kraftreserven ins Erdgeschoss gewuchtet und mich sowohl darin als auch in sämtlichen Kuscheldecken, die ich im Wohnzimmer finden konnte, eingewickelt habe, riecht der neue Schlafanzug schon wieder nach Elend, Tod und Verderben. Selbst das Sofakissen, in das ich erschöpft eintauche, nimmt schnell eine süßliche Note von Verwesung an. Aber ich fühle mich zu kraftlos, um neue Bezüge herbeizuschaffen.
Darum greife ich träge nach der Fernbedienung, schalte den Fernseher ein und sehe mich prompt mit einem Werbespot konfrontiert, in dem ein Kräuterbonbonhersteller für eine brandneue Sorte komprimierten Zuckers wirbt: RICK Hustensirup gegen Reizhusten mit Honig.
Aha, denke ich. Mehr nicht. Auch mein Gehirn leidet schwer unter meiner vielleicht tödlichen, bakteriellen Virusinfektion mit bronchitischer Spastik.
Ich huste herzhaft, schalte um und robbe in mein Federbett gewickelt zur Tür, wie eine übergewichtige, halb verpuppte Raupe, denn es hat geklingelt.
Ach du liebes bisschen!, entfährt es Sabine, als sie zu mir hinabblickt. So schlimm? Sie deutet entschuldigend auf den gelben Zettel, der noch immer gut sichtbar an meiner Tür klebt. Ich dachte, das wäre ein Scherz. Gut, dass ich mir nicht sicher war und nachgesehen habe.
Sie beugt sich mitleidig zu mir herunter und hilft mir auf die Füße, wo ich aber nicht lange bleibe, weil ich prompt über den Bettbezug stolpere, der sich hinterlistig um meinen linken Fuß gewickelt hat. Der Länge nach schlage ich hin.
Oje. Sabine verfrachtet mich mit unerwarteter Kraft zurück aufs Sofa. Ich unterstütze sie nur geringfügig und gebe dabei seltsame, mitleiderregende Geräusche von mir. Dich hats aber ganz schön erwischt, was?, stellt sie fest.
Sie tätschelt mir den Hinterkopf, was sich anfühlt, als ob sie meinen Schädel mit einem Vorschlaghammer malträtiere, und drückt mir die Fernbedienung in die Hand, ehe sie in die Küche rauscht, um Tee aufzusetzen.
Wo ist denn der Phil?, klingt es zwischen reichlich Geklapper und Geschepper zu mir hindurch. Meine Ohren drehen sich spontan nach innen und verstopfen meine Gehörgänge, sodass ich Sabine nur noch gedämpft verstehen kann.
Ausgesetzt, erkläre ich knapp.
Gut so, lässt Sabine erleichtert verlauten. Aber weißt du: Ich hab wirklich gedacht, das mit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinung ist nur so ein Trick von dir, um dir ons Helga von der Backe zu halten. Warum hast du nicht angerufen und gesagt, dass du krank bist? Ich hätte schon viel früher kommen können. Sind die Jungs schon in der Schule?
Ich nicke schwach und drücke eine Taste auf der Fernbedienung.
Das einundzwanzigjährige Mordopfer war drogensüchtig, berichtet eine düstere Stimme aus dem Off, während ein Polizeifoto von einem blassen Jugendlichen eingeblendet wird, der mit einer eigenwilligen Art von müdem Trotz in die Linse schaut. Aber das war nicht immer so ...
Na, Gott sei Dank, murmle ich schlotternd in mich hinein.
Sabine kommt zurück und reicht mir ein Wasserglas, in dem sich irgendeine große, weiße Brausetablette sprudelnd auflöst.
Ich sag doch, du hättest früher Bescheid sagen können, meint sie tadelnd. Selbst im Vorwurf klingt ihre Stimme noch mütterlich sanft. Einmal mehr stelle ich fest, dass sie, wenn ich ganz ehrlich zu mir bin, das Beste ist, was meinem cholerischen Bruder Jan überhaupt passieren konnte. Sabine ist einfach toll. Sie ist immer nett und ruhig und hilfsbereit. Und wenn es dem Ziel dienlich ist, zerschlägt sie Jan lächelnd einen Teller auf dem Kopf. Er braucht das manchmal.
Das meine ich nicht. Ich exe mein Glas Irgendwas. Ich meine: Stell dir mal vor, das wäre immer so gewesen. Der Vater im Kreißsaal, total aufgeregt: Und, was ist es? Ein Junge oder ein Mädchen? Darauf die Hebamme bestürzt: ein Junkie. Das wäre ja auch heftig, oder? Aber so war es wohl doch nicht.
Über Sabines Nasenwurzel bildet sich eine tiefe Kummerfalte. Sie fühlt meine Stirn mit ihrem Handrücken.
Du hast wirklich Fieber, stellt sie fest, als hätten mein Anblick und der Duft von Rindskadaver, der mich umweht, auch nur den geringsten Zweifel daran gelassen.
Weißt du. Sie seufzt, während ich weiterzappe und sie den Tee aus der Küche holt. Ehrlich gesagt habe ich gar nicht wegen des gelben Scheins geklingelt. Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du Lust hast, mit mir nach Unterwäsche zu gucken.
Unterwäsche, wiederhole ich unter Schmerzen im Hals, im Kopf und in der Seele sowieso.
Der Fernseher empfiehlt mir erneut RICK Hustensirup gegen Reizhusten mit Honig. Das Zeug muss der Brüller sein.
Kannst du mir mein Handy vom Schreibtisch holen? Danke, krächze ich.
Sabine machts und vertieft dabei das Wäschethema: Nicht unbedingt heute. Ich meine für die Hochzeit, erklärt sie. Mit der Helga wollte ich das nicht auch noch machen. Außerdem wäre es nett, wenn du dich so ein bis zwei Tage vor der Trauung um den Kuchen kümmern würdest. Du backst ja so toll und wir brauchen dann wohl doch eine größere Menge.
Ich rufe die Telefonauskunft an und lasse mich mit der Verbraucherhotline der Firma RICK verbinden.
Entschuldigen Sie bitte, ich hätte da mal ne Frage, huste ich in den Hörer, als sich eine freundliche Kundenberaterin meldet. Diesen Reizhusten mit Honig, für den Sie da immer werben wo kriege ich den her? Könnte ich den gegen meinen eintauschen? Meiner ist ekelhaft.
Wie bitte?, meint die Kundenberaterin verständnislos. Verständnislos ist auch Sabines Blick, der nun ganz und gar nicht mehr mütterlich an mir haftet. Ich blende das aus.
Ich habe beim Tropeninstitut angerufen, erkläre ich der Kundenberaterin. Weil man mir beim Gesundheitsamt gesagt hat, dass Reizhusten mit Honig was Exotisches sein muss. Die konnten mir allerdings auch nicht helfen. Woher also kriege ich so was?
Sabine nimmt mir das Handy ab und unterbricht das Gespräch.
So geht das nicht, sagt sie streng. Ich weiß, es ist ein blöder Zeitpunkt, weil du krank bist. Aber du kannst unsere Hochzeit nicht einfach ausblenden, weil sie dir nicht in den Kram passt.
Mach ich doch gar nicht, behaupte ich und muss mich um den verschnupften Tonfall nicht einmal bemühen.
Das kann nicht dein Ernst sein, Sandy!, kreischt eine dicke Mutter ihre nicht schlankere fünfzehnjährige Tochter an, die ihr verlegen ihr heimlich geborenes Baby präsentiert.
Vielleicht ist es ihr Klaus, kommentiere ich müde. Oder ihr Jeremy-Pascal.
Sabine verzichtet darauf, mir die Fernbedienung abzunehmen, sondern drückt gleich den für mich unerreichbaren roten Knopf unten links an der Glotze.
Ob es dir passt oder nicht, sagt sie noch immer ruhig, aber mit in die Hüften gestemmten Fäusten. Dein Bruder und ich werden heiraten. Und zwar nicht nur fürs Finanzamt. Und weißt du, was ich jetzt mache?
Ich schüttle schwach den Kopf. Sabine überfordert mich. Massiv.
Ich gehe jetzt nach Hause, beschließt Sabine. Ich komme erst zurück, wenn du zumindest mir nachträglich zur Verlobung gratuliert hast. Das schaffst du, selbst wenn du ein bisschen erkältet bist.
Ich versuche mit den Schultern zu zucken, aber es sieht wohl bloß wie eine unbewusste Muskelkontraktion aus.
Und die Fernbedienung nehme ich mit, entscheidet Sabine, machts und rauscht zur Tür hinaus, noch ehe ich auf die Füße springen und ihr ein empörtes Hey! nachrufen kann.
Sekundenlang starre ich ungläubig auf die Haustür, die Sabine hinter sich zugeschlagen hat. Habe ich sie gerade noch insgeheim für ihre konsequent-ruhige Art gelobt?
Blöde Kuh!
Resignierend lasse ich mich zurück in die Kissen sinken und greife nach meinem Handy.
Einen schönen guten ... hatschi! Ich niese gegen den Hörer. Könnten Sie mich bitte mit der RICK Kundenberatung verbinden?
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