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Leseprobe 3 - Auszug aus Kapitel 10
Später begann es zu schneien, kleine, leichte Schneekristalle, tiefschwarz. Flocke flog zu Kirja, die sich die Kapuze tiefer ins Gesicht zog. Wolken legten Schatten über die Ebene, bald würde der Schnee dichter werden. Kirja beschleunigte ihre Schritte. Noch nie war sie so schutzlos auf freier Fläche gewesen. Selbst als sie die erste Scherbe gefunden hatte, war die Ebene nur ein kleines Stück dessen gewesen, was jetzt vor ihr lag. Die Weite legte sich wie eine Last auf ihren Brustkorb und sie musste sich mehrmals schütteln, um wieder frei atmen zu können. Sie brauchten einen Unterschlupf für die Nacht, und wenn es nur ein Baum oder Busch war. Doch so sehr sie ihre Augen auch anstrengte, da war nichts, nur flaches, in ihren Blicken rissiges Schneeschwarz mit seinen Schattierungen, wo die Ebene abschüssig oder leicht ansteigend verlief. Es gab keinen Weg, nur sie selbst hinterließ kurzzeitig Spuren, bis sie von Schnee bedeckt wurden.
Die Mondkatze hielt sich vor ihr, mitunter verlor Kirja sie hinter einer Senke aus den Augen, doch das Tier wartete stets dahinter. Bei Anbruch der Dämmerung drängte sie Kirja zur Eile, indem sie in immer kürzeren Abständen zu ihr kam und gleich wieder fortlief.
»Was hast du denn?« Kirja hielt die Hände von sich gestreckt, um das Gleichgewicht auf dem mittlerweile vereisten Boden nicht zu verlieren. Immer wieder stieß sie Flüche aus, weil die Dunkelheit sich farblich mit dem Boden verband und es unmöglich machte, Unebenheiten oder eisglänzende Stellen zu erkennen. Lief die Mondkatze gerade dicht vor ihr, gelang es, aber das Tier war meistens zu weit entfernt. Bald stolperte Kirja ihr nur noch hinterher, blind von Schnee und Dunkelheit. Sie verlor das Gleichgewicht, fiel hin, rappelte sich auf, die Mondkatze dann neben ihr, mit fast ungeduldig auf den Boden schlagender Schwanzspitze.
»Ich komme ja, ich komme ja!« Kirja fühlte sich fast an die Tage erinnert, in denen Juna sie ermahnt und zur Eile angetrieben hatte, wenn sie packen mussten und Kirja in ein Spiel oder später in eine andere Tätigkeit vertieft gewesen war. Die Katze maunzte, und auch das klang beinahe wie Junas Seufzen.
Wenig später verstand sie, weshalb die Katze sie so angetrieben hatte. Schemenhaft kam eine alte Scheune in Sicht, es fehlten Bretter, und das Dach war teilweise unter der Last des Schnees eingedrückt, aber für eine Nacht würde es gehen. Schon verschwand das Leuchten der Mondkatze in der Scheune, und Kirja folgte ihr, überrascht, das Tier vor der Leiter stehen zu sehen, die auf den Heuboden führte. Ihre silbernen Augen leuchteten eindringlich, und so kletterte die junge Frau nach oben, wo sie sich in einer Ecke zusammenrollte, nachdem sie ein wenig getrunken und gegessen hatte. Sie klopfte eine Ecke der Decke glatt, damit die Mondkatze sich wie üblich dort niederlassen konnte, doch das Tier blieb stehen, den Blick fest auf sie gerichtet und huschte dann davon. Verwirrt verfolgte Kirjas Blick der Bewegung, Angst machte sich in ihr breit, dass auch sie nun gehen würde, aber einen Moment später tauchte das Tier über ihr auf einem Dachbalken auf. Eleganten Schrittes lief sie über das Holz bis zur Mitte, sodass sie genau auf Höhe des Fensters war. Erst dort rollte auch sie sich zusammen und ihr Schimmern wurde schwächer, sodass Kirja wusste, dass das Tier die Augen geschlossen haben musste.
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