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EISWOLF - Kapitel 1 – Ein Fall von Leben und Tod
Paavi, 1018 BF, 15. Ingerimm
Ein Windzug stob Tjulf entgegen und zerzauste seine schwarzgelockten Haare. Die Luft roch nach Schnee. Obwohl jetzt zu Beginn des Frühlings der Eismantel der Bucht in viele Schollen zerbrach, wirbelten immer noch Flocken umher. Sie legten sich wie ein feiner Schleier auf Tjulfs Kragen und vergingen innerhalb eines Atemzugs.
Der Diener gab ihm einen letzten Schubs, und Tjulf stolperte aus dem Hauseingang auf die schlammige Straße. Die Instrumente in seiner Tasche klirrten leise wie Glas.
Der Dienstbote schleuderte noch Tjulfs Mantel hinterher, und der fing den Pelz im letzten Moment auf, ehe dieser auf die schlammige Straße fiel. Hinter ihm streckte ein Mann den Kopf heraus: Rahjon, der Bernsteinhändler. Sein Gesicht über der üppig bestickten Kleidung leuchtete rot wie Walblut. »Pack dich, du Schlächter. Ich werde um Melaris willen dafür sorgen, dass du im Umkreis niemandem mehr mit deiner Quacksalberei schadest. Denk dran, ich habe gute Verbindungen zum Herzog. Und wenn mein Stammhalter nicht leben würde
«
Tjulf zog den Kopf ein und ließ die Schimpftirade über sich ergehen wie einen Wintersturm. Er legte sich den Pelzmantel um die Schultern und eilte Richtung Altpaavi, wo er seine Praxis unterhielt. Immer noch trug er den blutverschmierten Kittel und wäre ihn, wie eine unwillkommene Erinnerung, gerne losgeworden.
Das Leben war so zerbrechlich, und ein Heiler konnte das Unausweichliche oft genug nur aufhalten. Bei Melari, der letzten Patientin, hatte seine ärztliche Hilfe bloß noch für eine geglückte Entbindung sorgen können. Mit einer Massage im kalten Wasser hatte Tjulf den schwachen Lebensfunken des Neugeborenen zu einer stetigen Flamme entfacht. Die Mutter hingegen hatte er nicht retten können. Es war eine kräftezehrende Geburt gewesen für alle Beteiligten.
Er kroch tiefer unter seinem Pelzkragen zusammen. Rahjons Flüche verklangen leise.
Der Schmerz verlangte den Menschen viel ab. Tjulf wusste, wie sehr Trauernde nach einem Schuldigen suchten. Trotzdem empfand er die Vorwürfe wie Hagel auf nackter Haut. Er gab und nahm schließlich kein Leben, sondern konnte ihm auf seiner derischen Bahn nur den Weg weisen. Zudem war er Medikus und keine Hebamme! Die Geweihte vom Travia-Schrein, die sonst für Geburtshilfe zuständig war, hatte sich mit ihrer Gehilfin vor drei Tagen zu einer Robbenjägersiedlung aufgemacht. Das Schmelzwasser des hereinbrechenden Frühlings hatte ihr vermutlich den Rückweg abgeschnitten.
Zu allem Unglück hatte sich der alternde Feldscher Eikan Meeltheur gestern Nacht wieder einmal bis zur Besinnungslosigkeit betrunken. Tjulf bezweifelte, dass der Knochenrichter, der die Wunden der Walfänger und Goldsucher notdürftig zusammenflickte, bei einer Entbindung überhaupt eine Hilfe gewesen wäre. Es gab also niemanden sonst in Paavi, der helfen konnte, und allein aus diesem Grund war er zu der Schwangeren geeilt.
Die enge Verquickung von Leben und Tod bei einer Geburt nahm ihn immer am meisten mit. Seine eigene Mutter war im Kindbett gestorben. Er seufzte und rieb sich die Ohren mit der Handfläche. Wenigstens hatte er ein Leben gerettet.
Tjulf beschloss, noch einen Umweg zu machen und zur Erholung einmal längs des Wassergrabens um die Stadt zu laufen. Er hatte festgestellt, dass er neue Kräfte gewann und den Kopf freibekam, wenn er in Ruhe eine Stunde oder auch zwei über Land ging, Frösche aufscheuchte oder Vögel beobachtete. Zuhause erwartete ihn ohnehin nur ein verloschenes Feuer und vielleicht der alte Firuban, der ein Tonikum gegen seine Schmerzen im Beinstumpf wollte. Aber Meskinnes, den Firuban wie Wasser schluckte, würde dagegen genauso gut helfen.
Tjulf bog ab und wandte sich gen Goldgrund. Das Stadtviertel grenzte direkt an den Wassergraben, der die Stadt vor den Sumpfranzen schützte, die nach der Stadt auch Paaviane genannt wurden. Nun, wo sich der Tag dem Ende neigte, war es hier deutlich belebter. Walfänger, Bernsteinsammler und Händler fielen in die zahllosen Schenken ein, um den Lohn der Arbeit in wenige Stunden schnapsseligen Vergnügens zu investieren. Auch Liebesdiener beiderlei Geschlechts profitierten vom Goldrausch der letzten Jahre.
Vor der Wal-Schule, einer Kneipe mit etwas besserem Ruf, stieß Tjulf mit einer Frau zusammen, die aus der Schenke trat. Sie trug einen schweren Wollmantel in Grün mit gelbem Besatz in Schlangenform. Das Schlangenhalsband und das Abzeichen auf ihrer Brosche ließen keinen Zweifel an ihrem Stand: eine Hesinde-Geweihte.
»Verzeihung!«, stieß Tjulf eilfertig hervor. Sein Bedarf an Beschimpfungen war für einen Tag mehr als gedeckt. »Seid Ihr in Ordnung, Euer Gnaden?«
Die Frau nickte und tastete nach einem viereckigen Paket an ihrem Gürtel. »Schon gut. Ich war unachtsam«, sagte die Geweihte. Sie blinzelte Tjulf kurzsichtig an und setzte dann ihren Weg fort.
Tjulf hingegen verharrte. Rauch und Gelächter drangen aus dem Gasthaus und schlugen ihn in unsichtbare Fesseln.
Plötzlich sehnte er sich danach, dazuzugehören, teilzuhaben an der Fröhlichkeit der Kneipengänger, so aufgesetzt sie ihm auch vorkam. Tjulf schluckte. Vielleicht würde ein Trunk den schalen Geschmack vertreiben, der seit Melaris Tod in seinem Mund klebte.
Über ihm quietschte das Kneipenschild der Wal-Schule in der Brise, die vom Meer herüberschnob wie ein Walross. Auf der Holztafel mit dem doppeldeutigen Namen predigte ein Nandus-Geweihter einigen Walen, die dümmlich grinsend aus dem Wasser schielten. Tjulf konnte sich lebhaft vorstellen, dass diese Darstellung einer Hesinde-Geweihten nicht eben gefiel. Was sie wohl in der Spelunke verloren hatte?
Er schob sich durch die halb offene Türe und suchte sich einen ruhigen Platz in der hinteren Ecke. Sein blutiger Kittel zog einige Aufmerksamkeit auf sich, aber Blut war in einer Walfängerkneipe dann doch kein so seltener Anblick. Tranlampen erhellten den Raum mit den engen Fenstern und der niedrigen Decke.
Tjulf vertrug Alkohol nicht besonders gut und fand keinen Gefallen am Rausch. Aber er winkte dem Wirt, ihm einen Stamper Meskinnes zu bringen. Nach einem Tag wie diesem brauchte er etwas, das die Lebensgeister wieder weckte.
Die Kneipe war mit einem wüsten Sammelsurium ausrangierter Utensilien dekoriert. Abgebrochene Harpunen, stumpfe Flensmesser, ein Steuerrad, Schiffsglocken und dergleichen wiesen die Gaststätte als Anlaufpunkt von Walfängern und Seeleuten aus.
Über der Theke baumelte ein präpariertes Waljunges. Die vom Gastraum abgewandte Seite des Tiers barg ein Flaschenlager, das zwischen den Rippen untergebracht war.
Tjulf fand das besonders geschmacklos, aber damit stand er offenbar allein da. Es schien hier Brauch zu sein, vor jeder neuen Runde mit dem Wal »anzustoßen«, und am Tresen dienten Fässer als Sitzgelegenheiten, die bis auf den letzten Platz besetzt waren.
Unter den Frauen und Männern dort fiel eine Gestalt besonders auf: ein Zwerg, der von den anderen ausgehalten wurde, während er von jeder vorrätigen Flasche einen Becher probierte. Jedes Mal prostete der stämmige Angroscho in Richtung des Wals, kam aber aufgrund seiner geringen Körpergröße nicht ganz heran.
Insbesondere die anderen Gäste, die an den Tischen hinter der munteren Gesellschaft saßen, amüsieren sich darüber. Auch Tjulf konnte sich dem Schauspiel nicht entziehen. Der Zwerg streckte sich immer höher und höher, während er einen Becher nach dem anderen kippte.
»Xiglosch, hoch«, feuerte ihn eine massige Frau im Seehundsfellmantel an. »Du packst das.«
Wieder und wieder fand ein Getränk seinen Weg zwischen die Lippen des Zwergs, ehe er den Wal berührt hatte.
»Noch einen, Xiglosch«, rief eine dünne Halbnivesin neben dem Angroscho. Sie knallte einen weiteren Becher auf die schrundige Theke. »Koste mal diesen Brand. Der zieht dir jeden Zahn einzeln.«
Xiglosch prostete in die Runde und hob dann den Arm für einen Salut auf den Wal.
Jetzt hielt es einen der stillen Beobachter dahinter nicht mehr auf seinem Stuhl. Es war ein muskelbepackter Seemann mit krummer Nase, der es an Kraft gewiss mit dem Angroscho aufnehmen konnte. Mit drei schnellen Schritten durch den Raum erreichte er den Zwerg. Er fasste Xiglosch um die Hüften und hob ihn hoch, so dass der Becher kräftig gegen den aufgehängten Meeressäuger stieß.
»Tarkan!«, jubelte der Chor dahinter.
Ein Teil der Flüssigkeit spritzte herunter und dem Zwerg auf den Kopf. Der schrie empört auf.
»Das nennt man bei uns anstoßen, Herr Zwerg«, tönte der Seemann und lachte.
»Missratene Sumpfranze«, schimpfte Xiglosch. »Hast wohl zu lang am Morgendornstrauch geschnuppert?«
Der Matrose hatte den Zwerg noch nicht abgesetzt, da fing er sich bereits den ersten Hieb aufs Ohr. Er brüllte vor Schmerz und ließ den zappelnden Angroscho fahren. Dieser krachte auf das Fass und kippte damit um. Xiglosch kugelte auf dem Boden einmal um sich selbst, hüpfte aber bemerkenswert schnell wieder auf die Füße. Immer noch umklammerte er den leeren Becher, holte Schwung und schleuderte ihn nun auf sein Gegenüber.
»Behalte deine Pfoten bei dir«, zeterte er. »So darf mich nur meine geliebte Keraktax anfassen!«
Der Mann wischte das Geschoss beiseite, als wäre es nicht mehr als ein Schneeball. Er streckte kampflustig beide Fäuste vor. »Nun denn, Zwerg.«
»Immer halblang!«, versuchte die blonde Halbnivesin den Streit zu schlichten. Aber dann stimmte jemand vom Tisch des Seemanns eine Liedstrophe an, und begeistert fielen die anderen Gäste ein:
»Und der Zwerg, der hebt die Axt,
und er schlägt das Fass entzwei,
und der ganze Trubel endet,
in 'ner Kneipenschlägerei!«
Daraufhin lief der Zwerg puterrot an. »Das sagt ihr nur, weil ich ein Angroscho bin! Dabei könnt ihr froh sein, dass ich meine Axt nicht in Paavianblut tunken möchte.«
Drei Robbenjäger erhoben sich wie ein Mann und stellten sich hinter den Seemann. »Wie nennst du uns?«, fragte der Größte von ihnen.
Die vierschrötige Frau im Seehundsmantel an der Theke lachte, und ihr gewaltiger Busen wogte dazu im Takt. »Wo der Zwerg Recht hat, hat er Recht!«, rief sie herausfordernd und stand auf.
Die Robbenjäger ließen sich nicht lumpen. Einer mit zottigem Bart streckte den Kopf vor. »Für eine Dahergeschwommene reißt du dein Maul ganz schön weit auf. Hast du das von den Walen gelernt?«
»Bist du etwa ein swafnirbuckelnder Thorwaler? Lieber Wal, braver Wal
«, antwortete sie mit gekünstelter Sanftmut und tätschelte dem toten Olportwal den Bauch. »Komm doch her, wenn du einen anständigen Schlag vertragen kannst.«
Nun erhob sich ein weiterer Chor: »Temmla! Temmla! Temmla, der Wal!«
Die solcherart Gerühmte ließ sich nicht lange bitten. »Man nennt mich nicht umsonst Temmla, den Wal.« Sie verschränkte die Hände ineinander und ließ die Gelenke knacken. Tjulf fuhr bei diesem Laut zusammen. Das konnte unmöglich gesund sein.
Temmla bezog Position neben dem Zwerg. Die Halbnivesin ließ sich kopfschüttelnd zurück gegen den Tresen fallen. Aber ein weiteres Mitglied der Thekengesellschaft, ein schwarzhaariger Geselle, krempelte demonstrativ die Ärmel hoch. »Worauf wartet ihr hässlichen Wasserspeier?«
Die vier Seeleute rückten näher.
Jetzt flitzte der Wirt hinter dem Tresen hervor wie ein Schelm, den man mit einem Katapult abgeschossen hatte.
»Nein, keine Prügelei! Ich geb auch eine Runde aus«, stieß er hervor und wies auf das ausgestopfte Tier über der Theke. »Lassen wir den Wal wackeln.«
Aber das Angebot konnte niemanden mehr beschwichtigen.
»Lass stecken, du Wicht«, meinte Temmla gutmütig. »Und wenn hier ein Wal wackelt, dann bin ich das.« Sie ballte die Fäuste und spannte die Arme an. Ihr Vorbau sprang noch ein Stück weiter heraus.
Hinten im Raum grölte jemand, ob bewundernd oder in beleidigender Absicht, blieb offen. Tjulf konnte die aufgestaute Wut förmlich riechen. Wenn eine Keilerei erst mal im Gange war, gab es hier kein Durchkommen mehr. Tjulf kippte den Stamper hinter die Lippen, und der scharfe Schnaps rann brennend seine Kehle herab. Sein Blick trübte sich eine Träne lang, als der Meskinnes in seinem Magen ankam. Dann stand er auf.
Und kaum hatte er einen Schritt Richtung Ausgang gemacht, da sprangen auch die anderen Gäste auf, fast so, als habe er das Signal zum Losschlagen gegeben.
»Nein!«, flehte der Wirt mit einem ängstlichen Blick auf die brennenden Tranlampen. Aber der Zwerg ließ schon seinen Schlachtruf ertönen: »Keraktax!« Er stürzte sich zwischen die Seeleute. Dicht auf dem Fuß folgte Temmla, die wie eine Naturgewalt vorwärtsstürmte.
Ihr Beispiel riss die Übrigen mit. Bald balgten sich abgerissene Gestalten mit Seeleuten in Schiffsuniformen, tauschten Einheimische Hiebe mit Fremden, und mancher Ellbogenstoß traf einen Verbündeten statt des Gegners.
Tjulf stand zwischen den Raufenden eingekeilt an der Wand. So gut es ging, wich er dem Getümmel aus. Seine Körpergröße flößte den meisten Respekt ein, vielleicht war es auch seine blutige Kleidung. Aber ein paar Mal musste er seine Schultern einsetzen, um den nötigen Freiraum zu wahren. An ein Verlassen der Kneipe war nicht mehr zu denken.
Alles war auf den Beinen. Auch die zögerlichsten Besucher sprangen nun ihren Kameraden zu Hilfe. Bloß die blonde Halbnivesin blieb auf ihrem Fass sitzen und begnügte sich damit, gelegentlich einen Schlag mit ihrem leeren Bierhumpen auszuteilen und in Ruhe die Becher der anderen zu leeren, ehe sie zu Bruch gingen.
Der Seemann mit der schiefen Nase, Tarkan, hatte sich zu seinem ersten Gegner durchgekämpft. »Hab ich dich, du Felsenaal!« Er packte den Zwerg mit der einen Hand am Bart und versuchte mit der anderen, den alkoholgetränkten Angroscho mittels einer Tranlampe in Brand zu setzen.
Doch der Zwerg war flink. Er packte genau zwischen die Armsehnen des Matrosen, Tarkans Griff lockerte sich und er ließ die Lampe fahren. Tran sickerte aus dem geborstenen Gefäß zwischen die grobgefügten Fußbodenbohlen.
Panisch wieselte der Wirt heran. »Feuer, Feuer!«
Für eine Sekunde leckte eine Flamme hoch, aber die stampfenden Füße des Angroscho, der sich über den Matrosen hermachte, erstickten das Feuer und zermalmten die restlichen Tonscherben.
Das Eingreifen des Wirts lenkte einen der Faustkämpfer ab. Sein Schlag ging fehl und bohrte sich auf Höhe der Nieren in den Rücken eines Schiffskameraden. Tjulf zuckte mitleidig zusammen.
Der Getroffene grunzte und taumelte, riss einen Dritten zu Boden, ehe er selbst an der Theke Halt fand. Sein Opfer hatte weniger Glück. Der Mann rollte noch von den Scherben fort, blieb dann aber liegen wie eine geschlachtete Robbe. Von den Kämpfenden achtete niemand auf den Gestürzten. Er konnte sich nicht mehr vor den eisengenagelten Stiefeln in Sicherheit bringen, die rings um ihn den »Eisbrecher« tanzten.
Tjulf holte aus, langte zu und läutete die Schiffsglocke, die von der Decke baumelte. Ein hektisches Bimmeln schnitt durch die verräucherte Kneipe. Einen Lidschlag lang horchten die Streithammel auf. Tjulf packte die Gelegenheit beim Schopfe, drückte sich durch die murrende Menge. »Nun lasst mich kurz durch. Ich will nur zu dem Verletzten.«
Da besannen sich auch die anderen ein wenig und rückten voneinander ab.
»Das ist einer von uns, oder?« fragte Temmla. »Wo bleibt denn Pettar? Wo ist unser gottverlassener Knochenflicker?«
Die Halbnivesin verdrehte die Augen und wies auf den Mann am Boden. »Da isser. Und so schnell rennt der nicht weg.«
Tjulf räusperte sich. Nun, wo es einen Berufskollegen erwischt hatte, fühlte er sich erst recht in die Pflicht genommen. »Ich bin selbst Medikus«, erklärte er. »Helft mir, wir heben ihn gemeinsam auf den Tresen.«
Temmla fegte mit dem gewaltigen Arm einmal über die Theke, und die restlichen Becher gingen den Weg alles Derischen. Zu viert hievten sie den Mann hoch. Tjulf gab Anweisungen und hielt selbst den Kopf des Verletzten. Seine Hände wurden klebrig von Blut.
»Ruhig. Ganz vorsichtig ablegen!« Der Verletzte rührte sich nicht, aber immerhin atmete er.
»Warmes Wasser«, herrschte Tjulf den Wirt an, und als der eine Schüssel brachte, reinigte Tjulf rasch seine Finger und tupfte das Gesicht des Verletzten sauber. Nachdem er die Lider angehoben und die Augen untersucht hatte, tastete er den Schädel ab.
»Und, was ist nun mit ihm?«, fragte der schwarzhaarige Seemann.
Tjulf pustete sich eine verzwirbelte Locke aus der Stirn. »Der Kopf scheint noch heile zu sein. Abgesehen von einer Platzwunde, wo er aufgekommen ist.«
Im gleichen Moment erlangte Pettar das Bewusstsein zurück. »Verflucht, was ist passiert?«, murmelte er.
Tjulf entspannte sich ein wenig. Er klopfte dem Mann sachte auf die Schulter und prüfte noch einmal die Reflexe. »Es sieht nach einer leichten Gehirnerschütterung aus. Ihr solltet Euch etwas schonen.«
»Das weiß ich selbst!«, schnappte Pettar. »Vielleicht wärt Ihr lieber so freundlich, von meinem Bein runterzugehen, statt gute Ratschläge zu erteilen.«
Tjulf lief rot an und hüstelte verlegen. Niemand berührte die Beine des Verletzten. Erst jetzt drückte er prüfend Pettars Oberschenkel, und prompt keuchte der Mann auf. »Nu' pass doch auf!«
»Scheint gebrochen zu sein«, befand Tjulf und unterdrückte einen Seufzer. Heiler waren selbst die schlimmsten Patienten. Er erinnerte sich noch, wie der Großvater
»Ist es 'was Schlimmes?«, wollte Temmla wissen. Im Hintergrund hörte Tjulf, wie der Zwerg davon sprach, eine gewisse Jettjala herbeizuholen. Die anderen Streithähne hatten Tische und Hocker wieder aufgestellt und verhielten sich auffällig leise.
Dem Verletzten behagte das alles nicht. Er musterte Tjulf abschätzig von Kopf bis Fuß. »Ihr seht aus wie ein Schlächter. Seid Ihr etwa der versoffene Meeltheur? Von dem hab ich nur Übles gehört.«
Tjulf kochte innerlich, und endlich entlud sich der gesammelte Zorn des Tages. »Mein Name ist Tjulf Ressken, und ich entstamme einer Familie von Gelehrten und Heilern. Wenn's recht ist, werde ich Euch das Bein schienen, Kollege, und dann bin ich auch schon fort.«
Er machte sich stumm an die Arbeit. Dieser Tag stand unter keinem guten Stern.
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