Wie haben die Wölfe das Ökosystem von Yellowstone verändert?
Februar 1999
Die Druids sind auf der Jagd. Schon längere Zeit haben sie keine Beute mehr gemacht. Wir beobachten sie seit mehreren Tagen im Lamar Valley. Die Spannung ist mit jedem Tag größer geworden, etwas liegt in der Luft. An diesem sonnigen Wintermorgen halten sie sich wieder im Tal auf. Eine ganze Weile bewachen wir ihren Schlaf. Dann werden sie wach, und wir erfreuen uns an den uralten Ritualen des Mundwinkelleckens, Schwanzwedelns und der Unterwerfungsgesten, die die sozialen Bande festigen. Dann plötzlich kommt Aufregung über die acht Wölfe. Sie versammeln sich um die Leitwölfe Nummer 21 und Nummer 42. Nach einem intensiven Heulkonzert ziehen sie los, aufgereiht wie an einer Perlenschnur. Es ist deutlich zu sehen: die Druids sind hungrig und sie haben ein Ziel.
Dies spürt auch die Gruppe der Hirschkühe, die zuvor noch friedlich gegrast hat. Jetzt stehen sie zusammengedrängt, die Köpfe mit den Lauschern auf die Wölfe gerichtet. Die Anspannung ist greifbar.
Die Wölfe ziehen zunächst scheinbar unbeteiligt an den Hirschen vorbei, teilen sich dann aber urplötzlich auf und beginnen den Sturm auf die Wapitis. Eine kleine Gruppe trennen sie schnell ab und verfolgen sie. Ihre Taktik ist von unserem Standort aus gut überschaubar. Drei Wölfe hetzen die Hirsche, die anderen umkreisen sie von links und rechts und nehmen sie so in die Zange. Zwei Hirschkühen gelingt es auszubrechen. Während fünf der Wölfe die andere kleine Gruppe weiter und aus unserem Blickfeld hinaus hetzt, folgen zwei schwarze Jungwölfe den beiden Hirschkühen und konzentrieren sich schließlich auf das langsamere Tier. Die Hirschkuh hat sich jetzt in den kleinen Lamar River geflüchtet und behält heftig atmend die Angreifer im Blick. Die beiden Wölfe umkreisen sie und versuchen zunächst, sie an den Beinen zu packen. Aber die Hirschkuh ist noch lange nicht bereit aufzugeben. Sie tritt nach den Angreifern, die sich blitzschnell zurückziehen. Der nächste Versuch folgt von vorn. Jetzt schlägt der Hirsch heftig mit seinen Hufen auf das Wasser, das nach allen Seiten spritzt. Sofort springen die Wölfe zurück. Immer wieder tritt nun der Hirsch auf das Wasser, so, dass die beiden Jungwölfe in kürzester Zeit komplett durchnässt sind. Das scheint ihnen nun doch zu viel Nass zu sein. Sie schütteln sich, dass die Wassertropfen nur so fliegen, und laufen im wahrsten Sinne des Wortes wie »begossene Pudel" zu ihrem Rudel zurück. Die Hirschkuh ist noch einmal davon gekommen. Noch lange steht sie mit zitternden Flanken im sicheren Fluss.
Gerade haben wir nur eine der vielen Jagdtaktiken der Wölfe beobachtet. Und wir konnten eine Überlebensstrategie der Hirsche verfolgen.
Die Hirsche haben aus ihrer Vertreibung aus dem Paradies gelernt und sich angepasst. Früher, bevor die Wölfe nach Yellowstone kamen, sah man sie in riesigen Gruppen friedlich grasen oder ruhen. Außer den Grizzlys und gelegentlich ein paar Kojoten hatten sie niemanden zu fürchten. Ähnlich erging es auch den Elchen und den Bisons.
Aber seit die Wölfe zurück sind, haben ihre Beutetiere nach anfänglichen harten Lehrjahren ihre Unschuld verloren. Sie sind wachsam geworden, schauen lieber einmal zu viel als zu wenig über ihre Schultern. Sie haben sich angepasst und eigene Taktiken entwickelt, um zu überleben. Aber nicht nur die Beutetiere, sondern das komplette Ökosystem von Yellowstone hat sich durch die Rückkehr von Isegrim verändert. <...>
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