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Seelenhüter
Karen empfing Owen noch in der Nacht erneut in ihrem Büro. Diesmal scheute sie sich nicht, ihren Widerwillen zu zeigen und wies ihn kalt ab, als er nach ihr griff und sie an sich ziehen wollte.
Lass das, fuhr sie ihn an und drehte sich demonstrativ um. Bist du sicher, dass ihre Leichen nicht auftauchen werden? Sie schalt sich eine Närrin, dass sie es zugelassen hatte, wie er in seinem drogenbenebelten Zustand ihren Auftrag ausgeführt hatte. Was war nur in sie gefahren? Cangoon würde sie umbringen.
Ihr hätte klar sein müssen, dass dieser Schwachkopf Mist baute. Am Telefon hatte er stolz erklärt, dass seine Aufgabe erledigt sei und sie hatte ihn nicht einmal bremsen können, ihr munter Einzelheiten zu erzählen, ungeachtet dessen, dass Telefonate abgehört werden konnten. Als Staatsanwalt musste er das am allerbesten wissen. Neuerdings sogar Oberstaatsanwalt. Sie lachte verächtlich, zerrte an ihrem ärmellosen Kaschmirpulli, der anfing, ihr auf der Haut zu kleben. Owen wusste es noch immer nicht zu schätzen, dass er letztlich ihr diesen Aufstieg zu verdanken hatte. Hätte sie ihm nicht die richtigen Kontakte vermittelt
unwichtig. Im Moment war es dringlicher, sich auf ganz andere Dinge zu konzentrieren. Sie brauchte Gewissheit, dass er den Auftrag so erledigt hatte, dass die Leichen nicht auftauchen würden. Cangoon duldete keine Fehler. Mit eigenen Augen hatte sie gesehen, was mit Leuten passierte, die auch nur die geringste Verfehlung begingen und zu diesen wollte sie keinesfalls zählen. Karen spürte, wie Owen seine feuchten Handflächen auf ihre Oberarme legte und versuchte, sich einen Weg zu ihren Brüsten zu bahnen. Dieser widerwärtige Wichser hatte nichts anderes als Ficken im Kopf.
Na los, Süße. Wir haben etwas zu feiern.
Sie schluckte ihren Abscheu hinunter. Okay, wenn das der einzige Weg war, ihn zum Sprechen zu bringen, dann würde sie in Dreiteufelsnamen auf seine Tour eingehen. Sie wandte sich ihm zu, nahm seine Hände und führte sie auf ihren Busen.
Na gut, Liebster, du hast recht das haben wir. Aber beantworte mir bitte zuerst meine Frage.
Welche Frage?
Gott, wie konnte er so bedeppert sein? Er stand noch immer voll unter Koks.
Ob du dir sicher bist, dass ihre Leichen nicht auftauchen können. Karen drehte wie unbeabsichtigt den Kopf, als seine Lippen sich ihr näherten. Sie versuchte es mit Ablenkung und griff ihm in den Schritt. Er hatte eine Latte, die sie fordernd knetete. Also?
Der See liegt einsam und die tauchen nicht wieder auf. Der Schlammboden wird sie verschlucken. Owen kicherte.
Karen teilte seine Zuversicht nicht. Was, wenn man die Toten fand? Owen würde sofort ins Zielfeld der Ermittlungen geraten und sie als seine Geliebte ebenfalls. Ihr Herzschlag setzte für einen Moment aus und sie spürte, wie ihr Blut in die Füße sackte. Scotland Yard war ihr geringstes Problem, denn bis die Ermittler auf sie stießen, wäre sie garantiert längst tot. Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie musste etwas tun. Welche Möglichkeiten gab es, eine Entdeckung zu verhindern? Sollte sie an den See fahren und sich auf die Suche begeben? Wie hatte Owen den Tatort hinterlassen? Ihr Gehirn lief auf Hochtouren, während sie sich entkleiden und auf das zerschlissene Ledersofa ziehen ließ.
Als Karen sicher war, dass Owen schlief, schlich sie an ihren Safe und holte drei Briefchen Kokain hervor, die sie ihm auf das Couchtischchen legte. Ihre Absicherung, dass er in den nächsten Stunden in ihrem Büro verweilen würde. Auf der Fahrt in Owens Mercedes nach Robertsbridge sank ihre Laune unter den Nullpunkt. Sie trat nach einem struppigen Katzenvieh, das kaum, dass sie die Wagentür geöffnet hatte, schnurrend um ihre Knöchel strich.
Karen zog Latexhandschuhe an, bevor sie das Landhaus betrat. Ihr war mulmig zumute. Sofort erklang wütendes Gekläffe das musste Paulas Töle sein. Sie stolperte rückwärts aus der Haustür und riss sie zu. Das fehlte ihr gerade, dass das Vieh sie zerfleischte. Dann schalt sie sich erneut eine Närrin, denn Tjara war kein angriffslustiges Tier und außerdem kannte sie Karen. Sie schloss wieder auf und rief nach der Hündin. Das Bellen wurde zu einem Winseln. Karen folgte den Tönen bis zum Hauswirtschaftsraum. Sie atmete tief durch, sprach weiterhin beruhigende Worte und öffnete. Tjara sprang mit einem Satz heraus und raste in die Diele. An den Geräuschen erkannte Karen, dass Tjara an der Eingangstür kratzte. Sie wollte die Hündin bereits hinauslassen, da kam ihr eine grandiose Idee. Wenn sie die Töle mit an den See nähme und Paulas Leiche tatsächlich irgendwo angespült worden war, dann würde der Köter sie finden. Karen jubilierte innerlich. Ganz so blöd, wie sie aussah, war sie wohl nicht. Erfüllt mit neuer Zuversicht durchschritt sie die Räumlichkeiten. Alles war penibel sauber und aufgeräumt. Typisch Paula. Die zwei Gläser an der Bar spülte Karen und räumte sie weg. In jedem Raum standen Blumen, es roch sogar wie frisch geputzt, nichts deutete darauf hin, dass hier zwei Morde stattgefunden hatten bis Karen die Schlafzimmertür öffnete und den Lichtschalter betätigte. Ein Würgen überfiel sie. Sie presste die Hand auf den Mund. Nur mit Mühe gelang es ihr, das Essen des vergangenen Abends erneut hinunterzuschlucken. Das Bett war blutüberströmt, der Teppichvorleger sah nicht besser aus. Nachdem sie den ersten Schock überwunden hatte, handelte sie wie ein Roboter. Sie verließ den Raum, schloss die Tür, damit Tjara nicht hineinkam, und rannte in die Küche. Sie hätte sich nicht um den Mistköter sorgen müssen, dieser hockte noch immer vor der Haustür und kratzte am Holz. Karen begab sich auf die Suche nach Müllbeuteln. Zurück im Schlafzimmer stopfte sie die gesamte Bettwäsche samt Oberbetten und Kissen hinein. Sie rollte den Teppich zusammen, hob mit spitzen Fingern einen herumliegenden Slip und weitere Kleidungsstücke auf und schleppte alles in die Diele. Tjara ließ sich widerstandslos ihr Halsband umlegen und mit der Hundeleine am Treppenpfosten festbinden. Anschließend verstaute Karen die Müllsäcke im Kofferraum.
Die linke Matratze stellte ein Problem dar. Das Blut war bis in den Kern gesickert. Sie würde nicht umhinkommen, mit Owen zurückzukehren und das Ding auszutauschen, aber vorerst begnügte Karen sich damit, sie umzudrehen und frische Laken aufzuziehen. Sie ging in die unbewohnte Einliegerwohnung und holte Plumeaus und Kissen. Karen war nass geschwitzt, als sie das Putzwasser hinter dem Haus in eine Hecke goss, doch als sie einen letzten Blick in das Schlafzimmer warf, waren keine offensichtlichen Spuren eines Verbrechens mehr zu sehen. Es roch sogar genauso wie in den übrigen Räumen.
Der Horizont verfärbte sich rötlich, als sie mit Tjara das Landhaus verließ. Der Köter strapazierte mit seinem verdammten Gejaule ihre Nerven. Karen war froh, als sie den See erreichte. Sie bog auf einen schmalen Forstweg ab, blickte suchend umher und entdeckte eine versteckte Lücke zwischen dichten Tannen, wo sie den Wagen parkte. Entschlossen begab sie sich auf die Suche nach dem Seeufer. Sie drang tiefer in den Wald ein. Es ging bergab, und plötzlich stand sie am Wasser. Es war unheimlich still, nur das Rascheln der Blätter im Wind war ihr Begleiter. Seltsamerweise verhielt auch Tjara sich ruhig. Karen hatte keine Angst außer davor, dass die Leichen von Paula und diesem Kerl, wer immer er war, auftauchen könnten. Gezielten Schrittes nahm sie die Umrundung des Sees auf. Eine winzige Unaufmerksamkeit ließ sie stolpern und der Köter nutzte die Gelegenheit, sich loszureißen. Mit der daherschleifenden Leine im Schlepptau jagte Tjara davon.
Scheiße!
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