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2.- Der ferne Mann

FYRGAR - VOLK DES FEUERS

Uschi Zietsch
Roman / Fantasy

Bastei

Taschenbuch
ISBN: 978-340428549-5

Nov. 2010, 14.00 EUR

Sansiri zog das Schultertuch vor der Brust zusammen und rieb sich fröstelnd die Arme. Der Herbst war fast vorüber, und der Winter nahte; der Wind brachte schon den Geruch des ersten Schnees mit sich. Seit Tagen hatte es ununterbrochen geregnet, und viele Flüsse und Bäche waren über die Ufer getreten. Das große Fyrgar-Gebirge lag hinter dickem Dunst und einer Wolkendecke verborgen.
Gelächter und Stimmengeschwirr drang aus der Schänke heraus, als die Tür geöffnet wurde und im herausfallenden Lichtschein jemand ins Freie trat.
Mukel, der große, schweigsame Knecht, setzte seinen breitkrempigen Hut auf, um den nur von schütterem Haar bedeckten Kopf zu schützen. Misstrauisch schaute er in den Abend, der gleich hinter dem Dachvorsprung begann, düster und verhangen, aber wenigstens ohne Regen. »Wann hat es aufgehört?«, fragte er Sansiri.
»Vor einer Stunde etwa.«
»Dann gehe ich lieber. Wenn schon nicht trockenen Fußes, komme ich wenigstens trockenen Hauptes nach Hause.«
Die Wege waren schlammig und von Rinnsalen durchzogen; kaum ein Fuhrwerk kam mehr durch, allenfalls noch Ochsenkarren mit besonders starken Zugtieren.
Mukel trug dick verkrustete Lederstiefel, doch die uralten, spröde gewordenen Nähte fingen an, sich zu lösen. Nach einem weiteren prüfenden Blick auf den Weg zog er die Stiefel kurzerhand aus und ging barfuß in den Morast.
»Gute Nacht, Sansiri«, rief er über die Schulter, während er davoneilte.
»Gute Nacht, Mukel, bis morgen«, antwortete sie. Sie sollte wieder hineingehen, aber die Luft dort drin war stickig, und viele der Gäste waren betrunken. Manchmal machte es ihr nichts aus, aber an Abenden wie diesem wurde sie dessen überdrüssig. Ich verlasse Zem, dachte sie. Ich will ein fröhliches Heim und Kinder und nicht einen Schankwirt als Mann, der jede Frau anschaut außer seiner eigenen. Und der nur Fäuste sprechen lässt.
Mukel hatte ihr schon oft gesagt, dass sie mit ihm gehen könne. »Ich verdiene nicht viel, aber sicher gibt es für dich Arbeit auf dem Hof. Die Herrschaft ist anständig, sie würden uns bestimmt ein kleines Haus bauen lassen. Ich werd’ dich auch nie schlagen, Sansiri, so was tu ich nicht.«
»Das weiß ich doch, Mukel, aber Zem würde uns finden. Ich muss weit fort, wenn ich ihm entkommen will. Und ich will nicht ewig Magd bleiben, verstehst du das nicht?«
Nein, das tat er nicht. Sie konnte es ihm sagen, sooft sie wollte, er versuchte es immer wieder. Wenigstens legte er sich nicht mit Zem an.
Eines Tages …
Sansiri wollte soeben wieder hineingehen, als sie einen leisen Ruf hörte.
»Bist du einsam?«
Verunsichert blieb sie stehen und spähte in die Dunkelheit. »Wer ist da?«
»Bist du einsam?«
Die Stimme klang fremd, nicht-menschlich, aber keineswegs erschreckend. Sie rührte an eine Stelle in Sansiris Herz und brachte sie auf seltsame Weise zum Klingen.
Das war neu, aber dennoch fiel sie nicht darauf herein. Sie kannte solches Gerede zur Genüge. Von Männern, die Sansiris Augen traurig fanden und sie trösten wollten. Am liebsten überall mit ihren Händen.
»Bist du einsam?«
Sie hatte genug. Hier draußen musste sie sich das nicht auch noch gefallen lassen. »Hör zu, du Trunkenbold, sieh zu, dass du nach Hause kommst!«, rief sie warnend in die Dunkelheit. »Ich hole die Dorfwache.« Immerhin gab es auch weibliche Gäste in der Schänke, die unter Umständen allein nach Hause gehen mussten. Sansiri achtete stets darauf, dass sie dies ohne Sorge tun konnten, indem sie ihnen verlässliche Begleitung mitgab oder die Dorfwache alarmierte.
»Fürchte dich nicht.«
»Wovor sollte ich mich fürchten?«, sagte Sansiri, fast trotzig. Sie wollte wieder hineingehen. Doch immer wenn sie einen Schritt tun wollte, hinderte etwas sie daran. War es diese Stimme? Oder war es ihr Widerwille gegen die ungehobelten Gäste da drin und gegen Zem, der heute in der Stimmung war, sie zu schlagen? Sie kannte diesen Blick, wenn er zu viel getrunken hatte und streitsüchtig wurde.
»Ich tue dir nichts.«
»Verschwinde.« Doch sie verlieh ihren Worten nicht den nötigen Nachdruck. Was war das für ein seltsames Wesen, das sich hierher verirrt hatte? Selten kamen an diesen Ort andere Leute, die keine Menschen waren. Sansiri kannte die Geschichten über die Alten Völker, die vor allem im weit entfernten Valia lebten, in Nachbarschaft mit den Menschen. Dort gab es Pferdmenschen, Geflügelte, Menschenähnliche, sogar Dämonen, und sie verfügten über wundersame Kräfte.
»Soll ich dir deinen Wunsch erfüllen?«
»Ich habe keinen Wunsch, den du mir erfüllen könntest.«
Sansiri glaubte eine Bewegung wahrzunehmen, an der Hausecke, und es kam ihr so vor, als würde ein Schatten heraustreten, der menschliche Umrisse hatte. Nicht so groß wie Zem oder Mukel, aber … etwas kam ihr vertraut vor.
»Wer bist du?«, flüsterte sie.
Arme streckten sich ihr entgegen. »Finde es heraus.«
Das Wispern hallte in ihrem Kopf nach, sanft und schmeichelnd. Sansiri fühlte Erregung in sich aufsteigen. Sollte sie es wagen? Einen kurzen Blick nur? Sie war immer noch dicht beim Haus, unter dem Dachvorsprung, beinahe in Sicherheit.
»Warum tust du das?«, fragte sie zaghaft. »Ich bin eine verheiratete Frau …«
Sansiri kannte die romantischen Geschichten von Verführung und Lust, die Frauen widerfuhren, wenn einer aus den Alten Völkern ein Auge auf sie warf. Manche ihrer weiblichen Gäste wollten sogar schon selbst das eine oder andere Erlebnis gehabt haben. Sansiri hatte ihnen stets voller Neid gelauscht, und ihre Sehnsucht war in Bitterkeit umgeschlagen.
»Ich tue nichts, was dir nicht gefällt«, sagte der Fremde. Lockte. Unwiderstehlich.
»Hast du mich verzaubert?« Sansiris Lider wurden schläfrig und schlossen sich halb. Sie spürte, wie ihr Wille aus ihr floss, zu dem Fremden hin, der sie zu sich winkte. Was auch immer geschehen würde, sie konnte nicht mehr zurück.
»Ich werde gut zu dir sein.«
Sansiri folgte dem Summen, das ihr den Weg wies, auf die Gestalt zu, die ihr so vertraut erschien. Männliche Konturen, genau wie im Traum. Hände, die sie streicheln würden und nicht schlagen. Und die sie mit sich nahmen …
Sansiri hatte das Haus gegenüber erreicht und schaute vorsichtig um die Ecke, sah dort im Dunst den Schatten winken, glaubte ein Lächeln aufblitzen zu sehen, obwohl es doch gar kein Mondlicht gab, und erst recht keine Straßenlaterne, nicht hier.
Ich bin dumm, dachte sie selig lächelnd und folgte dem Fremden, der immer gleich weit entfernt blieb, egal wie sehr sie ihren Schritt beschleunigte. Sie achtete nicht darauf, dass sie durch den Schlamm stapfte. Ihre leichten Schuhe waren bald von Nässe vollgesogen, und der Saum ihres Kleides schleifte durch den Matsch.
»Hier.«
Der Laut floss goldensämig aus der Dunkelheit wie Herbsthonig aus dem Topf. Sansiri konnte fast nichts mehr erkennen, der Fremde verschmolz beinahe mit der Holzwand des Gebäudes hinter ihm.
Sie blieb stehen, sah teilnahmslos zu, wie zwei Hände auf sie zukamen, ihre Taille umfassten und sie tiefer in die Schatten zogen. Kühle Lippen pressten sich auf ihren Mund. Als ob es nicht schon dunkel genug wäre, hatte sie das Gefühl, dass sich während des Kusses ein hauchfeines Gespinst über sie legte und sie sah wie durch das schwarze Netz eines Schleiers. Sie schloss die Lider und ließ sich hingebungsvoll küssen.

Szenentrenner


Zem war außer sich vor Wut, als Sansiri endlich in den Gastraum zurückkehrte, doch er besann sich auf sein Ansehen als Wirt und bezähmte sich mühsam. Etliche Männer lagen betrunken unter den Tischen, ohnmächtig oder grölend, die anderen lärmten durcheinander, versuchten sich gegenseitig in misstönendem Gesang zu übertreffen oder stritten sich lallend. Immer wieder brachen Kämpfe aus um die wenigen Frauen, die noch da waren und kaum weniger betrunken waren, doch diese wurden von den Schankwachen schnell beigelegt. Kuddl und Fuddl, wie sie genannt wurden, waren unbestechlich. Sie tranken keinen Tropfen Alkohol und ahndeten streng jedes Fehlverhalten.
Sansiri schritt zwischen den schwitzenden, sabbernden und lallenden Menschen hindurch, die durch den Raum torkelten oder sich schwankend am Tisch festhielten. Immer wieder hielten Finger sie am Rockzipfel fest, wollten Hände nach ihr greifen, doch sie bahnte sich ungerührt ihren Weg. Ihr Blick blieb starr geradeaus gerichtet, ihre Miene war völlig glatt und leer. Es sah so aus, als würde sie einen dünnen schwarzen Schleier über dem Gesicht tragen und ein Netz über dem Haar. Als sie die Hand hob, war auch diese von einem hauchfeinen Gespinst bedeckt.
Zem beugte sich über seine Frau und zischte ihr ins Ohr: »Wo warst du wieder, du Schlampe? Und was soll diese Ausstaffierung, hältst du dich etwa für eine feine Frau, dass du einen Schleier tragen musst?«
»Die Netze schützen, lehren, leiten mich«, murmelte sie. »Ich bin nicht mehr allein.«
Zem packte Sansiri am Arm und quetschte ihn so fest zusammen, dass man die Male noch tagelang sehen würde.
Sie zuckte nicht zusammen, noch verzog sie das Gesicht. Still verharrte sie. Schien ihren Mann gar nicht zu bemerken, ihre Miene blieb völlig gleichgültig. Das beunruhigte ihn und entfachte seinen Zorn nur noch mehr.
»He, Wirt!«, rief jemand ungeduldig und schlug mit dem Steinkrug krachend auf die hölzerne Tischplatte. »Wird’s bald mit meinem Bier, oder willst du, dass ich hier alles kurz und klein schlage?«
»Es ist gezapft und wird sofort gebracht!«, gab der Wirt ungehalten zurück.
»Aber nicht von dir, du hässliche Sumpfkröte, sondern von deiner Frau, sonst kriegst du keine Zeche!«
Brüllendes Gelächter folgte.
»Hast du gehört?«, knurrte Zem. »Du wirst jetzt deiner Pflicht nachkommen, wie es sich für eine anständige Wirtin gehört.«
»Ja«, sagte sie tonlos.
»Sieh mich an, wenn ich mit dir rede!«, herrschte er sie an, nahm ihr Gesicht zwischen seine derben, schwieligen Hände und drehte es grob zu sich. Dann stutzte er. »Was ist mit deinen Augen?«
Als ob sich auch über ihre Augen ein Netz gelegt hätte.
»Nichts«, antwortete sie. Dann veränderte sich mit einem Mal ihr Blick. »Komm mit nach hinten«, fuhr sie fort.
»Bist du jetzt vollkommen übergeschnappt, du blödes Weib?«, polterte er los, doch sie berührte nur leicht seinen Arm, und er ging zu seinem eigenen Erstaunen mit ihr hinter den Tresen, hinaus zur Vorratskammer.
»Ich werde dich -«, setzte er an, doch weiter kam er nicht. Etwas von ihren Händen, die ihn festhielten, sprang auf ihn über, und ihm war, als wäre er in ein Zimmer voller Spinnweben gelaufen. Ein unangenehmes klebrig-kaltes Gefühl, und er versuchte, den Schleier vor seinen Augen wegzuwischen, versuchte, die Netze hektisch wegzureiben, versuchte …
Verblüfft merkte Zem, dass er sich hinabbeugte, den Lippen seiner Frau entgegen, was ihn mit äußerstem Widerwillen erfüllte. In Gedanken stellte er sich vor, was er stattdessen lieber täte: Die Faust zu ballen und sie mit Wucht in diesen Mund zu schlagen, sodass die vollen Lippen aufsprangen und Blut hervorquoll, das Splitter von Zähnen herausspülte …
Doch Zem tat, wie Sansiri es verlangte. Voller Ekel schloss er die Augen und zuckte zusammen, als er ihren Mund berührte. Die Lippen waren kalt, eisig kalt …

Szenentrenner


Als Sansiri in die Gaststube zurückkam, herrschte dort Chaos. Der Gast, der immer noch auf sein Bier warten musste, randalierte wütend, und ein anderer schrie lallend, als er sie bemerkte: »Dada kommse ja, die t-tugendsame Schlampe! Die sich zu fein is, die Gäste selber zu bedien’n!«
Kuddl und Fuddl steuerten auf den Angetrunkenen zu, doch Sansiri gebot ihnen mit einer Geste Einhalt. Verwundert sahen die Schankwächter sie an, doch sie schüttelte nachdrücklich den Kopf. Dann packte sie mehrere Krüge, in denen das zuvor gezapfte Bier bereits schal geworden war, und trat in den Gastraum hinein.
»Wer hat ein Bier mit Kuss bestellt?«, fragte sie so laut, dass schlagartig verblüffte Stille eintrat.
»Ich!«, stieß der erste Trunkenbold schon nach zwei Herzschlägen sabbernd hervor und wurde umgehend von den anderen übertönt. »Nein, ich!« – »Nein, ich!«
Kuddl und Fuddl hielten die Gäste auf, die sich gegenseitig schubsend und drängelnd auf die Wirtin stürzen wollten.
»He, einer nach dem anderen!«, rief Kuddl.
»Ordentlich anstellen, los!«, verlangte Fuddl.
Ein Säufer kroch unter dem Tisch hervor und lallte etwas wie »iwillau«, konnte sich aber nicht aufrichten, während die anderen allmählich zur Ordnung fanden und sich aufgeregt flüsternd in einer Reihe aufstellten.
Plötzlich trat ein Ausdruck in Sansiris bisher so glatte, starre, wie von Spinnweben überzogene Miene, und ihr verschleierter Blick schweifte über die gierig hechelnden Männer.
Sie lächelte.
»Gut«, sagte sie. »Ihr kommt alle an die Reihe, einer nach dem anderen. Seid unbesorgt.«

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