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Margaret Atwoods „Payback“

Von Schuld und Sünde bis zum Zahltag

© Die Berliner Literaturkritik, 11.12.08

 

Von Frauke Kaberka

Sie gleichen unzertrennlichen Zwillingen: Schuldner und Gläubiger. Und beide sind Sünder, befindet Margaret Atwood in ihrem neuestem Werk „Payback – Schulden und die Schattenseiten des Wohlstands“. Wer schließlich auf Justitias Waage schwerer wiegt, hängt von ihm selbst ab. Auf 242 Seiten tritt die kanadische Autorin ihre geistreiche Beweisführung an, die, so könnte man annehmen, punktgenau die gegenwärtige Welt-Finanzkrise aufs Korn nimmt. Das stimmt aber nur halb.

Oh ja, es scheint mehr als weitsichtig, mit diesem Thema genau jetzt herauszukommen, wo die Finanzwelt arg ins Straucheln geraten ist. Der herausgebende Berlin Verlag wagt auf dem Klappentext sogar den Vergleich mit der unglücklichen trojanischen Königstochter Kassandra, die zwar hellsehen kann, deren Vorhersagen aber niemand Glauben schenkt. Die Thesen Atwoods kann man glauben, auch wenn man es vielleicht wegen der apokalyptischen Bilder gar nicht will. Aber es geht nicht nur um Finanzen, sondern auch allgemein um Schuld und Sünde (die Assoziation zu Dostojewskis „Schuld und Sühne“ kommt sicher nicht von ungefähr) und ihren literaturhistorischen Hintergrund, ihren religiösen und mythologischen Wurzeln.

Niemand wird in diesem wunderbaren Sachbuch, das für eine Vorlesungsreihe entstand, eine Anleitung zum Schuldenabbau finden, aber jeder Leser wird hernach versucht sein, sein eigenes Leben zu überdenken – angefangen bei simplen Verhaltensweisen: Muss wirklich jede gute Tat mit einer Gegengabe (einschließlich Dankbarkeit) belohnt werden? Muss eine üble Tat um jeden Preis vergolten werden? Warum fällt Vergebung so schwer? Zu welchem Zweck werden Schulden gemacht? Um den eigenen Wohlstand zu vergrößern, um überhaupt zu existieren oder vielleicht, um anderen zu helfen? Im ersteren Fall wäre der Schuldner der größere Sünder, in den beiden letzten der Gläubiger, vor allem, wenn er sich die Schuld mit überhöhten Zinsen (Wucher) zurückzahlen lässt. Wann ist das Borgen/Leihen/Tauschen ein Pakt mit dem Teufel?

Um solche und viele andere Fragen zu beantworten, bemüht Atwood Philosophen und große Literaten. Natürlich darf Dr. Faustus nicht fehlen, vor allem in der Bearbeitung des Briten Christopher Marlowe von 1589, denn sein Faust wird nicht wie der Goethes durch Gott erlöst, sondern vom Teufel in Stücke zerrissen und muss auf ewig im Höllenfeuer braten. Kaum ein anderes Werk aber bringt die wundersame Läuterung eines Menschen vom bösen Geizhals/Sünder zum Gebenden/Gutmenschen auf so herrliche Weise nahe wie Charles Dickens in der „Weihnachtsgeschichte“. Sein fieser Ebenezer Scrooge ist für Atwood ein gefundenes Fressen. Und genau ihm widmet sie ihr Schlusskapitel „Payback“. Sie erfindet praktisch die „Weihnachtsgeschichte“ neu.

„Scrooge Nouveau“, wie Atwood den „neuen Scrooge“ nennt, lebt jetzt und heute. Die drei ihn heimsuchenden Geister führen ihn wie auch bei Dickens in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, wobei die eine Seite des futuristischen Bildes einfach furchtbar, aber leider nicht unrealistisch ist. In zeitlicher Abfolge: Finanzkrise aufgrund des Ungleichverhältnisses von Schulden und Schuldnern, Weltwirtschaftskrise, Welthunger und -Armut, Umwelt kaputt, Tiere und Menschheit am Aussterben, Riesen-Kakerlaken bevölkern das, was noch übrig ist. Die andere Seite offenbart freundlichere Optionen.

Die Wurzel allen Übels ist, so erfahren wir, dass der Mensch sich nicht mit dem zufriedengibt, was er hat. Schuld, Sünde, Zahltag. „Payback“ ist ein grandioses Buch, das nicht nur einen hohen Informations-, sondern auch einen großen Unterhaltungswert hat, und das auf sehr humorvolle, aber eindringliche Art (wie einst Marlene Dietrich) fragt: Wann wird man je versteh'n?

Literaturangaben:
ATWOOD, MARGARET: Payback – Schulden und die Schattenseiten des Wohlstands. Berlin Verlag, Berlin 2008. 242 S., 18 €.

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