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Biographie des Künstlers Bruno Schulz (1892-1942)

Jerzy Ficowskis „Bruno Schulz. Ein Künstlerleben in Galizien“

© Die Berliner Literaturkritik, 23.01.08

 

MÜNCHEN (BLK) – Jerzy Ficowski erzähle von den Nöten, Obsessionen und Bedrohungen, die die Biographie des Zeichners und Kunstlehrers Bruno Schulz prägten, berichtet der Carl Hanser Verlag. Mit zwei schmalen Büchern hätte sich Schulz in den dreißiger Jahren an die Spitze der Weltliteratur geschrieben, nach Kafka und Rilke, neben Marcel Proust, Thomas Mann und James Joyce. Zu seinen Verehrern würden Primo Levi, John Updike, Philip Roth, J. M. Coetzee und David Grossman gehören.

In Drohobycz, seiner Heimatstadt im Grenzland zwischen Polen und Ukraine, die 1939 von der Roten Armee und 1941 von den Deutschen besetzt wurde, schuf Schulz phantastische und groteske Traumbilder, und spät in seinem kurzen Leben, das 1942 tragisch endete, brach sich sein Dichtergenie Bahn mit den mythischen Erzählungen von den Zimtläden und vom Sanatorium.(Klappentext) (wag/wip)

 

Leseprobe:

© Carl Hanser Verlag ©

Bis zum November 1941 hatte Schulz noch Hoffnung gehabt: er lebte weiterhin in seinem Haus an der Floriañska-Straße und hielt Kontakt zu Anna P³ockier, wenn auch seltener und nur brieflich. Dieser Kontakt war für ihn äußerst wichtig, denn so konnte er über Kunst diskutieren; noch war er nicht völlig abgestumpft und auf die elementarsten Empfindungen von Hunger und Angst reduziert. Am 23. September 1941 schrieb er an Anna: “Der Gedanke an Sie ist für mich ein wahrer heller Punkt, ich grenze ihn von den täglichen Gedanken aus und bewahre ihn für bessere Augenblicke auf, am Abend. Sie sind Partnerin meiner inneren Dialoge über Dinge, die für mich wesentlich sind.” Und als er in einem Brief erwähnte:“ Das Vorgefühl sagt mir, daß wir uns bald wieder treffen werden”, war das eine vorsichtige Anspielung auf die beabsichtigte Flucht nach Warschau, wohin die sechsundzwanzigjährige Anna und ihr Verlobter ebenfalls heimlich zu fliehen gedachten.

Vielleicht hätte die Sehnsucht nach Anna Angst und Widerstände bei Schulz überwunden und ihn trotz allem dazu bewogen, ihr nach Warschau zu folgen. Doch es kam anders: Anna und Marek flohen nicht rechtzeitig. Beim zweiten Pogrom gegen die Juden von Borys³aw, den die Nazis am 27. November 1941 mit Hilfe ukrainischer paramilitärischer Trupps verübten, wurden die beiden mit Hunderten anderer Juden in die Wälder bei Truskawiec verschleppt, ermordet und in einem Massengrab verscharrt – genau auf dem Gebiet der Schulzschen “Republik der Träume”, in der von ihm verewigten Szenerie seiner Kindheit, wo der wohltuende Zauber der Welt waltete und der ungefährliche Schein von Gefahren nur den Glanz eines durch nichts bedrohten Daseins steigerte.

Dieses tragische Ereignis erschütterte Schulz bis ins Innerste. Von diesem Schlag hat er sich nicht mehr erholt. Bald darauf erfolgte seine Zwangsumsiedlung ins Ghetto. Plötzlich mußte er das Haus verlassen, in dem er über dreißig Jahre gelebt hatte, und in ein kleines eingeschossiges Haus an der Stolarska-Straße Nummer 18 ziehen. Was nicht in seinem neuen, beengten Zuhause Platz fand, mußte er zurücklassen. Er beschloß, zu retten, was ihm das Wichtigste war: sein literarisches und künstlerisches Werk. Seine Zeichnungen und Manuskripte vertraute er Menschen an, die weniger gefährdet waren als er, “Katholiken außerhalb des Ghettos”, wie er sagte. Leider weiß man nicht, wer die Empfänger waren.

Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich weiter. Hin und wieder versuchte er, sich am Drohobyczer Krankenhaus ambulant behandeln zu lassen. Um nicht zu viel auf die Straße zu müssen, gab er die Behandlung schließlich ganz auf. Es begann eine Zeit heftiger Stimmungsumschwünge: es wechselten Phasen wachsender Hoffnung auf Rettung und tiefste Verzweiflung. Eines Tages traf ihn ein Kollege vom staatlichen Gymnasium auf der Straße. Bedrückt, aber äußerlich ruhig sagte Schulz plötzlich: “Bis zum November wollen sie liquidieren.” Dieser Kollege schreibt:

Ich verstand ihn nicht, aber sein Ton machte mich nachdenklich und besorgt. Ich fragte: “Wen?” und “Was heißt das – liquidieren?” Schulz erwiderte: “Uns Juden”, und dann wiederholte er das Wort “liquidieren”. Da begriff ich. Später erinnerte ich mich an den Ausdruck, den er benutzt hatte, und erinnerte mich der Gerüchte, die unter der nichtjüdischen Bevölkerung häufig auftauchten und wieder verschwanden. Aber damals wollte und konnte ich nicht glauben, daß es wirklich passieren könnte. Ich hielt es für unwahrscheinlich, unvernünftig, und sagte ihm das. Er sah mich an wie einen Menschen, der ihm völlig fremd ist. In dem Moment wurde mir der Unterschied zwischen seiner Lage und meiner klar. Er sollte zu einem Entrechteten werden.

Den Berichten von Menschen, die den Hinrichtungskommandos und den Transporten in die Todeslager entgingen, verdanken wir die wesentliche Nachricht, daß Schulz sich in diesem letzten, schwersten Abschnitt seines Lebens Notizen machte. Er lebte im Ghetto, wo der Hunger herrschte. Für die ganze Familie gab es ein wenig deutsche Suppe und eine schmale, sorgsam rationierte Portion Brot. Unter denen, die Schulz besuchten, war ein Bekannter, ein Ingenieur namens Micha³ Mirski. Dreimal hatte man auf ihn geschossen, und dreimal war er mit dem Leben davongekommen. Schulz bat ihn, diese Ereignisse genauer zu schildern, und machte sich fleißig Notizen. Als die beiden sich am 9. November 1942 zum letzten Mal trafen, hatte Schulz schon hundert Seiten Notizen, und er sagte, er sammle Material für eine Arbeit über das schrecklichste Martyrium der Geschichte. Ausgemergelt und schwach, sprach Schulz mit kaum hörbarer Stimme. Er hatte noch zehn Tage zu leben.

Tag für Tag wurde es schlimmer, schwand die Hoffnung dahin. Wegen des quälenden Hungers und des alles bestimmenden Kampfes um das biologische Überleben konnte Schulz in Phasen tiefster Depression mit Freunden nur noch vom Essen sprechen, von der Wonne, den Hunger zu stillen, von der Freude am vielfältigen Geschmack der Speisen. In ratlosen, panischen Briefen nach Warschau fragte er, was er tun solle. Hilfsangebote kamen von Kreisen, die der Heimatarmee, der Untergrund-Streitmacht der polnischen Exilregierung in London (Armia Krajowa, AK) nahestanden, aber auch von Gruppen der Linken. Alle rieten Schulz, so schnell wie möglich nach Warschau zu kommen. Man schickte Dollars, ein Teil des Geldes wurde ihm persönlich von seinem Kollegen Friedman überbracht; Schulz beschloß aber, erst dann zu gehen, wenn auch Friedman “arische Papiere” haben würde, gefälschte Ausweise, die die Flucht aus Drohobycz ermöglichen würden. Alte Freunde in Warschauer literarischen Kreisen kamen endlich zu dem Schluß, daß sie nicht mehr auf Schulz’ eigene Initiative rechnen konnten, sondern ihm bei der Flucht aus Drohobycz tatkräftig helfen mußten. Schulz setzte das Datum auf den 19. November 1942 fest.

Er starb, erschossen auf der Straße seiner Heimatstadt, um die Mittagszeit am Tag der geplanten Flucht, einem Tag, den Überlebende als “schwarzen Donnerstag” bezeichneten, im Zuge einer “wilden Aktion” der Gestapo. Den Vorwand lieferte ein Apotheker im Ghetto namens Kurtz-Reines, der nach Ungarn flüchten wollte und sich eine Waffe beschafft hatte. Auf der Straße von einem SS-Mann namens Hübner gestellt, feuerte er einen Schuß ab, der den Deutschen offenbar am Finger verletzte. Die SS schritt zur Vergeltung und begann mit einer Verfolgungsjagd. An diesem Vormittag waren Schulz und Friedman nicht bei der Arbeit, sondern hielten sich im Ghetto auf, um Brot zu holen. Sie wurden von der Schießerei überrascht. Andere unverdächtige Passanten bekamen Angst und rannten davon. SS-Leute suchten sich Flüchtende als Opfer aus, rannten ihnen nach und erschossen sie, wenn sie sie in einem der Häuser, wo sie Zuflucht gesucht hatten, im Treppenhaus oder in einer Wohnung erwischten.

Kurz zuvor hatte Landau den Drohobyczer Zahnarzt Löw erschossen, der ein Schützling eines anderen Gestapobeamten war, des SS-Scharführers Karl Günther. Landau und Günther waren seit langem verfeindet, und so suchte Günther sich für die Tötung Löws an seinem Rivalen zu rächen. Er hatte Drohungen ausgestoßen und Schulz gesucht, um ihn umzubringen. Er machte sich die Donnerstags-Aktion zunutze und erschoß Schulz an der Ecke Czacki und Mickiewicz-Straße.

©Carl Hanser Verlag ©

Literaturangaben:
FICOWSKI, JERZY: Bruno Schulz. Ein Künstlerleben in Galizien. Aus dem Englischen von Friedrich Griese. Carl Hanser Verlag, München 2008. 192 S., 19,90 €. (Das Buch erscheint am 08.03.2008.)

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