BERLIN (BLK) – Die „FAZ“ lobt Annelies Laschitzas Biografie über den Politiker Karl Liebknecht. Weniger gut gefallen ihr Werke über das Russland Putins und über die Geschichte des Kaffeeklatsches. Die „NZZ“ hält Igal Avidans Israel-Buch für eine lohnende Lektüre. Außerdem in der Presseschau: eine Studie zu Sören Kierkegaard und Aufsatzbände zu den Erfolgsursachen des Rechtsextremismus.
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“
Annelies Laschitza habe eine Biografie über den am 15. Januar 1919 ermordeten KPD-Führer Karl Liebknecht verfasst. Ihre Absicht sei es, ihn aus dem Schatten Rosa Luxemburgs herauszuholen. In einer „faktenorientierten, sinnvoll proportionierten Darstellung“ beleuchte sie die unterschiedlichen Facetten seines Lebens. Der familiäre Kontext werde ebenso ausführlich behandelt wie Liebknechts Laufbahn und Wirken als Politiker, die Krisen in seiner Persönlichkeitsentwicklung kämen zur Sprache wie sein „schwieriger“ Charakter, schreibt der Rezensent Eberhard Kolb. Laschitzas mit Empathie geschriebene Biografie verzichte auf prononcierte Wertungen, lege die Fakten vor und spare auch die weicheren Züge bei Karl Liebknecht nicht aus. Das von ihr entworfene Lebensbild sei lesenswert, schließt die „FAZ“.
Edward Lucas, zwischen 1998 und 2002 Leiter des Moskauer Büros des „Economist“, meint in seinem Buch „Der Kalte Krieg des Kreml“, Russland habe sich in den letzten 10 Jahren in ein autoritär regiertes Land verwandelt, dessen Regierung demokratische und rechtsstaatliche Verfahren verachte und mit Füßen trete, informiert die „FAZ“. Der Rezensent Jörg Baberowski findet, dass Lucas nichts erzähle, was man nicht schon einmal anderswo gehört oder gelesen hätte, auch finde man in seinem Buch keine Erklärungen. Lucas wolle kein Historiker sein, sondern Ankläger und Richter, der die „Diktatur und ihre Verharmlosung verurteilt“. Der Westen müsse seine politische Blindheit überwinden, verlangt Lucas. Der Westen müsse sich dem Kalten Krieg stellen und gewinnen. Doch leider gebe er keine Antwort auf die Frage, wie der Krieg gewonnen werden solle, bemängelt der Rezensent.
Die „FAZ“ bespricht zwei Aufsatzbände über die Erfolgsursachen des Rechtsextremismus. Der von Andrea Röpke und Andreas Speit herausgegebene Band über die NPD zeige, wie es den Rechtsextremisten gelungen ist, ihre Akzeptanz in der Gesellschaft allmählich zu verbreitern. In den acht gut recherchierten Beiträgen verzichteten die Autoren – allesamt Journalisten – auf „generalisierende analytische Einordnungen“. Der von Christoph Butterwegge und Gudrun Hentges herausgegebene Band „Rechtspopulismus, Arbeitswelt und Armut“ wolle zeigen, dass die Empfänglichkeit für rechtspopulistische und rechtsextreme Einstellungen bei den gesellschaftlichen Gruppen am größten ist, die in ihrer Arbeitswelt die negativen Folgen der ökonomischen Entwicklung am eigenen Leibe erfahren müssen. Dass dieser Band andere wissenschaftliche Stimmen abqualifiziere und in die Nähe der NPD rücke, mache das „verschwörungstheoretische Szenario komplett“ und nehme den im Buch „versammelten Studien manches von ihrer Überzeugungskraft“, schließt Rezensent Frank Decker.
Der von Jens Becker und Achim Engelberg herausgegebene Band „Serbien nach den Kriegen“ informiere über Serbiens jüngste Entwicklung und die Schuld des Westens, schreibt die „FAZ“. Durchweg kenntnisreiche Autoren beschrieben die jüngste Entwicklung eines Staates, der „in den beiden vergangenen Dekaden vor allem als Krisenexporteur in Erscheinung“ getreten sei. Die lückenhafte Modernisierung der serbischen Gesellschaft sei ein roter Faden, der sich durch alle Texte zieht. Besonders aufschlussreich findet der Rezensent den Beitrag des Belgrader Publizisten Aleksa Djilas, ein Sohn des 1995 gestorbenen Kommunistenführers Milovan Djilas, zunächst enger Weggefährte Titos, später berühmtester Dissident in dessen Diktatur. Sein Sohn konstatiere nun, dass der Westen schon deshalb eine Mitschuld am Zerfall Jugoslawiens trage, weil der Westblock Titos Staat zu lange unterstützt habe.
Die „FAZ“ kritisiert Katja Mutschelknaus’ Sachbuch „Kaffeeklatsch“. Die Rezensentin Franziska Seng bespricht die Vorliebe der Autorin für „ritualisierte Damengesellschaften“. Der Leser des Buches werde in die 300jährige Geschichte des Kaffees eingeführt, welche über berühmte Persönlichkeiten wie Sebastian Bach und Günter Grass verfügt. Laut der Autorin ist der „Kaffeeklatsch“ zu Unrecht „belächelt“ worden. Vielmehr sei das „Kaffeekränzchen“ die „Wiege der Emanzipation“. Franziska Seng kritisiert die „Textpassagen ohne Zusammenhang“ und die „willkürlich“ aneinander gereihten Anekdoten.
Hermann Kurzke beschreibt für die „FAZ“Joachim Zelters Universitätsroman „How are you Mister Angst?“ als „komisch und rührend zugleich“. Es handle sich bei dem Werk um eine ironische Darstellung der heutigen Universität. Die ehemals ehrfürchtige Lehrstätte präsentiere sich nun als „traurige, visionslose“, sogar „hochgradig alberne“ Einrichtung. Den Protagonisten „Mister Angst“ plagen Selbstmordgedanken und retten kann ihn letztlich nur die Liebe einer Frau. „Literarisch gekonnt“ und „psychologisch klug“ inszeniere der Autor diese skurrile Geschichte. Der Rezensent vergleicht dessen Gedankensprünge mit Kafka.
Steffen Gnam bespricht für die „FAZ“ Hwang Sok-yongs Bürgerkriegsroman „Der Gast“. In diesem „meisterlich komponierten belletristischen Aufarbeitungsprojekt des Bürgerkrieges“ geht es laut dem Rezensenten nur vordergründig um eine Familiensaga. Wichtiger scheint die „dokumentarisch angehaute“ Verarbeitung des koreanischen Bürgerkrieges. Durch den Titel erzeuge der Autor einen „bitteren Beigeschmack“, hervorgerufen durch die „Mehrdeutigkeit“ des koreanischen Wortes für Gast. Für Steffen Gnam trägt dieses Buch einen „Erlösungsgedanken“ in sich.
Die „FAZ“ thematisiert die „Geschichte des Liedes“ von Elisabeth Schmierer. Für die Rezensentin Ellen Kohlhaas handelt es sich um eine „kenntnisreiche, anschauliche und sprachgewandte“ Vermittlung von Musikwissen. Die Autorin dokumentiere die Geschichte des Liedes vom Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert eindrucksvoll. Das Singen verschwinde leider immermehr aus der Alltagskultur, was nicht zuletzt im Missbrauch des Liedguts durch den Nationalsozialismus begründet liege. Die Rezensentin beurteilt das umfassende und „reichhaltige“ Buch Schmierers positiv.
„Neue Zürcher Zeitung“
Rechtzeitig zum 60. Geburtstag des Staates Israel am 14. Mai lege der Politikwissenschafter und Fachjournalist Igal Avidan eine „tiefgehende kritische Analyse des israelischen Staates und seiner Gesellschaft“ vor, schreibt die „NZZ“. Auf der Basis von über 80 Interviews mit Israelis – unter anderem mit Politikern, Wissenschaftern, Literaten und Aktivisten – zeige der 1962 in Tel Aviv geborene, in Berlin lebende Autor nach eigenen Angaben „ein Röntgenbild Israels jenseits der gängigen Klischees von frommen Rabbis und sexy Soldatinnen“. Das Buch sei eine „ehrliche Standortbestimmung Israels und seiner Gesellschaft“. Dafür sei dem Autor Lob zu zollen.
„Süddeutsche Zeitung“
Konrad Paul Liessmann bespricht Sophie Wennerscheids Studie „Das Begehren der Wunde“ für die „SZ“. „Das Leben ist eine Wunde und die Wunde heilt so schwer“, so könnte man den Grundgedanken des Philosophen Sören Kierkegaards (1813-1855) umschreiben. Für Liessmann ist Wennerscheids Studie eine „umfangreiche, faszinierende und philologisch bestechende“ Einführung in Kierkegaards Gedankenwelt. Entscheidende Ideen des Philosophen seien der „dämonische Verführer“ und das „vertrackte Spiel der Macht“. Die Studie überzeuge durch eine Detailkenntnis von Kierkegaards Umfeld. Die zentralen Thesen sind nach der Ansicht des Rezensenten „präzise auf den Punkt gebracht“. (lea/wip)
Literaturangaben:
AVIDAN, IGAL: Israel. Ein Staat sucht sich selbst. Diederichs, Verlag Heinrich Hugendubel, Kreuzlingen / München 2008. 214 S., 19,95 €.
BECKER, JENS / ENGELBERG, ACHIM (Hrsg.): Serbien nach den Kriegen. Edition Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008. 350 S., 13 €.
BUTTERWEGGE, CHRISTOPH / HENTGES, GUDRUN (Hrsg.): Rechtspopulismus, Arbeitswelt und Armut. Befunde aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Verlag Barbara Budrich, Opladen 2008. 306 S., 24,90 €.
LASCHITZA, ANNELIES: Die Liebknechts. Karl und Sophie – Politik und Familie. Aufbau Verlag, Berlin 2007. 511 S., 24,95 €.
LUCAS, EDWARD: Der Kalte Krieg des Kreml. Wie das Putin-System Russland und den Westen bedroht. Riemann Verlag, München 2008. 413 S., 19 €.
MUTSCHELKNAUS, KATJA: Kaffeeklatsch. Die Stunde der Frauen. Elisabeth Sandmann Verlag, München 2008. 144 S., 19,95 €.
RÖPKE, ANDREA / SPEIT, ANDREAS (Hrsg.): Neonazis in Nadelstreifen. Die NPD auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft. Ch. Links Verlag, Berlin 2008. 208 S., 16,90 €.
SCHMIERER, ELISABETH: Geschichte des Liedes. Laaber Verlag, Laaber 2007. 400 S., 42 €.
SOK-YONG, HWANG: Der Gast. Aus dem koreanischen von Young Lie, Katrin Mensing und Matthias Augustin. dtv, München 2007. 300 S., 15 €.
WENNERSCHEID, SOPHIE: Das Begehren nach der Wunde. Religion und Erotik im Denken Kierkegaards. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2008. 351 S., 32,80 €.
ZELTER, JOACHIM: How are you, Mister Angst? Ein Universitätsroman. Verlag Klöpfer& Meyer, Tübingen 2008. 182 S., 18,90 €.
Presseschau vom 30. April 2008
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