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Tiefgründiger Witz, witzige Tiefgründigkeit

Ein weiteres Glanzstück: Tilman Rammstedts „Der Kaiser von China“

© Die Berliner Literaturkritik, 17.03.09

 

Wer auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk bei Amazon über Tilman Rammstedts neuen Roman „Der Kaiser von China“ stolperte, der fand dort auch eine Art Promotionsvideo. Ein wie immer charmant verwuschelter Tilman Rammstedt schaut uns da an, er sitzt ganz offensichtlich in einem chinesischen Schnellrestaurant und spricht über seinen neuen Roman. Das tut er in (Pseudo-) Chinesisch, aus dem Off spricht er noch die Übersetzung dazu. Darin beglückwünscht er den chinesischen Käufer, dass er sich für das Buch entschieden hat.

Vor allem, weil es anders als die deutsche Ausgabe nicht nur dreihundert Seiten mehr hat, sondern auch vollkommen umgeschrieben ist: Der Großvater habe anstatt nur einem gleich drei Arme, Sexszenen sind durch „vielsagende Federballpartien“ ersetzt. Und Franziska, die weibliche Hauptfigur des Romans, neigt jetzt nicht nur nicht zu unkontrollierten Wutausbrüchen, nein. „In fast jedem Kapitel der chinesischen Ausgabe sieht man sie einen niedlichen Welpen kraulen oder Kräutertee zubereiten.“

Dieses Video ist symptomatisch für den jungen Berliner Autor, der mit einem Auszug aus „Der Kaiser von China“ im Sommer den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen hat. Enkel Keith soll darin seinen Großvater zu einer Reise nach China begleiten, lässt ihn allerdings alleine fahren. Sein Großvater – ein misanthropischer, einarmiger Frauenheld mit der Absicht, dem Tod von der sprichwörtlichen Schippe zu springen – stirbt allerdings. Da Keiths vier Geschwister und seine Verlobte Franziska – vormals die Geliebte des Großvaters – aber annehmen, er sei mit seinem Großvater nach China gefahren, muss er sich etwas einfallen lassen.

Das tut er dann auch, indem er seinen Lebensmittelpunkt unter den Schreibtisch verlegt, damit seine Wohnung von außen unbewohnt wirkt. Und indem er seinen Geschwistern gefälschte Ansichtskarten aus China schickt. In ihnen erzählt er eine atemberaubende Geschichte und lässt dabei ein China entstehen, das – so glaubt man unwillkürlich – viel mehr Charme, Herz und Lächeln besitzt als das Original. Der Großvater, den Keith am Anfang noch als rechthaberischen, dominanten Unmenschen beschrieben hat und der in Wirklichkeit schon in einer Leichenhalle im Westerwald liegt, wird in der erfundenen China-Reise zum Mann mit Geschichte, mit Vergangenheit und einer großen Liebe. Deren offenes Ende bringt Rammstedt zu einem kaum beschreibbar romantischen Schluss. Immer wieder scheint dabei natürlich der für ihn so typische Humor auf.

Die Menschen in den Geschichten von Tilman Rammstedt hängen in recht ausweglosen (gedanklichen) Situationen fest, die sie sich nicht selten selbst eingebrockt haben. So arbeiten sich diese Menschen an einer Realität ab, in der sie sich nicht zurechtfinden. Sie wollen sie verändert wissen, oder sie am liebsten selbst verändern. Rammstedt zeigt dem Leser echte Menschen: voller Gedanken, voller Zweifel und voller Tatendrang, von dem sie allerdings nicht wissen, in welche Richtung sie ihn treiben sollen.

Diese so sehr Empathie hervorrufenden, weil einfach so menschlichen Figuren werden eingefasst von einem kaum fassbaren sprachlichen Genius. Nach seinem Kurzgeschichtenband „Erledigungen vor der Feier“ und dem Roman „Wir bleiben in der Nähe“ legt Tilman Rammstedt mit „Der Kaiser von China“ wieder ein Stück Literatur voller tiefgründigem Witz und witziger Tiefgründigkeit vor. Von dem man überwältigt ist. Um das man ihn beneidet. Und für dass man sich bei ihm bedanken möchte.

Von Martin Spieß

Literaturangaben:
RAMMSTEDT, TILMAN: Der Kaiser von China. Roman. Dumont Bucherverlag, Köln 2008. 160 S., 17,90 €.

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