Von Frauke Kaberka
Es ist ein Buch für starke Nerven, denn mit Leichen und bestialischen Details wird nicht gespart: Zum dritten Mal schickt der britische Autor Simon Beckett in dem Thriller „Leichenblässe“ seinen Forensiker David Hunter in die Spur, um bei einer Mordermittlung behilflich zu sein. Doch der geht nur widerwillig ans Werk: Erstens, weil er nach einem beinahe tödlichen Überfall noch das traumatische Erlebnis zu verarbeiten hat. Zweitens, weil er sich nicht sicher ist, ob er überhaupt noch in seinem Job arbeiten will. Und drittens, weil sich der besagte Mord in den USA ereignet hat und er Engländer ist.
Nun ist es ausgerechnet sein alter Freund und früherer Lehrer Tom Lieberman, der Hunter in die Staaten holt, damit er mit ihm auf der „Body Farm“, einem Forschungsgelände für forensische Anthropologie, die verschiedenen Verwesungsstadien von Leichen studiert. Sein Hintergedanke ist, Hunter dadurch wieder ins Berufsleben zurückzuholen. Doch dann wird Tom als Experte zu einem aktuellen Mordfall hinzugezogen, und er bittet Hunter, ihm bei den Untersuchungen zu helfen.
Sowohl Lieberman als auch die „Farm der Leichen“ dürften Beckett-Fans aus den sehr erfolgreichen Vorgängerromanen „Die Chemie des Todes“ (2006) und „Kalte Asche“ (2007) kennen. Und natürlich David Hunter, den müden Anti-Helden, der weder mit sich noch der Welt im Reinen ist und schon bald glaubt, dass seine Reise nach Tennessee ein Fehler war. Nicht etwa, weil besagter Mordfall Rätsel aufgibt. Das ist sein Metier. Doch gleichermaßen, wie der Sumpf des Verbrechens ungeheure Ausmaße annimmt, wächst Hunters seelische Zerrissenheit.
Beckett, der selbst einschlägige Erfahrungen in der Polizeiarbeit gesammelt hat, legt sein Hauptaugenmerk weniger auf kriminalistische Ermittlerdetails, sondern vor allem auf psychologische Studien der Protagonisten. In zwei parallelen Handlungssträngen nähert er sich der Täter – und der Aufklärerposition. So ist den handlungstragenden Kapiteln stets ein kursiv gedruckter Text vorangestellt, der die Gedanken des Mörders wiedergibt. Das Bild des psychisch kranken Täters kristallisiert sich allmählich heraus. Auch die Polizei glaubt schon bald zu wissen, um wen es sich handelt.
Auch wenn Hunter Forensiker ist und erheblich zur Aufklärung des Falls beiträgt, ist es doch sehr angenehm, dass Beckett nicht auf der Welle zahlreicher Fernsehserien wie CSI reitet, die sicher nicht immer ein authentisches Bild dieser Arbeit zeichnen. Vielmehr verbindet der Autor in „Leichenblässe“ Wissenschaft mit Intuition und Zufall. Die Grausamkeiten eines Wahnsinnigen erscheinen vielleicht als unwirklich. Doch ein Blick in Geschichte und Gegenwart, in Polizeiprotokolle hier oder in Übersee belehren eines Besseren: Das alles ist möglich – leider.
„Leichenblässe“ ist ein beklemmender, intelligenter Krimi, der nicht von ungefähr kurz nach Erscheinen auf dem deutschen Büchermarkt bereits den dritten Platz der aktuellen „Spiegel“-Bestsellerliste erobert hat und genauso erfolgreich zu werden verspricht wie seine Vorgänger. Und: Simon Beckett arbeitet bereits an einem weiteren David-Hunter-Roman.
Literaturangaben:
BECKETT, SIMON: Leichenblässe. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2009. 414 S., 19,90 €.
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