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Die armen Männer

Zu neuen Romanen von Maarten ’t Hart und Yasmina Reza

© Die Berliner Literaturkritik, 03.02.09

 

Die Zeiten werden härter, an den Job-Centern, wie Arbeitsämter neuerdings heißen, stehen nicht nur arbeitslose Bauarbeiter, nach fünfzehn Jahren aufopferungsvollen Kaffeekochens gefeuerte Sekretärinnen und verschuldete Computer-Freaks an, sondern auch Akademiker – wenn sie es denn tun. Die beiden, mit denen wir hier bekannt gemacht werden, tun es (noch) nicht.

Der Ich-Erzähler in Maarten ’t Harts Roman „In unnütz toller Wut“ (der im niederländischen Original schlicht „Lotte Weeda“ heißt) hatte das Glück, als Biologe die Auflösung seiner Abteilung an einer renommierten Universität durch den Beststeller-Erfolg seines Buchs über das menschliche Klonen kompensieren zu können, seitdem lebt er das beschauliche Junggesellen-Leben eines Frührentners in einem südniederländischen Dorf, in dem nur die Jumbojets stören, die tief über seinem Haus dem Flughafen Schiphol zustreben, ansonsten ist er dringlich mit seiner Obsession vom ökologischen Landbau beschäftigt, isst mäßig, raucht gar nicht, gräbt Beete um, hackt Holz: ein moderner Candide, der nur fuchtig wird, wenn er sich über die Unvernunft jener aufregt, die fahrlässig unsere Umwelt zerstören.

Bis Lotte Weeda erscheint, eine junge Fotografin von jener atemraubenden Schönheit, die nur aus der Mischung aus surinamesischen und holländischen Genen wächst. Die junge Dame hat sich vorgenommen, genau zweihundert Porträts von den Dorfbewohnern zu machen (eigentlich ist das trostlose Nest von fünftausend Einwohnern eine kleine Stadt, die an Bevölkerungsschwund leidet.) Der Ich-Erzähler gibt ihr gute Tipps, schreibt gar für das Buch, in dem die Fotos schließlich erscheinen, ein Vorwort – und wird damit zum Komplizen von Ereignissen, die das Dorf nachhaltig erschüttern. Denn kaum ist das Buch (das zweite, Lotte Weed hatte bereits in einem anderen Ort fotografiert und die Bilder veröffentlicht) erschienen, sterben die darin Abgebildeten wie die Fliegen. Was anderes als ostindischer Zauber kann dahinterstecken?

Der Autor lässt sich viel Zeit, seine Geschichte auszubreiten und dabei auch die Seelen- und Befindlichkeiten seines Helden (nahe fünfzig) ausführlich zu beschreiben, der zwar „eigentlich“ Lotte liebt (was ihm aber erst einfällt, als die längst nach Nordsumatra entschwunden ist, um dort im Kriegsgebiet zu fotografieren), aber des ungeachtet einer gut erhaltenen Gräfin ebenso vergeblich Avancen macht wie der protestantischen Ortspfarrerin in diesem erzkatholischen Nest, wo alle Straßen etwas mit Heiligen und Sakramenten zu tun haben: Ironie von der etwas gröberen Sorte; dafür schläft er mit einer „Transe“, will sagen, einem durch Geschlechtsumwandlung zur Frau (und Kosmetikerin) gewordenen Mann.

Dass er sich selbst zeitweilig in Gefahr wähnt, als immer mehr Porträtierte dahingehen, als Mitschuldiger oder gar Mitverschwörer. (Könnte es sich bei dem „Zauber“ nicht um eine moderne Geschäftsidee für Erpressungen handeln? Gelegentlich scheint er das selbst für nicht ganz abwegig zu halten.) Das betrübt ihn, aber es bringt ihn kaum je aus seiner etwas tranigen Ruhe, höchstens, dass er noch peinlicher auf seinen Blutdruck achtet und fürchtet, selbst ein Todeskandidat zu sein, ist er doch auch in dem Buch verewigt. Doch Maarten ’t Hart hat keinen Kriminalroman geschrieben: Alles bleibt in der Schwebe, war alles doch vorwiegend Geschwätz über sehr alte Leute, die erst fotografiert wurden und dann verblichen: So erklärt es die Statistik, die der Held zu Rate zieht.

Die häufigen Spitzen gegen das falsche Leben, die scharf geschnittenen Figurenbeschreibungen, die komischen Situationen und ein Plot, der Aufregung verspricht und dann doch beim „Alles hab so schlimm“ verröchelt – all das hat der Autor schön arrangiert. Sein Held ist ein typisches Weichei, bindungsscheu und gescheit, überkandidelt und nett, dem eine seiner Freundinnen zu Recht vorwirft: „Ein echter Naturwissenschaftler wie du will alles in Maße und Zahlen pressen. Finde dich doch einfach damit ab, dass manche Dinge rätselhaft und unerklärlich bleiben.“ Was er am Ende gelassen tut. In den Niederlanden sind die Leute nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen, außer jemand wie Theo van Gogh wird umgebracht.

Adam Haberberg ist auch ein Weichei: Der Titelheld im neuen Roman der Erfolgsschriftstellerin Yasmina Reza, deren Theaterstück „Kunst“ ein Hit für mehr als eine Saison war, sitzt auf einer Parkbank im Pariser Jardin des Plantes, schaut vernachlässigten Straußen in ihrem dreckigen Gehege zu und hat Mitleid mit sich selbst. Er ist siebenundvierzig Jahre alt, hat kahle Stellen im Haupthaar, eine im Telekommunikationsgewerbe höchst erfolgreiche Frau, zwei Kinder und bislang drei Romane geschrieben: Der erste erntete Bewunderung, der zweite Verrisse, der dritte nur noch Schweigen: keine Rezension, nirgends. In Paris ist das tödlich. Der Stadtneurotiker Haberberg hat Grund, Trübsal zu blasen.

Bis ihn auf der Parkbank eine nicht viel jüngere Schulfreundin von anno dunnemals aufgabelt, die sich mit Gadgets ein „Merchandise“-Imperium aufgebaut hat: Sie verkauft an Museen, Zoos und andere öffentliche Einrichtungen Kugelschreiber, Lesezeichen, Plastikspielzeug mit Motiven der jeweiligen Einrichtung (Monets „Seerosen“ in Giverny – in der Art) und wohnt in einer neuen Siedlung in der trostlosen Banlieue von Paris. Er lässt sich von ihr abschleppen: Immer noch besser als nach Hause zu gehen zur überarbeiteten schnippischen Frau, die ihn verachtet, seit er keinen Erfolg mehr hat, und den quengelnden Kindern. Doch was man nach dieser (langen) Exposition erwartet, dass sich die beiden Einsamen im Bett wiederfinden, passiert bei Reza naturgemäß nicht.

Vielleicht wird Haberberg ein von einer Thrombose in den Retina-Adern bedrohtes Auge verlieren, vielleicht aber auch nicht, vielleicht wird er von nun an Groschenromane schreiben, vier im Jahr zu je dreitausend Euro – ein Angebot für Sciencefiction-Schund liegt vor: „Die Wahrheit ohne Absicht, ohne den Wunsch nach Originalität, ohne Wunsch, nicht mehr und nicht weniger.“ Wenn das keine Selbstrezension der Autorin ist! Wobei „Wahrheit“ dann das wäre, was den Gerüchten zufolge „wirklich“ passiert. Was aus Haberberg wird, bleibt offen, so offen wie das seines intellektuellen holländischen Kollegen. Reza, deren Begabung der spitze, gelind bösartige Dialog und die genaue Kenntnis und die profunde Verachtung alles Kleinbürgerlichen ist, hat kaum mehr geschrieben als eine maßvoll kritische Etüde, eine Salonfassung jenes weltverachtenden Katers, mit dem Houellebecq berühmt wurde. Mitleid mit Haberberg hat sie keines. (So wenig ’t Hart mit seinem Helden, aber der hat auch keins nötig.)

Die Zeit der männlichen Helden ist, so scheint es, zunächst einmal wieder vorüber. Die Mode, Männer als bedauerliche Figuren in der „Midlife-Krise“ zu zeigen, kommt ja ungefähr alle zehn Jahre einmal auf den literarischen Laufsteg, dann haben Weicheier Konjunktur. Dass diese Moden meist mit ökonomischen Krisen zusammenfallen, sollte niemand überraschen. Zumal solche Bücher ja nicht müde werden, den unbefriedigenden Zustand der globalisierten Welt mit wütender Energie zu verbalisieren. Mit der Insistenz etwa eines Thomas Bernhard hat das freilich nichts zu tun. Die Autoren nassauern mehr oder minder vergnüglich und geistreich bei dem, was ohnehin in aller Munde ist, und können sich dabei der Zustimmung aller Hartgesottenen sicher sein, die dergleichen lesen, um sich zu versichern, dass sie keine Weicheier sind. Bis zur nächsten Kündigungswelle.

Literaturangaben:
’T HART, MAARTEN: In unnütz toller Wut. Roman. Aus dem Niederländischen von Gregor Seferens. Piper Verlag, München 2004. 348 S., 19,90 €.
REZA, YASMINA: Adam Haberberg. Roman. Aus dem Französischen von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel. Hanser Verlag, München 2005. 152 S, 15,90 €.

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