Ketil Bjørnstad: Oda (Roman) |
Ketil Bjørnstad: Oda |
Inhaltsangabe:Ottilia ("Oda") Lasson wurde am 11. Juni 1860 in Åsgårdstrand als Tochter des norwegischen Regierungsrats Christian Lasson und dessen Ehefrau Alexandra geboren. Der Vater vertrat konservative Anschauungen und warnte beispielsweise in einer Diskussion: "Ein Stimmrecht für Frauen würde zu einer Katastrophe für die Demokratie führen." (Seite 23)
Die Mutter, eine geborene von Munthe av Morgenstierne, äußerte sich auch im kleinen Kreis nicht zu solchen Themen, denn einer Frau stand keine politische Meinung zu. Sie hatte ohnehin mit ihren zehn Kindern Nastinka, Oda, Alexandra, Marie, Mimi, Bokken, Soffi, Betsy, Per und Christian vollauf zu tun, auch wenn sie dabei vom Personal unterstützt wurde. "Findest du es sehr erstrebenswert, der Mann einer Frau zu sein, die von einem Anderen ein Kind bekommt?" (Seite 103)
Engelhart war entrüstet, aber er gab sie nicht frei. Stattdessen verprügelte er sie kurze Zeit später. "Deshalb musst du, mit Rücksicht auf dich wie auf uns, darauf verzichten, jemals wieder einen Fuß nach Kristiana zu setzen." (Seite 121)
Unmittelbar nach der Geburt vertrauten Oda und Christian Krohg ihre Tochter belgischen Pflegeeltern an. Dann kehrten sie nach Kristiana zurück und taten so, als habe es sich um einen Studienaufenthalt des Lehrers mit seiner Schülerin gehandelt. Die Leute fragten sich, ob sie einem Gerücht aufgesessen waren, als sie geglaubt hatten, Oda erwarte trotz der ohnehin schon skandalösen Trennung von ihrem Ehemann ein drittes Kind. In unserer Gesellschaft gibt es eine kleine Schar von Menschen – meistens Söhne von tüchtigen und anständigen Eltern –, für die das arme und von jedem Geist verlassene Leben in unserer modernen Gesellschaft nicht die Anziehungskraft hat, dass die Aussicht, so ein Leben zu führen, dazu ermahnt, die eigene Energie zu mobilisieren. Menschen, für die die moderne Gesellschaft eine öde, trostlose Sandwüste ist, wo sie nirgends ein Heim gründen, wo sie nur umherziehen und nach dem Leben schmachten. Diese kleine Schar, das sind die zu früh geborenen Kinder der Zukunft, die erste Aussaat, Männer mit einem großen Verlangen, einem Zukunftsverlangen, das erst in freieren, reicheren und schöneren Gesellschaftsformen verwirklicht werden kann, die zu schaffen der Zukunft vorbehalten ist – das ist der flüchtige, heimatlose Boheme. (Seite 130f)
Der Roman mit dem Titel "Kristiana-Boheme" erschien am 11. Dezember 1885 – und wurde noch am selben Tag verboten. Hans Jæger verlor seine Stelle beim Storting, und ein Richter verurteilte ihn am 29. April 1886 zu achtzig Tagen Haft. Im Berufungsverfahren milderte das Oberste Gericht die Strafe zwar auf sechzig Tage Arrest, doch als das Buch in Schweden unter dem Titel "Hans Jægers Weihnachtserzählungen" veröffentlicht wurde, erhielt er am 20. Juni 1887 noch einmal 150 Tage Arrest, und in einem weiteren Verfahren, das ausgerechnet Regierungsrat Christian Lasson gegen ihn führte, schloss man den inzwischen Dreiunddreißigjährigen im September 1887 vom Universitätsstudium aus. Ihr ganzes Leben hatte sich Oda abhängig gefühlt, zuerst von ihrer Mutter, dann von ihrem Vater und dem Bruder Per. Jetzt war es Krohg gelungen, die Fäden so zu verknüpfen, dass sie zu einer Fessel wurden. (Seite 266f) Im Gespräch mit dem neun Jahre älteren dänischen Künstler Peter Severin Krøyer meinte Oda: "Das eine will ich Ihnen sagen, Krøyer. Auch wenn ich mich für eine so genannte bürgerliche Ehe entschieden habe, bedeutet das noch nicht, dass ich beabsichtige, gefühlsmäßig abzustumpfen [...] Ich habe Krohg geheiratet, weil es meine einzige Möglichkeit war, mein einziges reelles Angebot. Sie verstehen, eine Frau in meiner Situation muss nehmen, was sie kriegen kann. Ich will nicht, dass sich meine Kinder an mich erinnern als eine versoffene, bettlägerige Vettel, die nach etwas jammert, was wir mit einem armseligen Wort Liebe nennen. Zu viele Menschen haben Macht über mich gehabt, verstehen Sie, und haben gewusst, sie zu gebrauchen." (170f)
Oda litt unter Stimmungsschwankungen, und sie merkte, dass sie wieder schwanger war. Als sie einmal mit ihrem Mann und dem Ehepaar Krøyer am Strand spazieren ging, zog sie sich unvermittelt nackt aus und wollte in dem kalten Wasser schwimmen. Nana würde ihr Alptraum bleiben, egal wo in der Welt sie sich befand. Ihr gegenüber hatte sie als Mutter versagt, und zwar an dem Tag, an dem sie das Mädchen zur Welt brachte. (Seite 297) Im Frühjahr 1890 holten Christian und Oda Krohg ihre sechsjährige Tochter von den Pflegeeltern und nahmen sie ungeachtet des Klatsches mit nach Norwegen. Oda versuchte, ihren vier Kindern eine gute Mutter zu sein, doch im Jahr darauf reiste sie Hans Jæger nach Paris hinterher. In der französischen Metropole lernte sie den zehn Jahre jüngeren Schriftsteller Jappe Nilssen kennen, ließ sich von ihm in ein Séparée im Café Américain mitnehmen und begann eine Affäre mit ihm. Ursprünglich hatte sie die Sache kontrollieren wollen; Jappe sollte dazu benutzt werden, über Jæger hinwegzukommen. Jetzt war er an die Stelle von Jæger getreten. (Seite 310) Als Christian Krohg schrieb, Per sei krank, kehrte Oda zu ihrer Familie zurück. Jappe Nilssen folgte ihr eifersüchtig. Edvard Munch wunderte sich: "Es ist übrigens komisch mit Oda. Sie schwimmt überall obenauf, frisch und lächelnd, und alle Männer liegen im Morast und verkommen." (Seite 319)
Oda geriet völlig durcheinander. Einmal lief sie nackt in den Garten und rief nach Jappe Nilssen. Krohg holte sie behutsam ins Haus, aber einer Konfrontation mit dem Rivalen ging er aus dem Weg. Schließlich beendete Oda von sich aus das Verhältnis mit Jappe Nilssen. Sie brachte Ba und Sacha zu deren Tanten, redete viel über die freie Liebe und begann im Frühjahr 1892 eine Affäre mit dem psychisch labilen, aus Amerika zurückgekehrten Dichter Sigbjørn Obstfelder, der sechs Jahre jünger war als sie. "Sie wehren sich ganz einfach dagegen, dass andere Sie definieren wollen." (Seite 344) August Strindberg, der damals ebenfalls in Berlin lebte und zu den Stammgästen des Künstlerlokals "Zum Schwarzen Ferkel" zählte, hielt Oda für unmoralisch und warf ihr vor, Christian Krohg zu ihrem Sklaven gemacht zu haben: "Sie können nicht lieben, Frau Krohg. Sie können einfach nicht lieben. Sie können nur betrügen, im Stich lassen." (Seite 356)
Der norwegische Dramatiker Gunnar Heiberg, der sich von seiner Ehefrau Didi getrennt hatte, machte der drei Jahre jüngeren Oda in Berlin den Hof. Während Krohg auf direktem Weg von Berlin nach Paris fuhr, nahmen Oda und ihr neuer Lebensgefährte einen Umweg über den Schwarzwald. "Ihre unglaubliche ... Nymphomanie macht Sie zu einer Bedrohung für jede Ehe. Sie verfolgen mit einer Schamlosigkeit berühmte Männer, dass man in der Geschichte weit zurückgehen muss, um etwas Ähnliches zu finden, und dann auch nur bei Männern." (Seite 386) Im Frühjahr 1893 begleitete Oda ihren todkranken Vater zur Kur in Vichy. In der Nacht, in der er starb, schrieb sie Gunnar Heiberg: "Ich war immer abhängig von ihm, krankhaft abhängig. Deshalb war es wunderbar, sich von ihm befreit zu haben, während er noch lebte." (Seite 373)
Nach dem Tod ihres Vaters zog Oda in dessen Haus in der Grønnegate in Kristiana und holte ihre vier Kinder wieder zu sich. Ich glaube, dass alle Männer, die mir begegnet sind, auf die eine oder andere Weise vor der Realität geflohen sind. Sie erwarteten immer etwas anderes, erwarteten mehr, als es gab. Sie hatten eine Vision, aber einen Menschen unter einem Schleier kann man nicht sehen. Alle meine Männer waren sehr einsam. (Seite 381) |
Buchbesprechung:
In seinem Roman "Oda" stellt uns Ketil Bjørnstad eine außergewöhnliche Frau vor, die ihren eigenen Weg suchte und mutig genug war, aus ihren beiden Ehen auszubrechen: die norwegische Malerin Oda Krohg (1860 – 1935). Ketil Bjørnstad porträtiert nicht nur sie, sondern auch die Künstler und Literaten,
Der Norweger Ketil Bjørnstad (* 1952), der in Oslo, London und Paris Klavier studiert hatte, lebt als Pianist, Komponist und Schriftsteller in Oslo. Im Insel Verlag erschienen auch seine Romane "Erlings Fall" (2001), "Der Tanz des Lebens" (2002), "Villa Europa" (2004), "Vindings Spiel" (2006) "Der Fluss" (2009) und "Die Frau im Tal". |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2008 / 2010
Oda Krohg (Kurzbiografie) |