Emmanuel Bove: Menschen und Masken (Erzählung) |
Emmanuel Bove: Menschen und Masken |
Inhaltsangabe:Der Schuhfabrikant André Poitou ist Ende 50. Allein in Paris tragen sieben oder acht Läden seinen Namen, und er beschäftigt 3000 Arbeiter. Kürzlich wurde ihm das Kreuz der Ehrenlegion (Légion d'Honneur) verliehen. Er erfüllte alle nötigen Voraussetzungen. Sein Alter, seine Position, seine Verdienste um den nationalen Handel, die zahlreichen Vereine, Körperschaften und Verbände, denen er angehörte, hatten ihn zu dieser Würde geführt.
Aus diesem Anlass richtet Monsieur Dumesnil, der Präsident des französischen Schuhherstellerverbandes, an diesem Abend [in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts] im Hotel Gallia in Paris ein Bankett für André Poitou aus. Bis vor einigen Wochen hatte er mit außerordentlicher Sturheit nie geraucht und alle Zigaretten abgelehnt, die ihm angeboten worden waren. Jetzt kaufte er ägyptischen Tabak. Im Bankettsaal des Hotels ist eine Tafel für 120 Gäste gedeckt. Aber der Abend beginnt mit einem Stehempfang. Ein hoher Kamin, der die Besonderheit hatte, dass er trotz der Feuerböcke, des Rostes, des Kaminschirms und -hakens unecht war, schmückte eine Seite des langen Saals.
Von den Verwandten des Ehrengastes sind sein Bruder Maurice Poitou und seine Schwester Blanche Mesnard gekommen. Der 53-jährige Maurice Poitou lebt von dem Geld, das er von seinem älteren Bruder erhält. Blanche ist mit einem Feldwebel verheiratet, der nach Toulon abkommandiert wurde, der Einladung zum Bankett deshalb nicht folgen konnte und seiner Frau ein Gratulationsschreiben für den Schwager mitgab. "Entschuldigen Sie bitte, Herr Direktor, dass ich hier mit Ihnen über Persönliches rede. Aber ich bin in einer sehr kritischen Situation. Meine Frau ist sehr krank." Poitou ahnt eine ärgerliche Bitte um Geld und antwortet unwirsch:
"Sie brauchen nur einen Antrag zu stellen. Der wird mir vorgelegt. Ich werde ihn wohlwollend prüfen. Wenn er berechtigt ist, sehe ich keinen Grund, ihn abzulehnen." Der Fabrikant lässt den Bittsteller stehen und wendet sich anderen Gästen zu. Insgeheim denkt er: "Ich werde ihn hinauswerfen. So was tut man nicht. Im Übrigen habe ich es verdient. Wenn man Angestellte einlädt, bekommt man immer solche Geschichten." Ein junger Mann schwadroniert: "Der Handel ist meiner Meinung nach der Liebling unserer Zeit. Man braucht nur zu kaufen und weiterzuverkaufen, um sich maßlos zu bereichern. Das ist ein Skandal. Ich wage sogar zu behaupten, dass es ein Anzeichen für eine kommende barbarische Ära ist. Wenn die Materie den Sieg über den Geist, der rücksichtslose Handel den Sieg über die Werke der Intelligenz davonträgt, ist es äußerst selten, dass daraus nicht soziale Unruhen entstehen." Gleich darauf erklärt er Poitou beschwichtigend: "Ich weiß, dass es im Leben anders ist. Ich selbst, Monsieur, und das wird Ihnen klarmachen, dass ich keinerlei Hass gegen Kaufleute empfinde, ich bin der Sohn eines Lederwarenhändlers. Nächstes Jahr zieht mein Vater sich zurück, und natürlich werde ich die Führung seines Geschäfts übernehmen." Robert Mourlon, der Direktor einer Gerberei, beobachtet seinen wichtigsten Kunden inmitten der anderen Gäste und denkt: "Der arme Mann nimmt das alles ernst." Monsieur Dumesnil, der Präsident des französischen Schuhherstellerverbandes, wird von seinem Sohn Jean begleitet. Aristide Baladis, ein griechisch-stämmiger, seit 1910 in Frankreich lebender und eingebürgerter Hersteller von Maßschuhen, begrüßt den Präsidenten, und als er merkt, dass dieser sich nicht an ihn erinnert, nennt er seinen Namen.
"Ach ja … ach, ja … ich glaube, ich erinnere mich. Sie sind Baladis … ja … ja … ich verstehe … Jetzt erinnere ich mich an Sie. Ach … ja … ja … ja … Monsieur Baladis. Sie haben einen Namen, den man leicht behalten kann … Baladis … Ballade … Rondo … Das ist Griechisch, nehme ich an … Nicht … das ist Griechisch? Das ist doch reines Griechisch!"
Joseph Billan, der Betriebsleiter der Firma Poitou, bringt seine Ehefrau mit. Von den Angestellten sind auch der Buchhalter Monsieur Chamuzet und Madame Belamont, die Vertreterin der Verkäuferinnen in den Filialen, der Einladung gefolgt. "Gering ist die Zahl derer, die sich rühmen können, eine so große, von Sympathie ganz überwältigte Gesellschaft um sich versammelt zu sehen."
André Poitou bleibt nichts anderes übrig, als sich für die beiden Lobeshymnen zu bedanken, aber er ist so gerührt, dass er kaum reden kann. |
Buchbesprechung:
Eine Handlung im engeren Sinne gibt es in "Menschen und Masken" nicht. Emmanuel Bove beobachtet eine illustre Abendgesellschaft in den Zwanzigerjahren im Bankett-Saal eines Pariser Hotels.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2016
Emmanuel Bove (kurze Biografie / Bibliografie) |