Bertolt Brecht: Dreigroschenroman (Roman) |
Bertolt Brecht: Dreigroschenroman |
Inhaltsangabe:Jonathan Jeremiah Peachum hat es durch eine clevere Geschäftsidee zu einem Vermögen und mehreren Häusern gebracht: Er kontrolliert die Bettler in London, weist ihnen die Plätze zu und stattet sie so aus, dass sie Mitleid erregen.
Um der zunehmenden Verhärtung der Menschen zu begegnen, hatte der Geschäftsmann J. J. Peachum einen Laden eröffnet, in dem die Elendsten der Elenden sich jenes Aussehen erwerben konnten, das zu den immer verstockteren Herzen sprach. (Seite 23) Seiner dem Alkohol verfallenen Frau Emma verschweigt Peachum nicht, dass er sich nicht für sie, sondern nur für die gemeinsame Tochter Polly so abrackert. 1902 lässt er sich auf ein neues Geschäft ein und wird auf Anregung des zwielichtigen Maklers William Coax Gründungsmitglied der "Gesellschft zur Verwertung von Transportschiffen". Zweck des Unternehmens ist es, der Regierung Ihrer Majestät, die Transportmöglichkeiten zur Verlegung zusätzlicher Truppen nach Kapstadt sucht, Schiffe anzubieten. Coax erklärt seinen Geschäftspartnern: Der Geschäftsmann besorgt das Schiff, der Soldat besteigt es. Der Geschäftsmann ist findig, der Soldat ist tapfer. (Seite 43) Gleich nach der Gründung der Gesellschaft steigt Coax als Teilhaber aus und versichert, er wolle sich mit einer Vermittlungsprovision begnügen. Allerdings verlangt er statt 10 Prozent das Zweieinhalbfache, und die Herren müssen seiner Forderung nachgeben, denn Coax kennt William Hale, der im Marineministerium für den Ankauf der Schiffe zuständig ist. Der Makler weist die Teilhaber der Gesellschft zur Verwertung von Transportschiffen darauf hin, dass die drei Schiffe "Schöne Anna", "Junger Schiffersmann" und "Optimist" günstig zu erwerben sind, verschweigt aber, dass er sie bereits besichtigte und weiß, dass es sich um morsche Wracks handelt. Bei der Inspizierung der Schiffe durch die Gesellschaft zur Verwertung von Transportschiffen lässt er sich durch Krankheit entschuldigen. Einer der Teilhaber ist entsetzt über den Zustand der Schiffe und klagt beim Weggehen: Es ist ungeheuerlich, wie die Konkurrenz hinter einem her ist. Es gibt kein Geschäft, das so gemein wäre, dass nicht sofort ein Anderer es macht, wenn man darauf verzichtet. Man muss ungeheuer schlucken können. Wenn man sich auch nur eine Sekunde auf menschliche Regungen einlässt, ist man glatt erschossen. Da hilft nur eiserne Disziplin und Selbstkontrolle. Andererseits kann man ja für nichts auch nichts verlangen. Wenn man das bleiben will, was man so im Volksmund anständig nennt, muss man eben Dreck schaufeln oder auf dem Bau arbeiten. Ja, man hat, sobald man einmal über das Mittelmaß hinaus ist, Sorgen, von denen sich der besitzlose Alltagsmensch nichts träumen lässt! (Seite 50)
Kurz darauf zeigt Coax sich überrascht über den schlechten Zustand der Schiffe und distanziert sich zum Schein von dem Geschäft. Er erinnert die Teilhaber der Gesellschaft daran, dass sie die Schiffe ohne ihn prüften und beschuldigt sie, die Regierung betrügen zu wollen. Damit setzt er die Herren gehörig unter Druck. Zu dem Preis für die Seelenverkäufer kommen teure Instandsetzungsarbeiten hinzu, damit der marode Zustand der Schiffe wenigstens nicht auf den ersten Blick auffällt. Bevor jemand von der Regierung den Betrug entdeckt, müssen drei besser erhaltene Schiffe gekauft und gegen die bereits im Hafen liegenden ausgetauscht werden. Dazu kommen Schmiergelder. Kurz: Das Geschäft droht die Beteiligten bis auf Coax zu ruinieren. Alles Leben ist heilig, ganz abgesehen davon, dass es polizeiliche Vorschriften gibt. (Seite 82)
Ohne Geld brauche Polly gar nicht wiederzukommen, sagt er zum Abschied. Daraufhin bringt Fewkoombey das Mädchen zu einer Engelmacherin, aber die ist Polly zu schmutzig. Statt abzutreiben, heiratet sie lieber Macheath. Weil ihr Vater bestimmt etwas dagegen hätte, verraten ihm weder Polly noch Emma etwas davon, und die Trauung findet ohne ihn statt. Als Ziel der Hochzeitsreise wählt Macheath Liverpool, weil er dort ohnehin etwas Geschäftliches zu erledigen hat. Sie wies auf eine langjährige Praxis mit reichen Erfahrungen hin und betonte ihre absolute Vorurteilslosigkeit; als Zeugen dafür nannte sie allerhand Hafenarbeiter, auch Matrosen, weitgereiste und anspruchsvolle Herren. Aber nicht einmal eine gewisse bejahrte Gerichtsperson, die als Sau stadtbekannt war, habe es gewagt, für 10 Schillinge derartige Ansprüche zu stellen. (Seite 112f) Der Geschlechtstrieb macht Coax auch sonst schwer zu schaffen: Leider besaß er nicht immer die Kraft, seinen Prinzipien entsprechend zu leben. Zwischen seinen Ansichten über die Pflichten eines Gentleman dem weiblichen Geschlecht gegenüber und denen seiner Schwester bestand nicht der geringste Unterschied; genau wie seine Schwester, im Grund mit den gleichen Worten, verurteilte er selbst seine, leider ständigen, Verfehlungen auf diesem Gebiete. (Seite 69) Nach dem Vorfall in Southampton rät Peachum seinem Geschäftspartner, zu heiraten, lenkt das Gespräch auf Polly und glaubt sich schon fast am Ziel. Als er nach Hause kommt und erfährt, dass Polly inzwischen Frau Macheath ist, wirkt das wie ein Keulenschlag: Ich komme ins Zuchthaus, meine Tochter bringt mich ins Zuchthaus! [...] Meine Tochter trank Milch literweise, Vollmilch! Sie sah nur Fürsorge und Freundlichkeit. Sie lernte Klavierspielen! Jetzt, ein einziges Mal, verlange ich etwas von ihr, sie soll einen tüchtigen Geschäftsmann heiraten, einen Mann mit Prinzipien, der sie auf Händen tragen wird! Er wird mich ins Zuchthaus bringen, weil ich ihretwegen ein Geschäft gemacht habe, von dem ich nichts verstehe, einzig um ihr eine Mitgift zu verschaffen! (Seite 121) Peachum versucht, Coax mit Lügen hinzuhalten und denkt darüber nach, wie er Polly und Macheath zur Scheidung zwingen kann, damit das Mädchen für die Ehe mit Coax zur Verfügung steht. Nach einiger Zeit ist Polly bereit, ein Opfer für die Geschäfte ihres Vaters zu bringen und sucht Coax auf. Der Makler vergewissert sich, dass seine Schwester, mit der zusammen er wohnt, nicht daheim ist und fällt über das Mädchen her. Anfangs wehrt Polly sich ein wenig, dann fügt sie sich, "da er so außer sich [ist] und des Vergnügens wegen". (Seite 141)
Macheath gewinnt Bloomsbury, einen dummen jungen Lord, der Jenny Month, "Frau Lexers bester Kraft" (Seite 181), hörig ist, als Strohmann für sein neues Vorhaben: Lord Bloomsbury mietet Büroräume, in denen er dann sogleich zusammen mit Macheath und ein paar anderen Leuten die "Zentrale Einkaufsgesellschaft" gründet. Zum Präsidenten wählen die Gründungsmitglieder Macheath, aber der legt Wert darauf, seine Beteiligung an der Zentralen Einkaufsgesellschaft geheim zu halten und lässt sich deshalb in den Protokollen als "Mr X" führen. Monatelang bringen Sie mich mit ihr zusammen. Auf diese Weise sichern Sie sich eine Sonderstellung in unserem Geschäft, halten mich ab, gegen Sie vorzugehen wie gegen die anderen Betrüger, zu denen Sie gehören. Heute früh erfahre ich, Ihre Tochter sei längst verheiratet, liege in Scheidung, und ihr Mann sei ein Verbrecher, der, wie man mir sagt, im Gefängnis sitzt. Sind Sie wahnsinnig, Herr? (Seite 351)
Entweder überlasse Peachum ihm das gesamte Kapital der Gesellschaft zur Verwertung von Transportschiffen, erklärt Coax, oder er bringe ihn wegen Betruges hinter Gitter. Verzweifelt geht Peachum zu seiner Bank, aber er kommt nicht an sein Geld und erfährt zu seinem Entsetzen, dass es sich bei dem neuen Bankdirektor um seinen ungeliebten Schwiegersohn handelt. Er hatte ihn unterschätzt, ihn für einen Verbrecher gehalten. Er war aber ein schwer arbeitender und unbedingt weit blickender Geschäftsmann. (Seite 372)
Es heißt, Coax sei von streikenden Dockarbeitern erschlagen worden. Die Transportschiffeverwertungsgesellschaft, der ich vorstehe, erleidet glücklicherweise durch die so furchtbare Schiffskatastrophe keinen finanziellen Verlust. So kommen wenigstens zu den Opfern an Menschenleben nicht auch noch finanzielle Opfer. (Seite 437)
Nachdem Macheath seine Konkurrenten ausgeschaltet hat, kontrolliert er nicht nur die aus den drei Handelsunternehmen gebildete "ABC"-Ladenkette, sondern fungiert auch noch als Bankdirektor. Nun braucht er keine Nachteile mehr zu befürchten, wenn bekannt wird, dass er obendrein Präsident der Zentralen Einkaufsgesellschaft ist. Er legt also Richter Laughers das Protokoll vor, das beweist, dass er zur Tatzeit an einer Vorstandssitzung der Zentralen Einkaufsgesellschaft teilnahm. Der Richter ruft die anderen Vorstandsmitglieder als Zeugen auf und lässt sie das Alibi des Angeklagten bestätigen. Als er nach O'Hara fragt, teilt Macheath ihm mit, der frühere Einkaufsleiter befinde sich im Gefängnis. Er selbst habe ihn angezeigt, denn möglicherweise seien Waren dunkler Herkunft von O'Hara in den Verkehr gebracht worden. Gerade der Gedanke, der es uns verbietet, zu glauben, dass der wohlsituierte Bankier Macheath die Kleingewerbetreibende Swayer ums Leben gebracht haben könnte, legt es uns nahe, dass es der mittellose verrohte ehemalige Soldat Fewkoombey gewesen sein muss. (Seite 376) Fewkoombey wird zum Tod verurteilt und gehängt. |
Buchbesprechung:
Nach dem sensationellen Erfolg der am 31. August 1928 im Berliner Theater am Schiffbauerdamm uraufgeführten "Dreigroschenoper" schrieb Bertolt Brecht zunächst ein Drehbuch für eine Verfilmung ("Die Beule"), aber die Filmgesellschaft lehnte das Drehbuch ab und ließ Georg Wilhelm Pabst gegen Brechts Willen das Bühnenstück verfilmen ("Die 3groschenoper", 1931). Bertolt Brecht wiederum griff die Grundideen im "Dreigroschenroman" erneut auf. Er schrieb das Manuskript 1933/34 im dänischen Exil. Veröffentlicht wurde der "Dreigroschenroman" 1934 vom Verlag Allert de Lange in Amsterdam. Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? (Seite 293)
Einfache Leute tauchen im "Dreigroschenroman" nur als unkritische Masse auf, die sich zu Streiks aufrufen lässt und nicht merkt, dass sie damit nur den privaten Interessen von Kapitalisten dienen, die sich weiter bereichern wollen. Der Mensch hat doch Vernunft. Er folgt nicht seinen blinden Trieben, sondern Vernunftgründen. (Seite 405)
Beim Vergleich mit der "Dreigroschenoper" fällt auf, dass Bertolt Brecht im "Dreigroschenroman" die Welt der Bettler und Ganoven zurückgestellt hat. Im Vordergrund agieren Macheath, Peachum und Coax: Männer, die ihre kriminelle Energie einsetzen, um sich in der Geschäftswelt Vorteile zu verschaffen und andere finanziell zu vernichten. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006
Bertolt Brecht (Kurzbiografie) |