Marguerite Duras: Moderato cantabile (Roman) |
Marguerite Duras: Moderato cantabile |
Inhaltsangabe:
Die Ehefrau eines Fabrikdirektors, Anne Desbaresdes, bringt ihren Sohn jeden Freitag zur Klavierstunde und beobachtet ihn auch während des Unterrichts. Mademoiselle Giraud, ist mit ihrem bockigen Schüler nicht zufrieden; schon hundertmal hat sie ihm gesagt, was "moderato cantabile" heißt, aber wenn sie ihn danach fragt, weiß er es nicht oder will es einfach nicht sagen. Wenn er zur Strafe dafür ein paar Tonleitern spielen soll, weigert er sich, und auch die Diabelli-Sonatine, die er für die Stunde geübt hat, trägt er nur lieblos vor.
– [...] Sie müssen Liebeskummer gehabt haben [...]. Aber vielleicht hat er sie nicht wegen dieses Kummers getötet, wer weiß? Auch in den nächsten Tagen geht sie erneut in das Café, wo sie mit Chauvin immer wieder den Hergang des Verbrechens erörtert und sich das Motiv des Täters zu erklären versucht. – Blut auf dem Munde, sagte sie, und er küsste sie, küsste sie. (Seite 33) Und Chauvin glaubt, dass er auf ihr Herz gezielt hat, so wie sie es von ihm verlangt hatte. (Seite 33)
Der junge Arbeiter verrät Madame Desbaresdes, dass er sie in ihrem von Magnolienbäumen umgebenen Haus durch die erleuchteten Fenster beobachtete, wie sie auf dem Flur hin und her lief. Das könne schon sein, gibt sie zu, sie schlafe oft sehr schlecht und da wandere sie in den Zimmern auf und ab. – Wenn Sie sich vorbeugen, streift diese Blüte den Umriss Ihrer Brüste. Sie haben sie nachlässig angesteckt, zu hoch. Es ist eine riesige Blüte, Sie haben sie aufs Geratewohl ausgewählt, zu groß für Sie. Ihre Blütenblätter sind noch fest, sie ist eben erst in der letzten Nacht voll aufgeblüht. (Seite 84)
An diesem Nachmittag trinkt Anne Desbaresdes noch mehr als sonst und vergisst über ihrer intimen Unterhaltung mit Chauvin die Zeit. Ausgerechnet heute, wo sie von ihrem Ehemann erwartet wird, weil Gäste eingeladen sind. Es ist schon sieben Uhr, als Chauvin sie wegschickt und sie aufgelöst mit ihrem Kind nach Hause läuft. Eine von ihnen verstößt heute abend gegen den allgemeinen guten Appetit. Sie kommt vom anderen Ende der Stadt [...], von dem entgegengesetzten Ende dieses Boulevard de la Mer, dieses Umkreises, der ihr vor zehn Jahren zugebilligt wurde, von dort, wo ein Mann ihr Wein zu trinken gab über alle Vernunft hinaus. Gestärkt von diesem Wein, enthoben aller Regel, würde Essen sie nur elend machen. Jenseits der weißen Vorhänge die Nacht, und in der Nacht betrachtet immer noch, denn er hat Zeit, ein einsamer Mann einmal das Meer, einmal den Park. Dann das Meer, den Park, seine Hände. Er isst nicht. Er könnte nicht, auch er nicht, seinen Körper nähren, der von anderem Hunger gepeinigt wird. Der Weihrauch der Magnolien kommt immer noch über ihn, wie es dem Wind beliebt, und überfällt und quält ihn, wie es dem Wind beliebt, und überfällt und quält ihn, als wäre es der einer einzigen Blüte. (Seite 101 ff)
Anne Desbaresdes trinkt weiter, und der Mann ist um den Park herumgegangen, läuft zum Strand hinunter, legt sich in den Sand und schaut zu den erleuchteten Fenstern des Hauses hinauf. Die Gäste sind mit dem Hauptgang beschäftigt, aber Anne will immer noch nichts essen. Hin und wieder nestelt sie an ihrer angesteckten Magnolie herum und zerknüllt sie schließlich. Nachdem sie wieder ein ganzes Glas Wein getrunken hat, wird ihr übel und sie zieht sich in den ersten Stock zurück. Der Mann am Strand kehrt um in die Stadt – "weitab von diesem Park".
– Ich möchte gern ein wenig verstehen, warum es so wundervoll war, ihr Verlangen, es möge eines Tages so weit mit ihm kommen. Sie ist durcheinander und verstört. Bevor sich das Café mit den Arbeitern nach Fabrikschluss wieder füllen wird, geht sie auf Chauvin zu. Da tat sie, was er nicht hatte tun können. Sie ging so nahe an ihn heran, dass ihre Lippen sich finden konnten. Ihre Lippen blieben aufeinander, aufeinandergelegt, auf dass es getan werde, demselben Toten-Rituell folgend wie einen Augenblick vorher die Hände, kalt und bebend. Es ward getan. (Seite 120) Anne Desbaresdes schlüpft in ihre Jacke und schickt sich an, das Café zu verlassen.
– Ich wünschte, Sie wären tot, sagte Chauvin. |
Buchbesprechung:
Ein Arbeiter tötet seine junge Geliebte in einem Café, das sich gegenüber desjenigen Hauses befindet, in dem Anne Desbaresdes ihren kleinen Sohn jede Woche zum Klavierunterricht begleitet. Unmittelbar nach der Tat begibt sich die Fabrikantengattin an den Tatort.
Peter Brook verfilmte den Roman "Moderato cantabile":
Originaltitel: Moderato cantabile - Regie: Peter Brook - Drehbuch: Gérard Jarlot, nach dem Roman "Moderato cantabile" von Marguerite Duras - Kamera: Armand Thirard - Schnitt: Albert Jurgenson - Musik: Antonio Diabelli - Darsteller: Jeanne Moreau, Jean-Paul Belmondo, Pascale de Boysson, Jean Deschamps, Didier Haudepin, Colette Régis, Valeric Dobuzinsky - 1960; 90 Minuten |
Inhaltsangabe und Rezension: © Irene Wunderlich 2006
Marguerite Duras (Kurzbiografie) |