Joseph Freiherr von Eichendorff: Aus dem Leben eines Taugenichts (Erzählung) |
Joseph von Eichendorff:
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Inhaltsangabe:Das Rad an meines Vaters Mühle brauste und rauschte schon wieder recht lustig, der Schnee tröpfelte emsig vom Dache, die Sperlinge zwitscherten und tummelten sich dazwischen; ich saß auf der Türschwelle und wischte mir den Schlaf aus den Augen; mir war so recht wohl in dem warmen Sonnenscheine. Da trat der Vater aus dem Hause; er hatte schon seit Tagesanbruch in der Mühle rumort und die Schlafmütze schief auf dem Kopfe, der sagte zu mir: Du Taugenichts! da sonnst du dich schon wieder und dehnst und reckst dir die Knochen müde und lässt mich alle Arbeit allein tun. Ich kann dich hier nicht länger füttern. Der Frühling ist vor der Tür, geh auch einmal hinaus in die Welt und erwirb dir selber dein Brot. – Nun, sagte ich, wenn ich ein Taugenichts bin, so ists gut, so will ich in die Welt gehen und mein Glück machen. Und eigentlich war mir das recht lieb, denn es war mir kurz vorher selber eingefallen, auf Reisen zu gehen [...] (Seite 747)
Ohne zu zögern nimmt der Taugenichts seine Geige und wandert zum Dorf hinaus. Unterwegs wird er von einer Kutsche eingeholt, in der eine jüngere und eine ältere Dame sitzen. Sie fordern ihn auf, hinten aufzuspringen. Die Fahrt geht zu einem Schloss bei Wien, wo er als Gärtnerbursche eingestellt wird und sich in die schöne junge Dame verliebt. Da kam eines Morgens frühzeitig, da ich noch im tiefsten Schlafe lag, der Schreiber vom Schlosse zu mir und rief mich schleunigst zum Herrn Amtmann. Ich zog mich geschwind an und schlenderte hinter dem lustigen Schreiber her, der unterwegs bald da bald dort eine Blume abbrach und vorn an den Rock steckte, bald mit seinem Spazierstöckchen künstlich in der Luft herumfocht und allerlei zu mir in den Wind hineinparlierte, wovon ich aber nichts verstand, weil mir die Augen und Ohren noch voller Schlaf lagen. Als ich in die Kanzlei trat, wo es noch gar nicht recht Tag war, sah der Amtmann hinter einem ungeheuren Tintenfasse und Stößen von Papier und Büchern und einer ansehnlichen Perücke, wie die Eule aus ihrem Nest, auf mich und hob an: Wie heißt Er? Woher ist Er? Kann Er schreiben, lesen und rechnen? Da ich das bejahte, versetzte er: Na, die gnädige Herrschaft hat Ihm, in Betrachtung seiner guten Aufführung und besondern Meriten, die ledige Einnehmerstelle zugedacht. (Seite 756)
Da es für ihn nicht viel zu tun gibt, sitzt er oft vor der Türe und raucht. Aber er entfernt auch die von seinem Vorgänger angelegten Gemüsebeete und sät stattdessen Blumen aus. Ich besah mir nun die beiden Maler genauer bei der Morgendämmerung. Der eine, Herr Leonhard, war groß, schlank, braun, mit lustigen, feurigen Augen. Der andere war viel jünger, kleiner und feiner, auf altdeutsche Mode gekleidet, wie es der Portier nannte, mit weißem Kragen und bloßem Hals, um den die dunkelbraunen Locken herabhingen, die er oft aus dem hübschen Gesichte wegschütteln musste. (Seite 777)
Mit der Kutsche geht es nun rasch voran. Als der Taugenichts eines Morgens in einem Gasthaus in der Lombardei nach den beiden Malern sucht, findet er deren Zimmer leer vor. Nachdem die Maler verschwunden sind, reist der Taugenichts allein mit der Postkutsche weiter.
Der Kutscher knallte dreimal, dass es weit in dem alten Schlosse widerhallte, wo ein Schwarm von Dohlen ganz erschrocken plötzlich aus allen Luken und Ritzen herausfuhr und mit großem Geschrei die Luft durchkreuzte. Darauf rollte der Wagen in den langen, dunklen Torweg hinein. Die Pferde gaben mit ihren Hufeisen Feuer auf dem Steinpflaster, ein großer Hund bellte, der Wagen donnerte zwischen den gewölbten Wänden, die Dohlen schrien noch immer dazwischen – so kamen wir mit einem entsetzlichen Spektakel in den engen, gepflasterten Schloßhof. Die Alte führt den Taugenichts in einen herrschaftlichen Raum. Auf dem Tisch stehen "Braten, Kuchen, Salat, Obst, Wein und Konfekt" für ihn bereit. Dass er weder die Situation noch die Sprache der Schlossbewohner besteht, verdirbt ihm nicht die gute Laune. Ich muss sagen, das gefiel mir recht wohl. (Seite 786) Nachdem er gegessen und getrunken hat, zeigt ihm eine hübsche junge Magd sein Zimmer.
Als ich wieder erwachte, spielten schon die ersten Morgenstrahlen an den grünen Vorhängen über mir. Ich konnte mich gar nicht besinnen, wo ich eigentlich wäre. Es kam mir vor, als führe ich noch immer fort im Wagen, und es hätte mir von einem Schlosse im Mondschein geträumt und von einer alten Hexe und ihrem blassen Töchterlein. Eines Tages erhält er ein Briefchen: Es ist alles wieder gut, alle Hindernisse sind beseitigt. Ich benutzte heimlich diese Gelegenheit, um die Erste zu sein, die Ihnen diese freudige Botschaft schreibt. Kommen, eilen Sie zurück. Es ist so öde hier, und ich kann kaum mehr leben, seit Sie von uns fort sind. Aurelie (Seite 792) Der Taugenichts zweifelt nicht daran, dass es sich bei Aurelie um die Angebetete handelt. War der stolze Offizier doch nicht ihr Ehemann? Oder ist er inzwischen gestorben? Nun will der Taugenichts unverzüglich zu ihr – doch am Abend wird er in seinem Zimmer eingesperrt. Er flieht durchs Fenster, und ein im Schloss lebender verrückter Student schließt ihm die Gartenpforte auf. Als wir nun in den Wald hinaustraten und ich ihn eben noch um den besten Weg zur nächsten Stadt fragen wollte, stürzte er plötzlich vor mir auf ein Knie nieder, hob die eine Hand hoch in die Höhe und fing an zu fluchen und zu schwören, dass es entsetzlich anzuhören war. Ich wusste gar nicht, was er wollte, ich hörte nur immerfort: Idio und cuore und amore und furore! Als er aber am Ende gar anfing, auf beiden Knien schnell und immer näher auf mich zuzurutschen, da wurde mir auf einmal ganz grauslich, ich merkte wohl, dass er verrückt war, und rannte, ohne mich umzusehen, in den dicksten Wald hinein. (Seite 796)
Schließlich kommt er nach Rom.
Du abscheulicher Einnehmer! um dich muss ich das alles leiden. Da steck den fatalen Zettel geschwind zu dir, du findest darauf bemerkt, wo wir wohnen. Also zur bestimmten Stunde, wenn du ins Tor kommst, immer die einsame Straße rechts fort! (Seite 806) Zur angegebenen Uhrzeit nähert sich der Taugenichts dem Haus, in dem er die Schöne vermutet. Da sieht er eine Person im weißen Mantel in den Garten huschen. Der Maler! Will er die Gräfin überfallen? Er rennt hinterher und schreit: "Mordio!"
Der Maler, wie er mich so unverhofft daherkommen sah, nahm schnell Reißaus und schrie entsetzlich. Ich schrie noch besser, er lief nach dem Hause zu, ich ihm nach – und ich hatte ihn beinahe schon erwischt, da verwickelte ich mich mit den Füßen in den fatalen Blumenstücken und stürzte auf einmal der Länge nach vor der Haustür hin. Wegen des Lärms kommt die gnädige Frau herbei – aber der Taugenichts stellt enttäuscht fest, dass es sich nicht um die Angebetete handelt. Es war eine etwas große, korpulente, mächtige Dame mit einer stolzen Adlernase und hochgewölbten schwarzen Augenbrauen, so recht zum Erschrecken schön. (Seite 813)
Von der Kammerjungfer erfährt er, dass die schöne junge Dame, die er hier zu finden hoffte, längst wieder nach Deutschland zurückgereist ist. Da hält auch ihn nichts mehr in Rom und er macht sich noch in der Nacht auf den Rückweg. Kennen denn Euer Hochwürden den Bräutigam?, fragte ich ganz verwirrt. – Nein, erwiderte der alte Herr, aber er soll ein lustiger Vogel sein. – O ja, sagte ich hastig, ein Vogel, der aus jedem Käfig ausreißt, sobald er nur kann, und lustig singt, wenn er wieder in der Freiheit ist. – Und sich in der Fremde herumtreibt, fuhr der Herr gelassen fort, in der Nacht gassatim geht und am Tage vor den Haustüren schläft. – Mich verdroß das sehr. Ehrwürdiger Herr, rief ich ganz hitzig aus, da hat man Euch falsch berichtet. Der Bräutigam ist ein moralischer, schlanker, hoffnungsvoller Jüngling, der in Italien in einem alten Schlosse auf großem Fuß gelebt hat, der mit lauter Gräfinnen, berühmten Malern und Kammerjungfern umgegangen ist, der sein Geld sehr wohl zu Rate zu halten weiß, wenn er nur welches hätte, der – Nun, nun, ich wusste nicht, dass Ihr ihn so gut kennt, unterbrach mich hier der Geistliche und lachte dabei so herzlich, dass er ganz blau im Gesichte wurde und ihm die Tränen aus den Augen rollten. (Seite 822)
Nach der Ankunft sucht der Taugenichts als Erstes das Amtshaus des Zolleinnehmers auf, aber dort wohnt jetzt sein Nachfolger. |
Buchbesprechung:
Den Namen des Protagonisten erfahren wir nicht. Wir wissen nur, dass es sich um einen jungen Mann handelt, den der Vater – ein vermutlich verwitweter Müller – einen "Taugenichts" nennt und fortschickt. Unbekümmert verlässt er den auf Tüchtigkeit bedachten Vater und zieht los, wird gewissermaßen zum Aussteiger. Konkrete Ziele, Pläne oder Erwartungen hat er keine, und was nützlich ist, interessiert ihn nicht. So ersetzt er bei Gelegenheit einen Gemüsegarten durch Blumen. Ebenso wie die Schönheit der Natur liebt er die Musik, und mit seiner Geige erheitert er auch andere Menschen. Wenn er die Gelegenheit bekommt, gut zu essen, genießt er es, doch wenn er sich einschränken muss, erweist er sich als anspruchslos. Seine Zuversicht verliert er nie. Er ist nicht berechnend, sondern lässt sich von Gefühlen leiten. Auch dadurch unterscheidet er sich von geschäftigen, fantasielosen und verdrossenen Spießbürgern.
Die spärliche Handlung dient nur dazu, einer lyrischen Grundstimmung Spielraum zu geben, die im Gemüt des Taugenichts vorherrscht, in den eingestreuten Liedern zum Ausdruck kommt [...] und auf seiner Wanderschaft als Naturseelenstimmung erfahren wrd. Die Handlung mit ihren Zufällen und Verwechslungen ist derart trivial, dass man sie als Parodie des romantischen Romans und den Taugenichts als Persiflage der Romantik angesehen hat. Die Erzählung "Aus dem Leben eines Taugenichts" von Joseph Freiherr von Eichendorff wurde auch verfilmt:
Originaltitel: Aus dem Leben eines Taugenichts – Regie: Celino Bleiweiß – Drehbuch: Claus Küchenmeister und Wera Küchenmeister, nach der Erzählung "Aus dem Leben eines Taugenichts" von Joseph Freiherr von Eichendorff – Kamera: Günter Jaeuthe – Schnitt: Monika Schindler – Musik: Rainer Hornig – Darsteller: Dean Reed, Anna Dymna alias Dziadyk, Hannelore Elsner, Monika Woytowicz, Gerry Wolff, Arno Wyzniewski, Christel Bodenstein, Monica Bielenstein, Peter Biele, Hannes Fischer, Ottofritz Gaillard, Gudrun Jochmann u.a. – 1973; 95 Minuten |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2009 |