Antonio Fian: Das Polykrates-Syndrom (Roman) |
Antonio Fian: Das Polykrates-Syndrom |
Inhaltsangabe:
Artur hat zwar Geschichtswissenschaften studiert, arbeitet jedoch halbtags in einem Copyshop in Wien, gibt Nachhilfestunden und schreibt TV-Sketche, die allerdings kein Fernsehsender ins Programm aufnimmt. Abgesehen von den paar Schilling, die Artur dazuverdient, sorgt seine Ehefrau Rita als Lehrerin für den Lebensunterhalt. Im Gegensatz zu ihm ist sie ehrgeizig. Rita hat kürzlich die Administratorenstelle an ihrer Schule übernommen und möchte es in etwa vier Jahren zur Direktorin bringen. Sie und Artur hatten sich während des Studiums kennengelernt; vor 15 Jahren schliefen sie erstmals miteinander, und seit acht Jahren sind sie verheiratet. Als Polykrates-Kranker hat man dieses Schicksal immer im Kopf, man fürchtet, zu viel Glück zu haben und irgendwann dafür bestraft zu werden, darum bemüht man sich ständig, Opfer zu bringen. In der Adventszeit betritt eine attraktive Frau Mitte 20 wenige Minuten vor Geschäftsschluss den Copyshop. Nachdem sie drei Blätter kopierte, etwas auf einen Zettel schrieb und wieder ging, öffnet Artur den Deckel des Kopiergeräts. Da liegt der Zettel. "Hübsches Hemd", steht darauf. Artur wirft den Studenten hinaus, der seit einer Stunde dabei ist, ein Buch zu kopieren, und läuft auf die Straße. Tatsächlich entdeckt er die Frau wieder. Er folgt ihr zur U-Bahn, fährt mit ihr in den Wiener Stadtteil Favoriten und geht ihr weiter nach. Plötzlich wird sie von einem Mann gepackt. Artur nimmt seinen ganzen Mut zusammen und schreit: "Lassen Sie die Frau in Ruhe!" Die Hoffnung, dass ihn jemand hört und etwas unternimmt, gibt er gleich wieder auf. Schallschutzfenster, dachte ich, irgendein Scheißvertreter hat der ganzen Gasse Schallschutzfenster aufgeschwatzt, und das ist der Erfolg. Der Mann wandte mir, ohne seinen Griff zu lockern, das Gesicht zu. "Hau ab", rief er, "das geht dich nichts an!" Ich drohte, die Polizei zu rufen, und näherte mich den beiden langsam. Als ich vor ihnen stand, riss ich an seinem Arm, und ich sah noch, dass er tatsächlich losließ, dann spürte ich, wie sich ein Rammbock in meine Magengrube bohrte und ein Vorschlaghammer mein Gesicht traf, dann war es dunkel. Erst als Artur wieder zu sich kommt, lehnt in einem der Fenster über ihm eine Frau und fragt, ob sie die Polizei rufen solle. Artur überlegt: Wenn die Polizei hier erschien, würde ich aufs Revier müssen, und man würde ein Protokoll aufnehmen und mich ins Unfallkrankenhaus bringen, und es wäre ziemlich schwierig gewesen, Rita zu erklären, wie es dazu gekommen war, dass ich in Favoriten in eine Schlägerei verwickelt worden war.
Zu Hause behauptet er, auf dem Heimweg von einem Radfahrer angefahren worden zu sein.
"Lass mich ein paar Tage darüber nachdenken", sagte ich. "Kann ich dich anrufen?" Artur ärgert sich darüber, dass er nach dieser "Parodie auf einen Ehebruch" gleich zwei Frauen gegenüber ein schlechtes Gewissen hat. Nachdem er am Freitag stundenlang vergeblich im Café auf Alice gewartet hat, fährt er nach Favoriten. Weil er ihren Nachnamen nicht kennt und nicht weiß, wo er klingeln soll, wartet er, bis ein Betrunkener aus dem Haus kommt und geht dann hinein. Das Stockwerk kennt er vom ersten Besuch. Sie will nicht öffnen.
"Was willst du?" fragte sie, und es klang wie ein Befehl zu verschwinden. Weil er sich nicht wegschicken lässt, öffnet sie schließlich doch die Türe. Im Schlafzimmer sieht er die Beine des Mannes, der ihn auf der Straße zusammenschlug. Er lag langgestreckt auf dem Rücken, unter seinem Hinterkopf hatte sich ein dunkler Fleck gebildet. Ich hatte damals noch keine Erfahrung in solchen Dingen und konnte daher nicht entscheiden, ob er tot war. Lebendig jedenfalls sah er nicht aus. Alice sagt, ihr früherer Liebhaber müsse noch einen Schlüssel gehabt haben, denn er sei bereits vor ihr in der Wohnung gewesen. Vermutlich habe er sich einen Schlüssel nachmachen lassen, bevor er ihren vor einem halben Jahr zurückgab.
"Ich bin nach Hause gekommen, er ist auf dem Bett gesessen, voll mit meinem Wodka. Das einzige, was zu verstehen war, waren seine Beteuerungen, dass er mit dem Saufen aufgehört habe. Ich nehme an, er wollte Geld. Geld und das Video."
Sie habe ihn angebrüllt, erklärt sie, als er sie zu küssen versuchte – angebrüllt und weggestoßen. Und da sei er mit dem Kopf gegen die Bettkante gestoßen. "Karriere macht man mit Nazisachen. Das hätte ich nicht ausgehalten."
Zur Veranschaulichung erzählt er ihr, dass Heinrich Himmler bei der Vorführung einer neuen Anlage in Auschwitz die schönsten der weiblichen Gefangenen vergasen ließ. Alice behauptet, sie wisse davon, denn eine der ermordeten Jüdinnen sei ihre Großtante gewesen. Artur ist betroffen. Aber Alice lacht und ruft: "Du glaubst wirklich alles!" Das findet er gar nicht lustig. Über den Holocaust mache man keine Witze, weist er sie zurecht. Ich betrog meine Frau, belog meine Mutter, leistete Beihilfe zum Diebstahl, schaffte Leichen weg und hatte bei all dem keinen anderen Gedanken, als dass Alice bald wieder mit mir schlafen würde.
Solange Rita sich noch in Oberösterreich aufhält, will Alice unbedingt die Wohnung stehen. Obwohl Artur an diesem Nachmittag den Nachhilfeschüler Athan erwartet, fügt er sich. Bevor der Zwölfjährige klingelt, lässt Alice sich ein Bad ein und legt sich in die Wanne. Während Artur dann mit dem Jungen in der Wohnküche übt, kommt sie nackt herein und grüßt Athan, der sie verwundert anstarrt, mit "hallo, Kleiner". Sie habe ihre Sachen zum Anziehen vergessen, erklärt sie und kehrt mit der Wäsche ins Bad zurück. Das sei seine Schwester Aphrodite, behauptet Artur, und Athan kommentiert: "Coole Schwester." "Was ist mit dir, warum atmest du so komisch? Du klingst, als würdest du dir grade einen runterholen."
Schnell sagt Artur, er sei erkältet und habe gerade geglaubt, niesen zu müssen.
"Wie kannst du da wissen, dass du schwanger bist?" Unmissverständlich erklärt Artur seiner Geliebten, dass sie abtreiben müsse, falls sie tatsächlich schwanger sei, denn er lasse sich sein Leben nicht ruinieren. Alice erwidert: "Du zahlst, was zu zahlen ist, und einmal im Monat kommst du uns besuchen. Mehr verlange ich nicht."
Als Artur nach Hause kommt, eröffnet Rita ihm, dass sie schwanger sei. Er argwöhnt, dass nicht er der Vater ist, sondern beispielsweise Albert, der Ehemann ihrer Freundin Verena, behält seinen Verdacht jedoch für sich.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
Die Heimleitung ruft an: Seiner Mutter geht es schlecht. Er fährt hin, kommt jedoch zu spät. Der Notarzt ist noch da und meint, ein Aneurysma sei die Todesursache gewesen. Rita starrte mich hasserfüllt an, dann stand sie auf und trat auf mich zu. "Was soll ich sagen?", wiederholte sie und schlug mir ins Gesicht. "Das Flittchen, das mein Mann geschwängert hat, wollte mich umbringen und ist dabei so unglücklich ausgerutscht." Wenn er die Polizei rufe, droht sie, werde sie aussagen, gerade erst nach Hause gekommen zu sein und ihren Mann neben der Leiche vorgefunden zu haben. "Ich habe ein Ziel, verstehst du? In sieben Monaten werde ich Mutter sein und in vier Jahren Direktorin, und dein Flittchen wird mich nicht daran hindern." Um seine tote Geliebte fortzuschaffen, sieht Artur keine andere Möglichkeit, als sie zu zerstückeln. Rita hilft ihm, Plastikbahnen im Bad auszulegen und die Leiche zu entkleiden. Dann fragt sie:
"Kann ich noch irgendwas für dich tun?"
Zuerst verhüllt Artur Alices Gesicht in einer Plastiktüte. Dann schneidet er ihr mit einem Messer den Kopf ab. Als er die Arme abgetrennt hat, schwitzt er bereits. Erst jetzt fällt ihm auf, dass aus ihrer Vagina ein Tamponfaden hängt. Sie war also doch nicht schwanger!
"Artur?" Wieder wurde an die Tür gehämmert. "Artur, ist alles in Ordnung mit dir?"
An diesem Adventssonntag schleppen Rita und Artur noch 14 schwarze Plastiksäcke zum Müllcontainer. Am Mittwochmorgen wird ihn die Müllabfuhr leeren.
Sie zeigte auf das Heft. "Niemand wird das je lesen. Was für einen Sinn hat es also, es aufzuschreiben?" Das Telefon klingelt. Polizei! Artur hört Rita sagen: "Dunkelgrüner R4? In Haslau? Wie ist der Name? Nein, sagt mir nichts. Und Sie sagen, die Brieftasche meines Mannes lag drin?"
Aber das hat Artur sich nur eingebildet. In Wirklichkeit hält Rita ihm den Hörer hin und erklärt, es gehe um seine Mutter. Die Polizei ermittelt, weil schwerwiegende Anschuldigungen gegen die Heimleitung erhoben wurden. Der Aussage einer Mitbewohnerin zufolge, wollte Arturs Mutter Anzeige erstatten. Die Greisin hält es für möglich, dass Arturs Mutter deshalb mundtot gemacht wurde. Ich nahm ihn heraus, wickelte ein Ende zweimal um meine linke Hand und zog am anderen. Gutes Material. |
Buchbesprechung:
Paul Jandl bezeichnet den Roman "Das Polykrates-Syndrom" von Antonio Fian als "Tragikomödie der Spießigkeit" ("Die Welt", 3. April 2014). Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen.
Denken Sie jetzt nicht [...]
Übrigens: Auf eine Beschreibung der Eichhörnchenstellung lässt uns Antonio Fian vergeblich warten. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2014 |