Richard Ford: Kanada (Roman) |
Richard Ford: Kanada |
Inhaltsangabe:
Sydney Beverly ("Bev") Parsons wurde 1923 in Marengo County/Alabama geboren. Im Zweiten Weltkrieg brachte er es als Bombenschütze bei der US Air Force zum Captain. Auf einer Party für heimgekehrte Flieger im März 1945 lernte er Geneva ("Neeva") Rachel Kamper (eigentlich: Kampycznski) kennen. Sie war drei Jahre jünger als er, hatte mit 18 ihren Abschluss am Whitman College in Walla Walla/Washington gemacht und schrieb Gedichte. Bei ihren Eltern handelte es sich um 1918 aus Posen geflohene polnische Juden. Woitek und Renata Kampycznski, ein Mathematiklehrer und eine semiprofessionelle Musikerin, wohnten in Tacoma/Washington. Gegen ihren Willen heiratete die Tochter den Offizier bald nach der ersten Begegnung, als sich herausstellte, dass Neeva schwanger war. Dell Parsons und seine Zwillingsschwester Berner wurden 1945 auf dem Luftwaffenstützpunkt Wurtsmith in Oscoda/Michigan geboren. Bev ließ sich inzwischen zum Versorgungsoffizier fortbilden. Nach mehreren Umzügen kam die Familie 1956 nach Great Falls/Montana.
Ich [Dell] wusste von Äußerungen meines Vaters, dass er schon seit langem über Bankraub nachdachte – hatte das aber nie ernst genommen. Der 15-jährige Dell wundert sich, dass sein Vater eine Pistole mitnimmt, als er angeblich zur Begutachtung eines zum Verkauf stehenden Farmlands fährt. Und der Junge hört, wie die Mutter mehrmals bei ihren Eltern in Tacoma anruft und sie anfleht, die Kinder aufzunehmen. Aber Woitek und Renata Kampycznski wären allenfalls bereit, sich um Berner zu kümmern. Es erklärt allerdings nicht, warum sie [Neeva] Berner und mich nicht in einen Zug nach Tacoma packte (oder Chicago, Atlanta, New Orleans), warum sie meinen Vater nicht in ein leeres Haus zurückkommen ließ, was ihn vielleicht wieder zur Vernunft gebracht hätte – falls er überhaupt über welche verfügte. Und es erklärt nicht, warum sie, als mein Vater einen Tag später tatsächlich nach Hause kam, "seine" Bank im Blick und voll summenden Tatendrangs, nicht beschloss, ihn auf der Stelle zu verlassen, mit der Polizei zu reden oder ihm ein Ultimatum zu setzen – sondern zu seiner Komplizin wurde und ihr Leben wegwarf, so wie er das seine. Wenn man lange darüber nachdenkt, warum zwei einigermaßen intelligente Menschen beschlossen, eine Bank zu überfallen, und warum sie zusammenblieben, nachdem ihre Liebe schon verbraucht und verweht war, dann kommt man immer auf irgendwelche Gründe, die man rückblickend nicht mehr nachvollziehen kann und deshalb erfinden muss.
Dell und Berner stehen auf der Veranda des Hauses, als die Eltern losfahren, um die Agricultural National Bank in Creekmore/North Dakota zu überfallen. Die 15-jährigen Kinder sollen eine Nacht und zwei Tage allein bleiben.
Das Gesicht meiner Mutter fuhr herum zu mir. In meiner Erinnerung ist es umgeben von Dunkelheit. "Sie werden sie strikt in Ruhe lassen", sagte sie wütend. "Ich habe bereits etwas für sie arrangiert." Das sagte sie zu mir.
Bevor Bevs Auto von der Polizei abgeholt wird, holt Dell das im Fond versteckte Geld. Es sind 500 Dollar. Dell teilt es sich mit seiner Schwester. "Also, wenn du mich zu diesen beiden sagen hörst, dass du mein Sohn bist, widersprich mir einfach nicht. Hast du verstanden." Louis Crosley spricht Arthur auf das Bombenattentat an, bei dem sein Schwiegervater ums Leben kam. "Ich glaube, Sie könnten Ihr Leben in Ordnung bringen, wenn Sie einfach offen mit uns reden würden." Arthur leugnet jedoch, den Sprengkörper gelegt zu haben und fordert Dell auf, sich ins Auto zu setzen. Aber der Junge sieht noch, wie Arthur die beiden Männer mit einer kleinen Pistole erschießt. In der Nacht hilft Dell dem Mörder, die beiden Leichen zu begraben. Wie Remlinger mich benutzt hatte – als Publikum, als vermeintlich hochinteressante Neuigkeit, als angeblicher Sohn und schließlich als Rückversicherung, Zeuge und Komplize –, war für mich alles andere als angenehm.
Im Alter von 66 Jahren blickt Dell auf die Vergangenheit zurück. Sie war Hippie, bis das ausgereizt war. Dann Ehefrau eines Polizisten, der sie schlecht behandelte. Dann eine gescheiterte späte Studentin. Dann Kellnerin in einem Kasino. Dann Kellnerin in einem Restaurant. Dann Hilfsschwester in einem Hospiz. Ein anderer Ehemann war Motorradmechaniker in Grass Valley, Kalifornien. Keine Kinder im Spiel. Als Dell und seine Frau sie einmal in Reno besuchten, lebte sie mit Wynne Reuther zusammen, der sagte, er sei mit dem Gewerkschaftler Walter Reuther verwandt. Beide waren betrunken. Zehn Jahre lang wohnte Bev dann mit einem Mann namens Ray in den Twin Cities, und zwar in einem Trailer. Als sie sich zum letzten Mal mit ihrem Zwillingsbruder traf, hatte sie nur noch zwei Monate zu leben, denn sie litt an einem Lymphom. Vor ihrem Tod wollte sie Dell den von der Mutter im Gefängnis beschriebenen Stapel Papier geben. In der vom Frühling 1961 datierten "Chronik eines Verbrechens, begangen von einem schwachen Menschen" hatte Neeva Rechenschaft abgelegt. |
Buchbesprechung:
Der Roman "Kanada" von Richard Ford dreht sich um Schuld, Verlust und Entwurzelung. Im Mittelpunkt steht ein Ich-Erzähler, der im Alter von 15 Jahren nicht nur die Eltern und die Zwillingsschwester verliert, sondern zugleich auch aus
Zuerst will ich von dem Raubüberfall erzählen, den meine Eltern begangen haben. Dann von den Morden, die sich später ereigneten. Den Roman "Kanada" von Richard Ford gibt es auch in einer gekürzten Fassung als Hörbuch, gelesen von Christian Brückner (Regie Waltraut Brückner, ISBN 978-3-941004-41-2). |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2014
Richard Ford (kurze Biografie / Bibliografie) |