Edward M. Forster: Wiedersehen in Howards End (Roman) |
Kritik: Obwohl sich die Gesellschaft in den letzten hundert Jahren glücklicherweise weiterentwickelt hat, ist die Lektüre des gesellschaftskritischen Romans "Wiedersehen in Howards End" noch immer anregend und ergreifend. Dabei überzeugt auch der sorgfältige, klassisch wirkende Aufbau der komplexen Handlung. ![]() |
||||
Edward Morgan Forster: |
||||
Inhalt: Die idealistisch, unkonventionell und selbstständig denkenden Geschwister Margaret (29), Helen (21) und Theobald Schlegel (16) wohnen zu Beginn des 20. Jahrhundert in London. Während eines Besuchs bei der neureichen Industriellenfamilie Wilcox auf dem Landsitz Howards End verliebt Helen sich überstürzt in einen der beiden Söhne ... ![]() |
|
|||
Edward Morgan Forster: |
Inhaltsangabe:
Der Roman spielt nach dem Tod Königin Viktorias, also zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in London und Umgebung. Sie [Margarete] hatte über zehn Jahre den Haushalt geführt; sie hatte sich als Gastgeberin einen Namen gemacht; sie hatte eine charmante Schwester großgezogen und war nun im Begriff, auch noch einen Bruder zu erziehen. (Seite 83) Helen schreibt ihrer älteren Schwester begeisterte Briefe aus Howard Ends und schwärmt von der neureichen Familie. Er [Henry Wilcox] sagt die entsetzlichsten Dinge über das Frauenstimmrecht ja so nett, und als ich sagte, ich glaubte an die Gleichberechtigung, da verschränkte er bloß die Arme und hielt mir eine solche Standpauke, wie ich dergleichen noch nie gehört habe. Meg, werden wir jemals lernen, nicht so viel zu reden? Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie so geschämt. (Seite 8) Nach ein paar Tagen teilt Helen mit, sie habe sich in Paul Wilcox, den jüngeren der beiden Söhne verliebt. Das beunruhigt Margaret und ihre Tante Juley Munt, die zu Besuch aus Swanage nach London gekommen ist. Die Tante besteht darauf, mit der Bahn nach Howards End zu fahren und dort nach dem Rechten zu sehen. Sie ist bereits abgereist, als Margaret ein Telegramm erhält: "Alles aus. Wünschte, ich hätte nie geschrieben. Sag's keinem! – Helen." (Seite 16)
Ohne vom Ende des Flirts etwas zu ahnen, trifft Juley Munt am Bahnhof in Hilton zufällig Charles Wilcox, verwechselt ihn jedoch mit seinem jüngeren Bruder Paul und versucht ihn ungeschickt über seine Gefühle für ihre Nichte auszufragen. Charles, der nichts davon wusste, dass Paul und Helen sich geküsst hatten, nimmt sich sofort vor, seinen Bruder wegen dieser "Dummheit" zur Rede zu stellen, und er klärt die Besucherin während der Autofahrt nach Howards End darüber auf, dass Paul in Kürze nach Nigeria gehen werde und auf Jahre hinaus nicht ans Heiraten denken könne.
Er befand sich nicht im Abgrund, aber er konnte ihn wohl sehen, und von Zeit zu Zeit waren Menschen, die er kannte, hineingestürzt und galten nichts mehr [...] Sein Geist wie sein Körper waren unterernährt, weil er eben arm war, und weil er auch modern war, sehnten sie sich stets nach besserer Nahrung. (Seite 52f)
Von seinem kümmerlichen Gehalt kann der Zwanzigjährige kaum den Lebensunterhalt für sich und seine dreizehn Jahre ältere Braut Jacky bestreiten, aber er hat ihr versprochen, sie zu heiraten, sobald er volljährig ist. "Nehmen Sie bloß nicht diese sentimentale Haltung gegenüber den Armen ein! [...] Die Armen sind arm und sie tun einem Leid, aber so ist's nun mal. Wenn die Zivilisation voranschreiten soll, muss uns der Schuh natürlich da und dort drücken, und es ist ganz sinnlos, so zu tun, als ob da jemand persönlich dafür verantwortlich wäre. (Seite 217)
Als er erfährt, dass der mittellose Angestellte bei der Feuerversicherungsgesellschaft Porphyrion beschäftigt ist, warnt er vor dem unmittelbar bevorstehenden Bankrott des Unternehmens. Helen und Margaret empfehlen Leonard Bast daraufhin, sich nach einer besseren Stelle umzusehen. "Ich möchte, dass Miss Schlegel (Margaret) Howards End bekommt." (Seite 110) Henry Wilcox versammelt Charles, Evie und Dolly um sich – Paul Wilcox befindet sich noch in Nigeria – und ermahnt sie, erst die Tür zu schließen. "Wir können doch nicht mitten unter den Dienstboten unsere Privatangelegenheiten diskutieren." (Seite 109)
Der Familienrat hält das Papier für rechtlich ungültig und kommt zu der Überzeugung, dass die Verstorbene bereits geistig verwirrt war, als sie den Satz hinkritzelte. Howards End müsse im Familienbesitz bleiben. Man beschließt, die Notiz zu ignorieren. Die Sorge, Margaret Schlegel könne etwas davon wissen, erweist sich als unbegründet. Sie wird schließlich mit einem versilberten Riechfläschen zur Erinnerung an Ruth Wilcox abgespeist. Die Sache ist doch eigentlich die, dass zwischen meiner Liebesgeschichte und deiner ein himmelweiter Unterschied besteht. Die deinige war romantisch; die meinige wird ganz prosaisch sein. Damit will ich sie nicht etwa schlecht machen – prosaisch nämlich in einer sehr guten Weise, aber eben doch wohl überlegt und wohl durchdacht. (Seite 198)
Leonard Bast folgte dem Rat der beiden besorgten Schwestern, kündigte bei der Versicherungsgesellschaft und begann bei der Dempster-Bank zu arbeiten, obwohl er dort weniger verdient. Als Margaret ihrem Bräutigam davon erzählt, meint er geistesabwesend, Porphyrion sei aufgrund einiger Änderungen kein gefährdetes Unternehmen mehr. Bast hat also unnötigerweise gekündigt und ein geringeres Einkommen in Kauf genommen! Während Henry Wilcox nicht weiter darüber nachdenkt, bedauern Helen und Margaret zutiefst, Leonard Bast durch einen zwar gut gemeinten, aber falschen Rat geschadet zu haben. Ich wollte damit sagen, dass ihr früheres exzentrisches Benehmen letzten Endes doch immer von ihrem Herzen ausging. Sie benahm sich seltsam, weil sie jemanden gern hatte oder anderen Menschen helfen wollte. (Seite 326) Aus Sorge lässt sie sich überreden, Helen mit Henry und dem Arzt Dr. Mansbridge in Howards End abzupassen. Als sie ihre Schwester erblickt, begreift sie sofort die Ursache für deren eigenartiges Verhalten: Sie ist schwanger. Margaret schickt die Männer fort und geht allein zu Helen. Die hält daran fest, so rasch wie möglich zu ihrer Freundin Monica nach München zurückzufahren. Margaret konnte ihr nicht widersprechen. Es war erschreckend anzusehen, wie Helen in aller Ruhe ihre Pläne weiterverfolgte, weder verbittert noch aufgeregt, weder schuldbewusst noch im Gewande falscher Unschuld, sondern einfach nur aus einem Bedürfnis nach Freiheit und nach der Gesellschaft von Menschen, die ihr keine Vorwürfe machen würden. (Seite 341) Statt in einem Hotel möchte Helen in Howards End übernachten und am nächsten Morgen den Zug nach London nehmen. Margaret hält es für erforderlich, die Erlaubnis ihres Mannes einzuholen, doch bevor sie ihn darum bitten kann, will er den Namen von Helens "Verführer" wissen. Margaret hat ihre Schwester jedoch noch gar nicht nach dem Vater des ungeborenen Kindes gefragt. Um seinen Ruf besorgt, verlangt Henry Wilcox von seiner Frau, Helen in einem Hotel unterzubringen. Da schreit Margaret ihn an: "Jetzt hab' ich's aber satt! Du sollst nur den Zusammenhang sehen, Henry, und wenn's dich umbringt! Du hast eine Geliebte gehabt – und ich hab' dir verziehen. Meine Schwester hat einen Liebhaber – und du jagst sie aus dem Haus. Siehst du jetzt den Zusammenhang? Dumm, heuchlerisch, grausam – oh, wie verabscheuungswürdig! –, ja, so ist für mich ein Mann, der seine Frau zu ihren Lebzeiten demütigt und nach ihrem Tod mit ihrem Andenken sein bigottes Spiel treibt. Ein Mann, der eine Frau nur zu seinem Vergnügen ins Verderben stürzt und sie dann sitzen lässt, damit sie andere Männer ins Verderben stürzt. Und der schlechte Ratschläge in Geldangelegenheiten gibt und dann erklärt, er sei dafür nicht verantwortlich. So einer bist du! (Seite 356f) Ungeachtet des Verbots übernachten Helen und Margaret in Howards End. Ein kleiner Junge vom Bauernhof versorgt sie mit Milch und Eiern. Helen berichtet ihrer Schwester, was geschehen war, nachdem sie die Hochzeitsfeier von Evie und Percy verlassen hatte. Während die betrunkene Jackie im Hotelzimmer eingeschlafen war, hatte sie aus Zorn, Mitleid und Einsamkeit deren Ehemann verführt. Man braucht ihm keinen Vorwurf zu machen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, er hätte mich immer nur weiter scheu verehrt. Ich möchte ihn nie mehr wiedersehen, so schrecklich das auch klingt. Am liebsten hätte ich ihm Geld gegeben und mir gesagt: Damit ist die Sache erledigt. (Seite 363)
Dem arbeitslosen Leonard Bast blieb nichts anderes übrig, als seinen Bruder und seine beiden Schwestern anzubetteln. Um einen Skandal zu verhindern, schickten sie ihm voller Verachtung immer wieder Geld, und er nahm es von seinen ihm verhassten Verwandten. Von Helens Schwangerschaft ahnt er nichts. In der Nacht, die Helen und Margaret in Howards End verbringen, macht er sich unvermittelt auf den Weg, um sich bei Margaret zu entschuldigen. "Es ist schon wirklich komisch, dass Mrs Wilcox damals das Haus eigentlich Margaret vermachen wollte und dass sie's nun schließlich doch noch gekriegt hat." (Seite 398) Als Margaret mit ihrem Mann allein ist, fragt sie ihn, was die Bemerkung ihrer Schwägerin bedeutete. Henry Wilcox gibt zu, dass Ruth ihr Howards End vermacht hatte, er diesen Wunsch jedoch als "Hirngespinst" abtat und Howards End im Familienbesitz behalten wollte. Dass er Margaret eines Tages heiraten würde, konnte er damals noch nicht ahnen. Über das Geständnis ist Margaret erschüttert, lässt sich aber nichts anmerken.
"Ich hab' doch nichts falsch gemacht, oder?", fragte er und beugte sich über sie. |
Buchbesprechung:
Der Roman "Wiedersehen in Howards End" von Edward Morgan Forster spielt im nachviktorianischen England. Margarete und Helen Schlegel, die beiden feinfühligen und belesenen Töchter eines inzwischen verstorbenen, aus Deutschland stammenden Idealisten, besuchen gern Konzerte und diskutieren mit ihren ebenso gebildeten Freunden freimütig über Literatur und kulturelle Ereignisse.
Edward Morgan Forster (1879 - 1970), der Sohn eines Architekten, studierte in Cambridge klassische Philologie und Geschichte und lehrte dort ab 1927 Literaturwissenschaften. 1901/02 bereiste er Italien, Griechenland und den Nahen Osten, 1912 und 1921 Indien. Ägypten lernte er während des Ersten Weltkriegs kennen. 1905 veröffentlichte Edward Morgan Forster seinen ersten Roman: "Engel und Narren". Die 1949 angebotene Erhebung in den Adelsstand schlug er aus. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2004 |
James Ivory: Wiedersehen in Howards End |