Dieter Forte: Das Muster (Roman) |
Dieter Forte: Das Muster |
Inhaltsangabe:Von Luoyang nach Changang über Lou Zhou und Dun Huang nach Lop-Nor, um die Wüste Takla Makan nach Karashar, nach Khotan und Kasghgar, über das Hochland von Pamir nach Tashkent, Samarkand, Hamadan, Palmyra zum Hafen von Antiochia; lange Karawanen aus fremden Ländern mit alten Geschichten von der Kaiserin Lei Zu, die in ihren Gärten in der Ebene des gelben Flusses von einer Schlange angegriffen auf einen Maulbeerbaum flüchtete, auf dessen Blättern kleine hässliche Raupen durch dünne selbst gesponnene Fäden sich in harte Kokons verwandelten, aus denen erneut verwandelt zarte Schmetterlinge schlüpften; mit der Geschichte des großen Kaisers im Osten, der so kostbare Seidengewänder trug, dass alle Gesandtschaften ehrfürchtig davon berichteten, der bei Strafe des Todes verbot, das Geheimnis des Maulbeerbaumes und der Seidenraupe über die Grenzen seines Reiches zu tragen, und in seiner Hauptstadt auf hohen Stangen die Köpfe derer ausstellte, die das Verbot missachteten. (Seite 9)
Mit diesem Satz beginnt Dieter Forte seinen Roman "Das Muster". Industrianten hießen die Erbauer dieser neuen Welt, die wie vulkanisches Urgestein schnell aufschoss, rotglühende Lava, die sich ausdehnte, Einbrüche überstand, neue Verbindungen einging, sich zusammenschloss und verwandelte, ihr dampfendes Gestein über die alte Erde schob, erkaltete, verkrustete, aus kleinen Werkstätten immer größere Fabriken schuf, aus kleinen Wohnhäusern immer größere Ansiedlungen, sie kamen aus Irland, England, Belgien, Frankreich, Holland, brachten Ingenieure und Facharbeiter mit, ganze Kolonien entstanden um die jeweiligen Fabriken, mit eigener Sprache, eigener Religion, eigener Lebensart, eigenen Feiertagen, eigener Kirche [...] holländische Spediteure, böhmische Glasbläser, ungarische Schuhmacher, jüdische Kleiderhändler, bayerische Bierbrauer, Agenten Hamburger Reeder, Bankiers aus Basel, Notare aus Bern, russische Popen, deutsche Nonnen, französische Damen, Religionsverkünder, Unternehmer und Fabrikgründer aller Art [...] Mulvany, Piedboeuf, Poensgen, Grillo, Bourdouxhe & Co, Dawans, Orhan & Co, Herlitschka & Gobiet, Regnier-Poncelet & Büttgenbach [...] (Seite 216f)
Unter den Fontanas sind jetzt auch skurrile Privatgelehrte wie Gustav Fontana, der über ein enzyklopädisches Wissen verfügt, aber von der Universität relegiert wird, nachdem er ein von seinem Ordinarius geschriebenes Buch mit jeder Menge abfälliger Randnotizen versehen hat. Trotz des abgebrochenen Medizinstudiums lässt sich Gustav Fontana "Professor" titulieren. Im Ersten Weltkrieg muss er wegen seiner Herzschwäche und seiner Fachausbildung nicht an die Front, sondern wird in Düsseldorf als Sanitäter eingesetzt. Seine aus Basel stammende Ehefrau Yvonne, die einen Sohn namens Jeannot mit in die Ehe brachte und zwei weitere Kinder gebar – Elisabeth und Friedrich – stirbt während des Kriegs an Tuberkulose. Maria war da eine neue Farbe, ein neuer Zusammenhalt, die lose hängenden Kettfäden an einem alten Webstuhl wurden neu gespannt, von einem frischen starken Schussfaden durchzogen, schien ein neues Muster zu entstehen. (Seite 330) Die Katholikin kann es nicht fassen, dass weder ihr Bräutigam Friedrich Fontana noch dessen Angehörige wissen, ob sie getauft sind oder nicht. Am Tag vor der Hochzeit in Düsseldorf bemerkt sie, dass Friedrich keinen passenden Anzug besitzt. Sie gibt ihm Geld, damit er sich einen kaufen kann, doch auf dem Weg trifft er Freunde und vertrinkt mit ihnen seine Barschaft. Zur Trauung erscheint er in einer geliehenen SA-Uniform. Weil Maria sich weigert, mit ihm in diesem Aufzug vor den Altar zu treten, muss ein Bekannter namens Hermann schnell mit dem Motorrad nach Hause fahren und seinen schwarzen Anzug holen. In der Sakristei zieht Friedrich sich um. |
Buchbesprechung:
In seinem Debütroman "Das Muster" verfolgt Dieter Forte die fiktive Geschichte einer italienischen und einer polnischen Familie über Jahrhunderte hinweg bis zur ehelichen Verbindung in Düsseldorf. Im ersten Kapitel eilt er wie im Zeitraffer auf 80 Seiten vom 12. bis zum 18. Jahrhundert.
[...] gab es Menschen, die vier komplette Lebensläufe hatten, in jeder Kneipe mit einem anderen Namen angeredet wurden, ihre vier Schicksale vermischten sich bei jedem behördlichen Kreuzverhör zu einem undurchdringlichen Lebensdschungel. (Seite 205) Dieter Forte entwickelt die doppelte Familienchronik in zahlreichen kleinen Geschichten. Groteske Begebenheiten wechseln sich mit realistischen Milieuschilderungen, Porträts skurriler Charaktere und politischen Skizzen ab. Einige dieser Miniaturen sind originell und unterhaltsam, die meisten lesenswert. Da die Figuren jedoch in der ersten Hälfte des Romans "Das Muster" nach wenigen Seiten jeweils von einer anderen Generation abgelöst werden, Haupt- und Identifikationsfiguren also fehlen, geht das Geschehen dem Leser nicht nah. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2007 |