Julia Franck: Der neue Koch (Roman) |
Julia Franck: Der neue Koch |
Inhaltsangabe:Die dreißig Jahre alte Ich-Erzählerin, deren Namen wir nicht erfahren, betreibt ein heruntergekommenes kleines Hotel an irgendeiner Küste. Mit sechzehn ging sie auf eine Haushalts- und Hotelfachschule. Die Ausbildung hätte drei Jahre dauern sollen, aber sie hörte vorzeitig auf. Ihr Vater starb vor fünfzehn, ihre Mutter vor zehn Jahren. Offenbar war die Mutter-Tochter-Beziehung nicht sehr herzlich. [...] ich wollte meine Mutter nie genauer kennen, als ich ohnehin musste. (Seite 7) Nach dem Tod der Mutter verbrannte die Erzählerin deren Testament, in dem das Hotel dem langjährigen Hausmädchen Berta vermacht und zwei Stammgästen – Madame Piper und Anton Jonas – eine kleine Rente zugedacht worden war. Die Tochter hat niemandem erzählt, dass sie nur den Pflichtteil bekommen sollte. Lustlos führt sie das Hotel. Sie vermutet, dass sie im letzten Jahr einen Verlust machte, und im laufenden Jahr wird die Bilanz wohl noch schlechter ausfallen. Ich bin zwar Hotelbesitzerin, aber keine tüchtige Geschäftsfrau. (Seite 76) Die Dreißigjährige kann sich zu nichts aufraffen, nicht einmal dazu, ihr Zimmer in Ordnung zu bringen: Mir fällt auf, dass es nicht besonders aufgeräumt ist. Anziehsachen stapeln sich auch auf dem anderen Sessel, der in der Ecke des Zimmer steht. Der Lampenschirm ist schon vor längerer Zeit abgefallen, ich habe ihn noch nicht wieder angebracht, also liegt er daneben. Das Tuch, das stattdessen über der Birne hängt, hat Mottenlöcher. Neben den CDs liegen Zeitungen auf dem Boden, leere Teetassen, ein Zuckerstreuer. Aber auch Vergängliches fällt mir auf, die Suppenschüssel, die ich da hinten sehe, erkenne ich, sie ist einige Tage alt, in ihr blüht es, unter dem Schimmel dürfte sie noch mit einem Rest gefüllt sein. (Seite 68)
Interesse- und teilnahmslos beobachtet sie die Gäste: [...] Anton Jonas [...] hält einen Vortrag über die Unverschämtheit, die Schmach, dass ein Dichter wie er einfach nicht beachtet werde. (Seite 29)
Zur Zeit wohnt auch eine Frau Mitte vierzig mit ihren Kindern hier. Ihr Sohn ist im Vorschulalter, die Tochter etwas älter. Der Mann scheint sie verlassen zu haben. Weil die Hotelbesitzerin sich den Namen nicht merken kann, nennt sie die Frau in Gedanken "Spätmutter". Im Supermarkt treffe ich Leute, die ich nicht treffen mag, sie fragen mich, wie es geht, ich will ihnen nicht antworten, ich habe Angst vor ihnen [...] Auch wenn ich über die Straße will, ist mir nicht behaglich, die Autos, in denen Menschen sitzen, die ich mal gekannt habe, als ich klein und noch Schulkind war, die heute hupen, weil sie meinen, mich noch immer zu kennen, die fürchte ich, die fragen mich, was aus mir geworden sei, wo ich wohnen würde, was ich machen würde, ob ich verheiratet sei, die Fragen stören mich, die mag ich nicht. Ich mag Einkaufen nicht mehr. (Seite 20f) Überhaupt nimmt sich der Koch gegenüber seiner Chefin viel heraus.
Er öffnet seine Hose und greift nach meiner Hand. Das habe ich nicht erwartet. Danke, ich bedanke mich, das Jammern kostet mich viel Anstrengung, genug jedenfalls, es wird alles immer schlechter, ein einziges Jammertal. Er gibt mir meine Hand zurück und schließt seine Hose. Er bedauert mich wenig, dafür sich um so mehr und fiept wie ein junger Hund, einer, der das Huhn hängen sieht, sich aber nicht ans Feuer traut. Ich sage ihm, ohne Liebe nicht, erst Liebe, dann Huhn. (Seite 24)
Sie geht in ihr Zimmer, zieht sich aus, versteckt die getragene Wäsche unter der Matratze und legt frische aus dem Schrank auf einen Stuhl. Nackt auf dem Bett liegend und frierend wartet sie auf ihn – aber er kommt nicht.
Anton Jonas kann es nicht leiden, wenn ich ihn anspreche, einfach so, ungefragt, und es ist ihm besonders unangenehm, wenn er sich gezwungen sieht, darauf zu reagieren.
In seiner Wohnung wurde eingebrochen, steht in dem Fax; der Dieb scheint jedoch nichts gestohlen zu haben. Ich sage: Hier. Das will sie nicht glauben, das sei hier doch ein Hotel und kein Zuhause. (Seite 45) Herr Hirschmann, ein weiterer Stammgast, trifft ein. Herr Hirschmann macht keinen Hehl daraus, dass er meine Mutter für eine Sklavenhalterin hielt, aber da er sie wiederum billig fand, kam er immer wieder. (Seite 10)
Weil er die Nacht durchfuhr, möchte er gleich in sein Zimmer und erst einmal schlafen. Kurz nachdem er von der Hotelbesitzerin, die nicht mehr an seine Reservierung gedacht hatte, einen Schlüssel erhielt, kommt er wieder herunter:
Ich sitze, wie auch gestern und die meisten Abende, allein an meinem Tischende, zwischen mir und Elisabeth sind nach links drei Plätze frei, zwischen mir und Hirschmann zur anderen Seite ebenso viele. (Seite 64) Die Gäste loben den Koch. Das ärgert seine Chefin. Ich will nicht, dass er unter meinem Dach Erfolge feiert, ich gönne ihm die Arbeit, nicht aber den Spaß. (Seite 69)
Spätabends kommt der Koch angetrunken zu ihr ins Zimmer. Er küsst sie von oben bis unten und meint, er habe sich ihre Brüste anders vorgestellt. Es mache aber nichts. Als sie ihn fragt, ob er Sex mit ihr haben wolle, kriegt sie keine Antwort, denn er ist bereits eingeschlafen. [...] zwei Brote mit Wurst und Käse, Teewurst und Scheiblettenkäse, beides zusammen auf beiden Broten, Gurken und Paprika und so was würde er nicht mögen, die dürften nicht drauf sein, Klappbrote mit Wurst und Käse, das sei alles. (Seite 96f)
Am nächsten Morgen verschläft die Hotelbesitzerin. Der Koch weckt sie, legt seine Hand auf ihren nackten Po und meint, er werde sie "freikaufen". Zwar hat er kein Geld, aber er will sich einen Kredit besorgen. Ein Trotz wächst in mir, eine Wut auf den Koch und seine Helfer, die mir das Hotel abkaufen, eine Freiheit verkaufen, einen Handel unterjubeln wollen, den ich noch nie in Erwägung gezogen habe. (Seite 130)
Gegen Mitternacht kommt Niclas, wie verabredet, mit seinem Köfferchen zu ihr ins Zimmer. Sie will nun doch eine umfassende Versicherung für das Hotel abschließen. Allerdings besteht sie auf einem rückdatierten Vertrag. Während sie duscht, arbeitet Niclas am Laptop. Damit die Rückdatierung im Versicherungsunternehmen nicht auffällt, wird er ihr eine Mahnung über den ersten Beitrag schicken. Ich wusste, was zu mir gehörte, aber die Verbindung zu den Dingen fehlte gänzlich. (Seite 142)
Sie fragt den Koch, ob er mit ihr weggehen würde, aber davon hält er nichts. Stattdessen schlägt er vor, das Hotel "Esperanza" zu nennen. |
Buchbesprechung:
Im Mittelpunkt des Romans "Der neue Koch" von Julia Franck steht eine dreißigjährige Frau, die sich nach dem Tod ihrer Mutter vor zehn Jahren durch eine Unterschlagung den Besitz des familieneigenen Hotels gesichert hatte, das Haus jedoch herunterkommen ließ und nicht einmal in der Lage ist, ihr eigenes Zimmer aufzuräumen. Sie rafft sich auch nicht auf, etwas zu unternehmen, als einer der Hotelgäste sich das Genick bricht. Veränderungen mag sie nicht. Zum Einkaufen geht sie ungern, weil sie keine Bekannten von früher wiedersehen möchte. Die Außenseiterin weiß denn auch nicht, was im Dorf vor sich geht. Teilnahmslos beobachtet sie die Hotelgäste, die zumeist schon seit Jahren herkommen, und beim Abendessen setzt sie sich abseits. Nachdem sie einen neuen, ebenso frechen wie ehrgeizigen Koch eingestellt hat, werden ihr die Entscheidungen aus der Hand genommen: Sie hat ihn und das Hausmädchen ebenso wenig unter Kontrolle wie ihr Leben. Schließlich nimmt sie sich vor, anderswo neu anzufangen – aber auch das gelingt ihr nicht.
Eine leidenschaftliche Boshaftigkeit irrlichtert durch die Sätze dieses kleinen rebellischen Romans, der sich zunächst ganz sachlich gibt – als huldige er unschuldig der Beschreibungskunst –, um so gezielter aus dem Hinterhalt zuzuschlagen. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2009
Julia Franck: Liebediener |