Jonathan Franzen: Unschuld (Roman) |
Jonathan Franzen: Unschuld |
Inhaltsangabe:
Purity mag ihren Vornamen nicht. Sie bevorzugt den Spitznamen, den sie im Kindergarten bekam: Pip. Sie wuchs in einer von ihrer Mutter Penelope Tyler gemieteten Hütte in Felton/Kalifornien auf und ging in Santa Cruz zur Schule. Ihren Vater kennt Pip nicht. Sie weiß zwar, dass ihre Mutter vor langer Zeit eine andere Identität angenommen hat, aber darüber spricht die zu Hysterie und Hypochondrie neigende Mutter nicht mit Pip, und sie weigert sich, entsprechende Fragen zu beantworten. "[...] ich brauche Geld, und du hast keins, und ich habe keins, und ich weiß nur einen Ort, wo ich wahrscheinlich welches bekomme. Es gibt bloß einen Menschen, der mir, und sei es theoretisch, etwas schuldet. Also werden wir darüber reden."
Mit einigen anderen Personen wohnt sie in einem Haus in Oakland, das einem Mann Mitte 40 namens Dreyfuss gehört, der wegen seiner Schizophrenie Psychopharmaka nehmen muss und deshalb erwerbsunfähig ist. Er gehört der Occupy-Bewegung an und hat von Anfang an mittellose Gleichgesinnte aufgenommen, die sich an den Neben-, Reparatur- und Lebenshaltungskosten beteiligten. Einer von ihnen ist der geistig behinderte Ramón, der zunächst mit seinem Bruder Eduardo in dem Haus wohnte, bis dieser von einem Wäschereitransporter totgefahren wurde. Ein Jahr zuvor war Ramón von dem ebenfalls hier lebenden und kaum älteren Ehepaar Marie und Stephen adoptiert worden. "Zwei Möglichkeiten. Die eine: Du hilfst mir, meinen Vater zu finden, damit ich versuchen kann, von ihm Geld zu kriegen. Die andere: Ich denke darüber nach, eine Weile nach Südamerika zu gehen. Wenn du möchtest, dass ich hierbleibe, musst du mir helfen, meinen Vater zu finden."
Penelope Tyler lässt sich nicht umstimmen, und Pip fliegt daraufhin tatsächlich zu Andreas Wolf nach Bolivien. Als oberster Staatsökonom war er für die pauschale Aufbereitung von Daten verantwortlich, sollte Produktivitätswachstum demonstrieren, wo keines war, einen ausgeglichenen Staatshaushalt vorweisen, der jedes Jahr weiter von der Realität wegdriftete, offizielle Wechselkurse korrigieren [...] Markus Wolf, der von 1952 bis 1986 die Hauptverwaltung Aufklärung leitete, den Auslandsnachrichtendienst im Ministerium für Staatssicherheit, war ein Onkel zweiten Grades von Andreas. Eigentlich hätte Andreas in Hessenwinkel oder sogar Wandlitz aufwachsen müssen, jener Enklave, wo die Parteioberen ihre Villen hatten, doch seine Mutter hatte darauf bestanden, näher ans Stadtzentrum zu ziehen, und so lebten sie in einer der oberen Wohnungen mit großen Fenstern und Balkonen in der Karl-Marx-Allee.
Andreas' Großmutter mütterlicherseits besaß einen britischen Pass und war im "Dritten Reich" mit ihrem Mann und den beiden Töchtern nach Liverpool emigriert, wo ihr Mann auf einer Werft arbeitete und für die Sowjetunion spionierte. Nach dem Krieg kehrte die Familie ohne die ältere Tochter, die inzwischen einen Musiker geheiratet hatte, nach Deutschland zurück. Der Vater erhängte sich 1948 in Rostock, die Mutter brach daraufhin zusammen und musste den Rest ihres Lebens in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt verbringen. Angeklagt war er des versuchten Selbstmords, doch das Symptom, mit dem er vorstellig werden sollte, war exzessive Onanie. Später studierte er Mathematik und Logik. Als die Literaturzeitschrift "Weimarer Beiträge" ein regimekritisches Gedicht von Andreas veröffentlichte, bewahrte ihn zwar die einflussreiche Stellung seines Stiefvaters vor einer Festnahme, aber die Mutter drohte ihm mit einer Einweisung in die Psychiatrie. Obwohl Andreas zu den Atheisten gehörte, zog er in den Keller eines Pastorats, das sich um in Schwierigkeiten geratene Jugendliche kümmerte. Den Kontakt zu den Eltern brach er ab. In den sieben Jahren, die darauf folgten, sah er seine Mutter nur zweimal, zufällig, aus der Ferne. Andreas half bei der Jugendbetreuung in der Kirche mit und nutzte die Gelegenheiten, um mit möglichst vielen Mädchen Sex zu haben. Allerdings achtete er darauf, dass sie es freiwillig und bei mehr oder weniger klarem Verstand taten.
Die jungen Mädchen standen praktisch Schlange vor seinem Büro, um die Hose für ihn auszuziehen, und wenn sie glaubhaft versichern konnten, mindestens sechzehn zu sein, half er ihnen bei den Knöpfen. Auch das war natürlich eine Ironie des Schicksals. Er leistete dem Staat einen wertvollen Dienst, indem er asoziale Elemente überredete, in den Schoß des Systems zurückzukehren, und ihnen die Wahrheit sagte, sie andererseits aber eindringlich mahnte, selbst zurückhaltend damit zu sein – und für diesen Dienst wurde er mit Teenager-Muschis bezahlt.
Mit dem 53. Mädchen, der rothaarigen Petra, erwischte ihn die Volkspolizei im Winter 1987/88 in der Datsche seiner Eltern am Müggelsee. Bald darauf lernte der 27-Jährige in der Kirche ein bildschönes 15 Jahre altes Mädchen kennen. Annagrets leiblicher Vater, ein Lastwagenmechaniker, war an einem Gehirntumor gestorben. Ihr Stiefvater Horst Werner Kleinholz missbrauchte sie, während die Mutter nachts als Krankenschwester arbeitete – und Betäubungsmittel stahl, die sie sowohl im Dienst als auch in der Freizeit nahm. Horst Kleinholz, der als Brigadier beim größten Elektrizitätswerk der Stadt angestellt war und Spitzeldienste für die Stasi leistete, wusste es und teilte das Geheimnis mit Annagret, der jüngeren seiner beiden Stieftöchter. Er hatte sich neun Jahre lang nach ihr gesehnt. Hatte in dreiundfünfzig Mädchen nach ihr gesucht, ohne sie zu finden. Es war schrecklich, wie sehr er sie liebte.
Katya erzählte, dass die Datsche an ein Bauunternehmen verkauft wurde, das auf dem Areal neue Häuser errichten wollte.
"Das Archiv!", rief er. "Suchen wir das Archiv!"
Also suchte er seinen Stiefvater auf, gestand ihm in groben Zügen den Mord und drängte ihn, ihm sowohl seine Akte als auch die von Horst Werner Kleinholz zu beschaffen. Einige Tage später nannte ihm der Stiefvater eine Kontaktperson im Archiv. Hauptmann Eugen Wachtler führte Andreas in einem Raum, legte ihm die Akten vor und gab ihm eine Stunde Zeit, darin zu lesen. Andreas gelang es, das Gebäude vor Ablauf der Zeit mit den Akten zu verlassen. Als sich im Freien zwei Wachleute näherten, forderte Andreas herumstehende Reporter auf, zu filmen und verhinderte auf diese Weise seine Festnahme. [...] in Elkins Park hatte der Dekan der Tyler School of Art eines Morgens in seinem Büro einen in braunes Schlachterpapier gewickelten Körper vorgefunden. Auf das Papier hatte jemand mit rotem Stift IHR FLEISCH gekritzelt. Der Körper war warm und lebendig, reagierte aber nicht. Der Dekan rief den Sicherheitsdienst, der dann genug von dem Papier abriss, um das Gesicht einer jungen Frau aus dem zweiten Masterstudienjahr, Anabel Laird, freizulegen. Ihre Augen waren offen, der Mund zugeklebt. [...] Weiteres behutsames Reißen am Papier ergab, dass Anabel Laird offenbar mit nichts anderem als Schlachterpapier bekleidet war. Nach einigem gemeinschaftlichen Händeringen trugen die Sicherheitskräfte das Paket in einen Raum, in dem eine Sekretärin die Studentin auswickelte, ihr das Klebeband vom Mund abzog und sie in eine Decke hüllte.
Kurz bevor Anabel ihren Master-Abschluss machte, wurde sie die Freundin von Tom Aberant, der die Journalistenschule der University of Missouri absolviert hatte. Sie spielte zwar gern mit seinem Penis – wobei sie stets so tat, als gehöre er nicht zu Tom –, aber penetrieren ließ sie sich nur bei Vollmond, denn an allen anderen Tagen war sie frigide. Tom Aberant und David Laird waren sich auf Anhieb sympathisch, aber Anabel hatte ein gestörtes Verhältnis zu ihrem verwitweten Vater, und Clelia Aberant warnte ihren Sohn sechs Wochen vor dem Hochzeitstermin vor einer dauerhaften Verbindung mit Anabel. Die Frau passe nicht zu ihm, meinte sie, und werde ihm Unglück bringen. Daraufhin lud Tom seine Mutter von der Hochzeitsfeier aus. Ihren Vater wollte Anabel ohnehin nicht dabei sehen, und als er dennoch mit einem Geschenk auftauchte, spuckte sie ihm vor den Gästen ins Gesicht. Die erste Hälfte der Hochzeitsnacht verbrachte Tom nach einem Streit mit Anabel auf dem Sofa im Wohnzimmer. Bei aller guten Arbeit, die das Sunlight Project leistete, diente es inzwischen vor allem der Erweiterung seines Egos.
Pip Tyler wird am Flughafen von Santa Cruz de la Sierra von dem für das "Sunlight Projekt" tätigen Bolivianer Pedro abgeholt und zum Camp in Los Volcanes gefahren. Andreas Wolf ist nicht da. Er hält sich in Buenos Aires auf, wo er als Berater an einem Film über sich mitwirkt und Gerüchten zufolge eine Affäre mit der amerikanischen Schauspielerin Toni Field hat, die seine Mutter verkörpert. Während seiner Abwesenheit freundet Pip sich mit Colleen an, der Geschäftsführerin des Projekts, die in Yale Jura studiert hat. Aber als Andreas nach seiner Rückkehr unübersehbar Pip bevorzugt, zieht Colleen sich enttäuscht zurück und verlässt bald darauf das Projekt. "Die Stasi hegte Verdacht, aber meine Eltern haben mich geschützt. Irgendwann habe ich die Ermittlungsakte bekommen, da war es dann aus mit der Ermittlung. Aber es gab ein Problem. Nach dem Mauerfall habe ich einen furchtbaren Fehler gemacht. Ich habe in einer Bar einen Mann kennengelernt und ihm erzählt, was ich getan hatte. Einen Amerikaner … [...] Ich habe ihm vertraut. Außerdem brauchte ich seine Hilfe."
Er müsse damit rechnen, fährt Andreas fort, dass dieser Mann, ein Journalist in Denver, das "Sunlight Project" kaputt machen wolle, und zwar durch Enthüllungen über ihn bzw. den Mord. Pip soll sich deshalb zunächst im Camp unauffällig nach einem möglichen Spitzel umhören. Als Pip ein halbes Jahr lang Erfahrungen im Camp sammeln konnte, schlägt Andreas ihr vor, sich um ein Recherchepraktikum beim Online-Magazin "Denver Independent" zu bewerben. Bei dem Herausgeber Tom Aberant handelt es sich um den Mann, der von dem Mord weiß und dem "Sunlight Project" gefährlich werden könnte. Pip soll herausfinden, was er vorhat. Sobald sie einen eigenen E-Mail-Account habe, ordnet Andreas an, müsse sie einen Anhang öffnen, den er ihr mit einer Mail schicken werde. Dass sie beim "Sunlight Project" mitmachte, dürfe sie nicht verraten. "Ich will jetzt, dass du den anfasst. Ich will, dass du dich splitternackt ausziehst und dich da drauflegst, und dann besorg ich's dir, wie du's in deinem ganzen Leben noch nicht besorgt gekriegt hast."
Als er ihr dann gestand, es habe sich eine zu Übungszwecken angefertigte Attrappe gehandelt, die er nun zurückbringen werde, reagierte sie wütend und packte noch in der Nacht ihre Sachen. Möglicherweise war jedoch ein echter Gefechtskopf mit der Nachbildung vertauscht worden. "Ich habe in Oakland eine Deutsche kennengelernt", sagte sie. "Die wollte, dass ich nach Bolivien gehe. Sie hat gesagt, das Projekt könnte mir helfen, meinen Vater zu finden. [...] er [Andreas Wolf] hat sich auf besondere Weise für mich interessiert, und er hat mir etwas erzählt. Ich glaube, du weißt, was." "Sag es." "Dass er jemanden umgebracht hat. Dass er es noch einem anderen erzählt hat, nämlich dir. Und dann habe ich die Suche nach meinem Vater aufgegeben und wollte weg, und da hat er gesagt, ich soll hierherkommen. Er hatte Angst, du wolltest ihn entlarven."
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
Andreas Wolf stieß eines Tages im "Columbia Journal" auf ein Interview von Toms Lebensgefährtin und Mitarbeiterin Leila Helou. Internet-Quellen zufolge war sie mit dem gelähmten Schriftsteller Charles Blenheim verheiratet. Toms Ehefrau Anabel wiederum war 1991 spurlos verschwunden und auch nicht wieder aufgetaucht, als ihr Vater David Laird einen Treuhandfonds von einer Milliarde Dollar für sie einrichtete. Weitere Nachforschungen brachten Andreas auf die Spur der Supermarkt-Kassiererin Penelope Tyler in Felton/Kalifornien und deren Tochter Purity, die im Direktmarketing eines Start-up-Unternehmens arbeitete. Als er sich sicher war, dass es sich bei Penelope Tyler um Toms Ex-Frau Anabel Laird handelte, bat er Annagret, nach Denver zu fliegen und Pip zu überreden, beim "Sunshine Project" mitzuwirken. Es ging ihm darum, Pip auf die Spur ihres Vaters Tom zu bringen, der gar nicht wusste, dass Anabel bei der Trennung von ihm schwanger gewesen war. "Also, was führt dich nach Bolivien?", sagte Andreas. "Du meinst, abgesehen davon, dass du meine Computer gehackt hast?" Toms Stimme klang gepresst, so sehr musste er sich beherrschen. "Abgesehen davon, dass du einer jungen Frau, die zufällig meine Tochter ist, im Kopf herumgefuhrwerkt hast?"
Tom verlangt von Andreas, dass dieser alles aus den Rechnern in Denver gezogene Material vernichtet und sich verpflichtet, nie wieder Kontakt zu Pip aufzunehmen. Andernfalls, droht Tom, werde er einen Artikel über Andreas bringen, über den Mord berichten und die Polizei in Deutschland zum Grab führen. Daraufhin öffnet Andreas die Kopie von Toms privater Festplatte, tippt das Passwort le1o9n8a0rd in die Betreffzeile einer Mail, wählt die Adresse andtylertoo@cruzio.com und hängt die Datei Ein Fluss aus Fleisch.doc an, bevor er die Mail sendet. GESTEHE DEN MORD AN HORST WERNER KLEINHOLZ IM NOVEMBER 1987. ICH ALLEIN BIN VERANTWORTLICH FÜR DIE TAT, DIE ICH HEUTE BEGANGEN HABE. ANDREAS WOLF
Dann springt er vor Toms Augen in die Tiefe. "Ich stehe körperlich unter Schock, dachte aber, du solltest es wissen. PS: Bin in Bolivien, habe ihn sterben sehen. Sollte er dir etwas geschickt haben, vernichte es bitte ungelesen. Er war geisteskrank.
Toms Bitte ignorierend, öffnet Pip die angehängte Word-Datei mit dem Passwort le1o9n8a0rd. Es handelt sich um Toms Autobiografie. Daraus erfährt sie nicht nur, wer ihr Vater ist, sondern auch, dass es sich bei ihrer Mutter um Anabel Laird handelt, die ihr nicht nur ihre wahre Identität, sondern auch einen Treuhandfonds von einer Milliarde Dollar vorenthalten hat. Trotz des Reichtums zog sie ihre Tochter in Armut auf und ließ sie auf ihren Studienschulden sitzen. Jetzt versteht Pip, warum die Mutter gegen ihr Praktikum in Denver war: Sie musste annehmen, dass Pip ihren Vater gefunden habe. "Er ist ein guter Mensch, und die Bank versucht, ihm sein Vermögen zu stehlen. Also habe ich mir gedacht, in dem Fonds liegt so viel Geld, und Sie entscheiden doch darüber, wie es verwendet wird."
Der Jurist zögert zunächst, erklärt sich dann aber bereit, das Haus mit Geld aus dem Fonds zu kaufen. Allerdings muss Pip ihm ihren richtigen Namen nennen und eine Vollmacht unterschreiben. In einem halben Jahr, so James Navarre, werde er Anabel Laird erneut von einem Privatdetektiv suchen lassen. So lange habe Pip Zeit, selbst mit ihrer Mutter über alles zur reden. Pips richtiger Geburtstag war nicht der 11. Juli, sondern der 24. Februar. Sie war in einem Frauenhaus in Riverside, Kalifornien, auf natürlichem Wege von einer Hebamme entbunden worden. Bis sie zwei war, hatten sie in Bakersfield gelebt, wo ihre Mutter zum Broterwerb Hotelzimmer putzte. Dann hatte ihre Mutter das Pech gehabt (Bakersfield lag ja am Ende der Welt), einer Freundin vom College zu begegnen, die zu viele Fragen stellte. Eine neue Freundin aus dem Frauenhaus wusste von einer Hütte in den Santa Cruz Mountains, die zu mieten war, also zogen sie dorthin. Dass der Vater einen mit einer Milliarde Dollar gefüllten Treuhandfonds einrichtete, habe er aus Bosheit getan, meint Anabel, aber noch grausamer sei Tom gewesen, als er Geld von ihrem Vater annahm. Ich habe ihm gesagt, es bringt mich um, wenn er jemals Geld von meinem Vater annimmt, und er hat es trotzdem getan. Extra, um mich zu verletzen. Er hat mit meiner besten Freundin geschlafen, um mich zu verletzen. Deshalb habe sie Tom die Schwangerschaft verschwiegen und ihre Identität gewechselt. Er sollte nie etwas von der Existenz seiner Tochter erfahren. Mit dem Geld will Anabel noch immer nichts zu tun haben, aber Pip zählt ihre Forderungen auf: "Vollständige Tilgung des Studiendarlehens. Weitere viertausend, um meine Kreditkartenschulden zu begleichen. Achthunderttausend, um Dreyfuss' Haus zu kaufen und es ihm zurückzugeben. Auch sollten wir, wenn du unbedingt hierbleiben willst, die Hütte kaufen und sie richtig auf Vordermann bringen. Gebühren für ein Master-Studium, falls ich eines machen möchte. Monatliche Lebenshaltungskosten, falls du deine Arbeit aufgeben willst. Und dann vielleicht noch weitere fünfzigtausend zum So-Ausgeben, während ich versuche, mir eine Existenz aufzubauen. Das Ganze beläuft sich auf knapp drei Millionen. Das sind rund fünf Prozent der Dividenden eines Jahres." Verzweifelt meint Anabel, Pip könne das gesamte Geld haben, aber die Tochter erklärt ihr, dass das zu Lebzeiten der Mutter nicht möglich sei. Das Kapital gehört ohnehin dem Fonds; zur Verfügung stehen lediglich die Erträge – viele Millionen pro Jahr –, und über deren Verwendung könne nur die von David Laird eingesetzte Begünstigte entscheiden. Als Anabel endlich nachgibt, ruft Pip ihren Vater an. "Entschuldige, Pip", sagte Tom. "Was sagst du da?" "Ich sage dir, dass ich alles herausbekommen habe." "Ach du Schreck. Okay." "Aber nicht so, wie du denkst. Dein Dokument habe ich nicht gelesen." "Ah, gut. Gut. Hervorragend." Toms Erleichterung war hörbar. "Ich habe es gelöscht", sagte sie. "Aber Andreas hat mir vor seinem Tod noch mitgeteilt, wer du bist. Das hat die Recherche leichtgemacht, und dann hat meine Mom mir alles erzählt." Nun möchte Tom seiner Tochter so rasch wie möglich alles noch einmal aus seiner Sicht berichten. Pip fordert ihn auf, an einem der nächsten Tage zu kommen. "Ich will doch bloß, dass ihr euch verzeiht. Ich will euch beide sehen dürfen, aber das kann ich nicht, wenn ich das Gefühl habe, ich verrate den einen, wenn ich beim anderen bin." Jason holt Tom am Flughafen von San Jose ab und bringt ihn zur Hütte. Nach fast 25 Jahren sehen Tom und Anabel sich erstmals wieder. Unmittelbar nach der Begrüßung verlässt Pip mit Jason die Hütte. Sie hat vor, den Eltern zwei Stunden Zeit für eine Aussprache zu geben. Sie und Jason fahren in den Staatspark und treiben es dort im Auto. Als sie nach vier Stunden zurückkommen, hören sie das Geschrei der Eltern, "den Klang nackten Hasses". |
Buchbesprechung:
"Unschuld" ist eine Mischung aus Thriller, Bildungsroman und Familiendrama. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2015
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