"Man mag sich beim Anblick dieser armseligen Gestalten, wie sie hier als Gefangene vor uns sind, kaum die Macht vorstellen, mit der sie als Nazi-Führer einst einen großen Teil der Welt beherrscht und fast die ganze Welt in Schrecken gehalten haben", meint der amerikanische Hauptankläger im "Nürnberger Prozess". Es falle schwer, nicht nach Rache zu schreien, sondern sich stattdessen um eine "gerechte Wiedergutmachung" zu bemühen. "Unsere Aufgabe ist es jedoch, soweit das menschenmöglich ist, das eine streng abzugrenzen gegen das andere [...] Wir möchten ebenfalls klarstellen, dass wir nicht beabsichtigen, das ganze deutsche Volk zu beschuldigen."
Für sein Schlusswort benötige er nur eine Minute, tönt Göring, denn es werde im Wesentlichen aus dem Götz-Zitat bestehen. Er kritisiert zwar, dass der "Sieger immer der Richter und der Besiegte stets der Angeklagte" sei, aber er bereitet sich eifrig auf die Verhandlungen vor: Die Möglichkeit zum Wortgefecht mit Juristen aus England, Frankreich, Russland und Amerika spornt ihn an. Albert Speer meint anerkennend: "Wie ich ihn nach all der Macht, dem Prunk und dem Aufwand so ernst und all seiner Diamanten und Orden entkleidet seine Verteidigung vor Gericht durchführen sah – das war wirklich erschütternd." Der amerikanische Gefängnispsychologe Gustave M. Gilbert erinnert sich später: "In unseren Unterhaltungen in seiner Zelle versuchte Göring den Eindruck eines jovialen Realisten zu machen, der mit hohen Einsätzen gespielt und verloren hatte und es alles wie ein guter Sportsmann hinnahm." Auf die Frage eines Journalisten, warum er sich den Amerikanern ergeben habe, antwortet Göring: Um "die deutsche Sache von einer wirklich verantwortlichen Stellung aus zu unterbreiten."
Als Gustave Gilbert dem Angeklagten vorhält, dass sich die meisten Deutschen vom Nationalsozialismus distanzieren, knurrt Göring: "Kümmern Sie sich nicht darum, was die Leute jetzt sagen! Das ist genau das, was mich nicht einen Dreck interessiert! Ich weiß, was sie vorher sagten! Ich weiß, wie sie uns umjubelten und lobpriesen, als alles gut ging." Er träumt von einem Neubeginn des Nationalsozialismus: "Wer weiß, vielleicht wird in dieser Stunde der Mann geboren, geboren aus unserem Fleisch und Blut, der mein Volk einigen wird – und er wird die Demütigung rächen, die wir jetzt erleiden!" Er prophezeit, in hundert Jahren sei Hitler wieder "das Symbol Deutschlands" und fährt fort: "Verlassen Sie sich darauf: [...] meine Gebeine kommen in einen Marmorsarkophag, und wenn es meine Knochen nicht mehr geben sollte, dann werden sie sonst was dafür reinlegen, wie bei den Heiligen!"
Vor Gericht behauptet Göring, niemals einen Mord oder eine Grausamkeit geduldet oder gar angeordnet zu haben. "Aber da ist etwas, was Sie wissen müssen – wirklich!", teilt er Gilbert mit. "Sie können es glauben oder nicht – aber ich sage es in tödlichem Ernst: Grausam bin ich nie gewesen! Ich gebe zu,
ich war hart, ich leugne nicht, dass ich nicht gerade schüchtern war, wenn es sich darum handelte, tausend Mann erschießen zu lassen, zur Vergeltung, als Geiseln oder was Sie wollen. Aber Grausamkeit – Frauen und Kinder foltern – du lieber Gott! Das lag meiner Natur fern." Beim Rorschach-Test versucht er, auf der Vorlage einen roten Klecks, den Probanden häufig mit Blut assoziieren, mit den Fingern wegzuschnippen. Der Psychologe fragt ihn: "Erfuhren Sie nichts über die Gräueltaten, von denen die ganze Welt wusste?" Göring antwortet: "Oh, man hörte eine ganze Menge Gerüchte, aber man glaubte natürlich nichts Derartiges." Und er behauptet: "Je höher man gestellt ist, desto weniger sieht man von dem, was sich unten abspielt." Als ein ehemaliger SS-General vor dem Gericht Massenmorde bezeugt, springt Göring auf und kann von den Wachen nur mühsam zurückgehalten werden: "Wahrhaftig, dieses dreckige, verfluchte Verräterschwein! Dieser gemeine Schuft! Herrgott, verflucht noch mal! Donnerwetter, der dreckige, hohlköpfige Hundesohn! Er war der verruchteste Mörder in dem ganzen verfluchten Verein. Der widerliche, stinkende Schweinehund! Verkauft seine Seele, um seinen dreckigen Hals zu retten!"
Seinem Verteidiger Otto Stahmer erklärt Göring: "Wenn Sie wirklich etwas Neues machen wollen, so werden Ihnen die Guten dabei nicht helfen. Sie sind selbstgenügsam, faul, haben ihren lieben Gott und ihren eigenen Dickkopf – man kann es nicht mit ihnen machen. 'Lasst wohlbeleibte Männer um mich sein [...]' – das kann ein gesalbter König sagen, aber kein Führer, der sich selbst geschaffen hat. Lasst abgefeimte Schurken um mich sein [...] Die Bösen, die etwas auf dem Kerbholz haben, sind gefällige Leute, hellhörig für Drohungen, denn sie wissen, wie man es macht, und für Beute [...] Man kann ihnen etwas bieten, weil sie nehmen. Weil die keine Bedenken haben. Man kann sie hängen, wenn sie aus der Reihe tanzen. Lasst abgefeimte Bösewichter um mich sein – vorausgesetzt, dass ich die Macht habe, die ganze Macht über Leben und Tod [...] Was wissen Sie von den Möglichkeiten im Bösen! Wozu schreibt ihr Bücher und macht Philosophie, wenn ihr nur von der Tugend etwas wisst, und wie man sie erwirbt, wo doch die Welt im Grund von etwas ganz anderem bewegt wird."
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