Martino Gozzi: Einmal Mia (Roman) |
Martino Gozzi: Einmal Mia |
Inhaltsangabe:An dem Morgen, als alles explodierte, wachte Mia auf, als der Wind durch die Fensterläden pfiff, und ihr war klar, es war Zeit zu gehen. (Seite 5)
Mit diesem Satz beginnt der Roman "Einmal Mia" von Martino Gozzi. Amos schläft noch. Vor zwei Jahren war Mia zu ihm gezogen. Oft ist er eine ganze Woche lang fort, denn er arbeitet für "Pelikan Express Deliveries", den "schnellsten Lieferservice der Welt". An den Tagen, an denen Amos zu Hause ist, spielt er nach dem Aufstehen erst einmal Gitarre, obwohl er es nicht wirklich kann, aber er geht damit sowohl jedem Gespräch als auch seinen eigenen Gedanken aus dem Weg. Am Vorabend hatte Mia einen Mann namens Adão kennen gelernt und war mit zu ihm gegangen, um mit ihm zu schlafen. Um 3 Uhr kehrte sie nach Hause zurück und legte sich neben Amos ins Bett. Noch vor dem Morgengrauen steht sie auf, schließt sorgfältig alle Fenster, dreht alle vier Gashähne auf und zieht die Haustür leise von außen zu. Das mit dem Gas macht sie nicht etwa aus Hass, sondern um die Brücke hinter sich abzureißen.
"Entschuldigt bitte", sagte [Mia], "aber wisst Ihr vielleicht, wo Luisville liegt?" [...]
Da an diesem Tag der einundzwanzigste ist, kommt Ramón mit seinem Lieferwagen vorbei, wie an jedem ungeraden Tag, um bei Bess und Jacob zu frühstücken und zu tanken. Ramón verkauft Bratpfannen aus rostfreiem Stahl. Er nimmt Mia mit nach Merisville und setzt sie dort vor dem "Motel 39" ab.
Der nahende Morgen tauchte in der Ebene von Merisville alles in eine große Stille. Wie lauter kleine Boote im Hafen schaukelten die Dinge genauso weiter, wie sie es schon die ganze Nacht über getan hatten. In einem kleinen Häuschen am Stadtrand, dem einzigen, wo in der Küche Licht brannte, packte eine Frau das Mittagessen für ihren Mann ein, der zum Arbeiten in die Zuckerfabrik musste. Der Mann küsste sie auf die Stirn, wortlos, schaltete das Licht in der Küche aus und schlüpfte nun, an der Türschwelle, in die Gummistiefel, die nach dem süßlichen Brei stanken. Nur wenige Meter entfernt stand sein Nachbar auf, um sich die Morgendämmerung anzuschauen, wie er es jeden Morgen tat, seit er wusste, dass ein Tumor seinen Magen auffraß. Zwei Häuserblöcke weiter tauchte seine allererste Freundin in die Wanne, mit Badehaube, damit ihre Haare nicht nass wurden, und löste ein paar Kreuzworträtsel, darauf achtend, dass auch das Rätselheft nicht nass wurde. Am anderen Ende der Stadt schnitt sich ihr zweiter Ehemann auf der Veranda sitzend die Nägel und wartete auf die Zeitung. Seine Taufpatin wiederum, die die letzten fünfundzwanzig Jahre alleine gelebt hatte, bekreuzigte sich, noch immer im Bett liegend und mit der Gewissheit, bald zu sterben. Ihre Enkelin Mardou, uneheliche Tochter eines Brasilianers und ihrer eigenen Tochter, schlüpfte mit der Anmut eines Windhauchs unter die Bettdecke, und kaum waren ihre Augen geschlossen, bemerkte sie nicht einmal, dass sie ganz alleine war, in diesem Bett. Mia dagegen wachte auf, als Antoine, der Barbier, noch immer auf dem Boden liegend, sagte:
Zum Abschied rät Antoine Mia, den Küstenbus Richtung Süden zu nehmen, in Auberville auszusteigen und sich dort an seine Mutter zu wenden: Emma Valdés.
Der gute alte Jacob tat nichts anderes als einfach nur dazusitzen, den ganzen Tag. Ab und zu wackelte er mit dem Kopf und betrachtete die Dinge, die sich mit dem Rhythmus verlangsamten. Und es kam immer häufiger vor, dass er sich in die Hosen machte oder das Bett einnässte.
Als Gilio und Emiliano in Luisville anlegen, steht der zehnjährige schwarze Junge Kito wie jeden Morgen am Hafen. Sein Vater Benicio Onetti hatte als Matrose auf einem Kutter der Hochseefischerei gearbeitet und war ums Leben gekommen.
Alles hatte sie aufgegeben, sie hatte ihre Wohnung in die Luft gejagt, mit ihrem Freund darin, und sie war herumgereist, drei Tage und drei Nächte lang, für nichts und wieder nichts! (Seite 78) In der Bar "Dilsey de Deus" setzt Mia sich an den Tresen und isst einen Pancake mit Ahornsirup. An einem der Tische verschlingt ein überaus großer und korpulenter Afroamerikaner unglaubliche Mengen Frühstück. Er war ein Koloss von einem Schwarzen. Beim Gehen zog er immer den Kopf ein, um nicht an der Decke anzustoßen, und bewegte sich im Zeitlupentempo, als wären die Tische und Stühle unglaublich groß und sperrig. Er atmete durch ein Sauerstoffgerät, das er mit sich herumschleppte, so viel Speck hatte er auf seinen Rippen. Er war so fett, dass seine Augen mandelförmig geworden waren, richtige Schlitzaugen, wie bei Asiaten, sie sahen aus, als wären sie ständig geschlossen. Seine Haut war so straff, dass sie heller als die seiner Geschwister wirkte und weicher als die Kissen in den Hotels, in denen er auf seiner Tournee übernachtete. Immer schlief er mit eingeschaltetem Ventilator und wachte morgens nass geschwitzt auf – ein fauliger, säuerlicher Schweiß. Oft hatten ihn die Leute für einen Bodyguard gehalten, obwohl nicht einmal er selbst einen hatte. Wenn er sich in seine alte Black Mariah aus den Zwanzigerjahren setzte, beanspruchte er im Grunde den ganzen Rücksitz für sich, und sein Fahrer musste gezwungenermaßen die Motorhaube mit Sandsäcken beschweren, damit alle vier Räder auf der Straße blieben. (Seite 40)
Als er gegessen hat und aufsteht, lässt er nur eine Handvoll Geldscheine und die Plastikblumen auf dem Tisch zurück. Draußen wartet sein Fahrer mit dem Wagen auf ihn.
Und jetzt war er nur zwei Schritte von Mia entfernt – sagen wollte er ihr hunderttausend Dinge. |
Buchbesprechung:"Einmal Mia" ist ein zauberhafter Roman des italienischen Schriftstellers und Drehbuchautors Martino Gozzi (*1981). Von der ersten Seite an fühlt man sich als Leser davon gebannt. Alles dreht sich um Musik, und wie Musik klingt die poetische Sprache von Martino Gozzi, obwohl die deutsche Übersetzung ein paar Schnitzer aufweist. Die skurrilen Bilder dieser originellen, naiven und märchenhaften Geschichte prägen sich ein. "Einmal Mia" ist ein ganz besonderes Lesevergnügen. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006 |