Patrick Hamilton: Sklaven der Einsamkeit (Roman) |
Patrick Hamilton: Sklaven der Einsamkeit |
Inhaltsangabe:Enid Roach ist neununddreißig, alleinstehend und in einem Verlag in London mit Sekretariatsarbeit, Buchhaltung und dem Prüfen von Manuskripten beschäftigt. Seit die Wohnung in Kensington, die sie sich mit einer Tante geteilt hatte, im Winter 1942/43 ausgebombt wurde, lebt Enid Roach im "Rosamund Tea-Room" in Thames Lockdon, 25 Meilen außerhalb von London, und muss mit dem Zug zur Arbeit fahren. Sie war aufrecht und schlank, doch ein wenig flachbrüstig. Die Tochter eines Zahnarztes. Sie hatte zwei Brüder, von denen einer, der Jüngste der Familie, vor kurzem bei einem Fliegereinsatz ums Leben gekommen war. Der andere, der älter war als sie und von dem sie etwa alle zwei Jahre hörte, lebte in Brasilien. Beide Eltern waren tot. Sie hatte studiert und war einmal Lehrerin an einer privaten Grundschule für Jungen in Hove gewesen. (Seite 13)
"Rosamund Tea-Room" gehört seit vier Jahren der Witwe Payne. Vor dem Krieg handelte es sich dabei wirklich um einen Tea-Room, aber als viele Londoner wegen der deutschen Luftangriffe die Hauptstadt verließen, stellte Mrs Payne die Räume zur Pension um.
Geradezu einmütig in ihrem Gefühl der Überlegenheit gegenüber Mr Prest, konnten sich die Pensionsgäste gar nicht vorstellen, dass dieser Mann ihnen seinerseits anders als demütig und ablehnend begegnete. Doch in Wahrheit blickte er mit der äußersten, gelassenen, selbstbewussten Verachtung auf sie herab, wie sie ein kultivierter Mann für die ärgsten Philister empfindet, mit der Geringschätzung eines originellen, gebildeten Menschen, der das Leben so kennt, wie es engstirnige, jämmerliche Kleinstadtignoranten nicht mal in Ansätzen zu schätzen wissen, und betrachtete den Rosamund Tea-Room eigentlich als eine Art Zoo mit exemplarischen Fratzentieren, in den ihn eine Ironie des Schicksals verschlagen hatte.
Ende 1943 beginnt Enid Roach, mit Dayton Pike auszugehen. Der amerikanische Leutnant ist in der Nähe des "Rosamund Tea-Room" einquartiert und isst in der Pension zu Abend.
"Ich habe ihm abgesagt. Keine Angst. Ich schnappe niemanden weg. Ich bin nicht die, die wegschnappt." (Seite 210)
Dieses scheinbar selbstlose Verhalten ärgert Enid Roach, denn sie wollte Vicki doch klarmachen, dass es da nichts wegzuschnappen gebe. "Jesses, lass doch dem alten Racker mal seinen Spaß, hm? Ist doch nur einmal Weihnachten, oder? Kann der Alte doch mal seinen Spaß haben." (Seite 237)
Es kommt, wie von Enid Roach vorhergesehen: Mr Thwaites ist nach einiger Zeit so betrunken, dass sie ihn nach Hause und ins Bett bringen müssen. Als er Enid Roach lallend als "Miss Prüde" anspricht, weiß sie, wie Vicki hinter ihrem Rücken über sie redet, denn der Ausdruck stammt von ihr. Vicki und Dayton Pike wollen gleich noch einmal etwas unternehmen, und als Enid Roach nicht mitkommt, gehen sie zu zweit aus. Dafür hasst Enid Roach ihre Rivalin. "Ich finde es ziemlich einfach, das ist alles. Es ist ein einfacher Kampf zwischen allem, was anständig ist, und allem, was böse ist – und das ist einfach, nichts weiter ..." (Seite 271) Vicki wirft ihr vor, nicht kosmopolitisch zu denken. Darauf erwidert Enid Roach: "Und bedeutet, kosmopolitisch zu denken, die Dinge für so kompliziert zu halten, dass man die Nazis unterstützt, die Europa mit Mord, Geifer und Folter überziehen?" (Seite 273) Beschwichtigungsversuche anderer Pensionsgäste bleiben erfolglos: Enid Roach steigert sich in die Streitlust hinein. Schließlich sagt Mr Thwaites: "Beachten wir sie gar nicht. Wie heißt es so schön: Selbst die Hölle kennt nicht die Raserei einer verschmähten Frau." (Seite 274)
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
Enid Roach gerät außer sich. Auf der Treppe mahnt er sie auch noch, die Hände von Jugendlichen unter achtzehn Jahren zu lassen. Sie versteht zunächst gar nicht, was er meint. Dann begreift sie, dass man sie zusammen mit John Poulton gesehen hat, dem siebzehnjährigen Sohn ihrer früheren Damenschneiderin, die vor einiger Zeit aus Thames Lockdon weggezogen war und sie gebeten hatte, ein wenig auf John aufzupassen. Enid Roach rastet vollends aus. Sie macht eine ruckartige Bewegung. Mr Thwaites stürzt über die Stufen hinunter. Glücklicherweise verletzt er sich nicht ernsthaft. Sogleich beschuldigt er Enid Roach, ihn gestoßen zu haben, und sie gibt es ohne weiteres vor allen Anwesenden zu. |
Buchbesprechung:In "Sklaven der Einsamkeit" geht es vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges um vier Menschen, die versuchen, aus ihrer Einsamkeit zu entkommen. Im Mittelpunkt steht die neununddreißigjährige Verlagsangestellte Enid Roach, bei der nicht klar ist, ob sie von Mr Thwaites und Vicki wirklich schlecht behandelt wird oder ob sie sich das nur eingebildet. Wie kann der gewöhnliche Leser eine Figur ertragen, bei der er nicht weiß, ob er sie jetzt mögen oder hassen soll, sich mit ihr identifizieren oder sie verabscheuen darf. Aber dass das alles zugleich möglich ist, über eine so lange Strecke hinweg, das zeugt von großem Geschick. (Helmut Krausser, "Die Zeit", 12. April 2006)
Die gut ausgeleuchtete Psyche der Protagonistin ist denn auch der Grund, warum der ironische, bisweilen auch sarkastische Roman "Sklaven der Einsamkeit" lesenswert ist. Patrick Hamilton legte mehr Wert auf Beschreibungen als auf Handlung, und die Geschichte spielt nur an einigen wenigen Orten. Manche Kritiker haben Patrick Hamilton vorgeworfen, dass es keine Schlusspointe gibt. Schlimmer finde ich, dass er bei einigen Szenen schluderte. Aufgesetzt wirkt vor allem, dass Enid Roach sich um einen Siebzehnjährigen kümmern soll, dessen verwitwete Mutter aus irgendeinem Grund fortgezogen ist. Dieser Handlungsstrang beginnt ohne jede Vorbereitung auf Seite 225. Sein 1947 entstandener Roman The Slaves Of Solitude, mit dem die Renaissance Hamiltons hierzulande in die zweite Runde geht, ist elegant, zart, gediegen, erlesen und was der Adjektive mehr sind, um einen souverän elaborierten, wortmächtigen, vielleicht etwas schnörkelig-pretiösen Stil zu kennzeichnen. Letzteres erweist sich zum Glück bald als Werkzeug der Ironie. Sklaven der Einsamkeit ist ein hintergründiges Buch, das langsam beginnt und scheinbar etwas unentschlossen endet. (Helmut Krausser a. a. O.) Patrick Hamilton (1904 – 1962) war vor dem Zweiten Weltkrieg ein gefeierter Dramatiker. Zwei seiner Bühnenstücke wurden verfilmt: "Cocktail für eine Leiche" von Alfred Hitchcock und "Gaslicht" von George Cukor. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2008
Patrick Hamilton: Cocktail für eine Leiche (Verfilmung) |