Thor Heyerdahl: Kon-Tiki. Ein Floß treibt über den Pazifik |
Thor Heyerdahl: Kon-Tiki.
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Inhaltsangabe und Buchbesprechung
Thor Heyerdahl wurde am 6. Oktober 1914 in Larvik geboren. Nach dem Studium der Zoologie und Geografie in Oslo folgte er 1937/38 mit seiner ersten Ehefrau Liv den Spuren von Charles Darwin in der Südsee, reiste zu den Marquesas-Inseln und lebte ein Jahr lang auf Fatu Hiva ("Zurück zum ursprünglichen Leben") . Die Steinfiguren, die der Norweger dort sah, erinnerten ihn an Skulpturen in Peru. Stammten die Polynesier etwa nicht aus Asien, wie allgemein vermutet wurde, sondern aus Südamerika? Diese Frage ließ Thor Heyerdahl keine Ruhe mehr.
"Der Name Virakocha stammt aus der Inkasprache (ketchua) und ist folglich neueren Datums. Der ursprüngliche Name des Sonnengottes Virakocha, der scheinbar in der alten Zeit Perus verwendet wurde, war Kon-Tiki oder Illa-Tiki, was Sonnen-Tiki oder Feuer-Tiki bedeutet. Kon-Tiki war der oberste Priester und Sonnenkönig der weißen Männer aus den Legenden der Inkas, die die ungeheuren Ruinen am Titicacasee hinterlassen haben. Die Legende berichtet, dass Kon-Tiki von einem Häuptling namens Cari angegriffen wurde, der aus dem Coquimbo-Tal kam. In einer Schlacht auf einer Insel des Titicacasees wurden die geheimnisvollen weißen und bärtigen Männer vollständig massakriert, während Kon-tiki selbst und seine nächsten Gefolgsleute entkamen und schließlich an die Küste gelangten, von der sie am Ende über das Meer nach Westen entschwanden."
Thor Heyerdahl war schließlich überzeugt, dass der polynesische Stammvater Tiki aus Peru stammte. Tiki und andere Weiße gelangten vor eineinhalb Jahrtausenden von Südamerika aus über den Stillen Ozean in die Südsee und besiedelten Polynesien – so lautete seine Theorie. Die wurde allerdings von anderen Wissenschaftlern belächelt, die es schlechterdings für unmöglich hielten, mit einem Floß (hochseetaugliche Schiffe gab es erst sehr viel später) den Pazifik zu überqueren. Da setzte Thor Heyerdahl es sich in den Kopf, dieses Killerargument durch ein abenteuerliches Experiment zu entkräften. An verschiedenen Stellen, wo große Zwischenräume zwischen den Stämmen waren, steckten wir insgesamt fünf solide Kiefernbretter durch, die senkrecht ins Wasser tauchten. Sie standen rundherum ohne System verteilt und reichten anderthalb Meter unter das Floß hinunter. Sie waren einen Zoll dick und maßen ein paar Fuß in der Länge. Tauwerk und Keile hielten sie an ihrem Platz fest. Sie dienten als kleine parallele Kiele oder Schwerter. Solche Senkkiele wurden auf allen Balsaflößen der Inkazeit längst vor der Entdeckung benützt und sollten verhindern, dass die flachen Flöße mit Wind und Wetter quer trieben. Wir machten weder Reling noch Gurten rund um das Floß; nur ein langer Balsastamm lag als Halt für die Füße an jeder Längsseite. Die ganze Konstruktion war eine getreue Kopie der alten Fahrzeuge in Peru und Ecuador [...] (Seite 65ff)
Eine offene Bambushütte auf dem Floß sollte sie vor der Sonne schützen. Ein Raasegel diente dazu, die Windkraft auszunutzen, und steuern konnten die sechs Männer mit einem am Heck angebrachten Ruder. In der Bambushütte brachten sie die Ausrüstung und den Proviant unter.
Das Meer bietet viele Überraschungen für den, der seinen Fußboden in Höhe des Wasserspiegels hat und langsam und lautlos dahintreibt [...] Es verging kein Tag, ohne dass wir auf der Meeresfläche Besuch von neugierigen Gästen bekamen, die uns umkreisten, und einzelne davon, wie Dolfine und Lotsenfische, wurden so zutraulich, dass sie dem Floß Gefolgschaft leisteten über das Meer und sich Tag und Nacht bei uns hielten. Am 17. Juli entdeckten Thor Heyerdahl und seine Begleiter zwei Tölpel, die von einer Insel aus losgeflogen sein mussten. Im Morgengrauen am 30. Juli kam Land in Sicht, eine Insel, die sie aufgrund ihrer Navigation als Puka-Puka – also einen Vorposten der Tuamoto-Inselgruppe nordöstlich von Tahiti – identifizierten.
Unser erster Gedanke war, dass die Insel nicht dort lag, wo sie liegen sollte. weil sich die Insel nicht bewegt haben konnte, so war es wohl das Floß, das die Strömung im Laufe der Nacht nach Norden abgetrieben hatte. Warfen wir einen Blick hinaus aufs Meer, so sahen wir rasch am Lauf der Wellen, dass wir im Dunkeln bereits alle Chancen verspielt hatten. So, wie wir jetzt lagen, gestattete der Wind nicht mehr, dem Floß einen Kurs gegen die Insel aufzuzwingen [...] Drei Tage lang trieben sie auf Fatuhiva zu, dann drängte ein kräftiger Nordostwind sie ab, und schließlich tauchte direkt vor ihnen eine andere Insel auf: Angatau. Wir wussten, irgendwo zwischen uns und der Insel lag ein lebensgefährliches Riff [...] Die enormen Wassermassen, die in freien, tiefen Dünungen aus dem Osten gerollt kamen, verloren über der Untiefe das Gleichgewicht, als hätte man ihnen ein Bein gestellten. Sie schäumten in die Luft und wälzten sich mit Donnerbrausen über die scharfen Korallenblöcke. (Seite 187)
Zwei Eingeborene ruderten in einem Kanu durch das Riff und begrüßten neugierig die Männer auf dem Floß, aber die Besatzung fand keine Stelle, an der sie das Riff mit dem Floß durchqueren konnten. Erst am 7. August – nach einer 7800 Kilometer weiten Seereise – bereiteten sie sich auf die unvermeidliche Havarie vor und erreichten das zur Tuamotogruppe gehörende Raroia-Riff. [...] habe ich mich mein ganzes Leben mit nichts anderem als wissenschaftlicher Forschung beschäftigt, seit ich als Achtzehnjähriger anfing, Biologie zu studieren. Das Abenteuer war eine Zugabe. Ich habe das Abenteuer nie gesucht, nehme es aber gern als Extraspaß mit, wenn ich mit den Mitteln des Altertums experimentiere oder unbekannte Kulturen suche, indem ich alte Dogmen über vorgeschichtliche Schiffstypen widerlege.
Mit weiteren Expeditionen erhärtete Thor Heyerdahl seine Theorie. Sein Versuch, mit dem nach altägyptischen Vorbildern gebauten Papyrus-Boot "Ra" den Atlantik zu überqueren, scheiterte zwar 1969, aber ein Jahr später segelte er auf der "Ra II" in siebenundfünfzig Tagen von Marokko nach Barbados und bewies damit, dass die alten Ägypter in der Lage gewesen waren, nach Amerika zu gelangen ("Expedition Ra. Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit", 1970). Um zu zeigen, dass die Sumerer vor fünftausend Jahren mit der Hochkultur am Indus in Verbindung gestanden haben konnten, segelte er von November 1977 bis April 1978 mit dem Schilfboot "Tigris" von Basra nach Dschibuti ("Tigris. Auf der Suche nach unserem Ursprung", 1979).
Kon-Tiki – Originaltitel: Kon-Tiki – Regie: Joachim Rønning, Espen Sandberg – Drehbuch: Petter Skavlan – Kamera: Geir Hartly Andreassen – Schnitt: Per-Erik Eriksen, Martin Stoltz – Musik: Johan Söderqvist – Darsteller: Pål Sverre Valheim Hagen, Anders Baasmo Christiansen, Gustaf Skarsgård, Odd Magnus Williamson, Tobias Santelmann, Jakob Oftebro, Agnes Kittelsen u.a. – 2012; 115 Minuten |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2004 |