Traudl und Melissa Müller Junge: Bis zur letzten Stunde. Hitlers Sekretärin erzählt ihr Leben |
Traudl Junge und Melissa Müller: |
Inhaltsangabe:
Traudl Humps wurde am 16. März 1920 als Tochter eines Braumeisters in München geboren. Im Alter von 22 Jahren wollte sie unbedingt in die Reichshauptstadt Berlin. Obwohl im Frühjahr 1942 der Arbeitsplatz nicht mehr nach Gutdünken gewechselt werden durfte, gelang es ihr, als Bürokraft in der "Adjutantur des Führers" angestellt zu werden. Die Neugierde trieb uns in den Führerbunker. Beinahe hätte ich gelacht, als ich Hitler sah. Er stand in dem kleinen Vorraum, umgeben von einigen seiner Adjutanten und Diener. Sein Haar war nie besonders gut frisiert gewesen, aber jetzt sah er aus wie ein Igel, so standen ihm die Haare zu Berge. Die schwarze Hose hing in schmalen Streifen vom Gürtel, fast wie ein Baströckchen. Die rechte Hand hatte er zwischen die Knöpfe seines Uniformrockes geschoben, der Arm war geprellt. Nach dem Krieg schrieb Traudl Junge: Das Attentat vom 20. Juli war das größte Unglück, das Deutschland und Europa treffen konnte. Nicht, weil es verübt worden war, sondern weil es missglückte. Alle unglückseligen Zufälle, die den Erfolg des Attentates verhinderten, buchte Hitler als persönlichen Erfolg. Seine Zuversicht, seine Siegesgewissheit und seine Sicherheit, aber auch sein Machtbewusstsein und Größenwahn überschritten nun erst recht alle Grenzen der Vernunft. ... jetzt fand er sich und seine Idee, seine Macht und seine Taten vom Schicksal bestätigt.
Am 20. April 1945, Hitlers 56. Geburtstag, der im "Führerbunker" unter der Neuen Reichskanzlei in Berlin gefeiert wurde, merkte Traudl Junge, dass ihr Chef nicht mehr an den Sieg glaubte. Zwei Tage später befahl er seinen Sekretärinnen, sich aus Berlin ausfliegen zu lassen: "Es ist alles verloren, hoffnungslos verloren." Traudl Junge gehorchte ihm allerdings ebenso wenig wie ihre Kollegin Gerda Christian, die inzwischen in Hitlers Dienste zurückgekehrt war: Sie blieben im "Führerbunker". Auf ihren Wunsch hin gab ihnen Hitler Zyankali-Ampullen: "Es tut mir sehr Leid, dass ich Ihnen zum Abschied kein schöneres Geschenk machen kann." |
Buchbesprechung: "Heute weiß sie," schreibt Melissa Müller, "dass sie sich von ihm [Hitler] blenden ließ -- nicht von seinen ideologischen und politischen Absichten, denn die interessierten sie nie sonderlich, sondern von Hitler als Mensch." Offenbar war es nicht die Absicht der Autorinnen, sich in diesem Buch kritisch mit dem Nationalsozialismus auseinander zu setzen oder die Geschichte des NS-Regimes darzustellen. Um Fakten über das "Dritte Reich" zu erfahren, liest man besser andere Werke, denn Traudl Junges Erinnerungen enthalten viele (verzeihliche) Irrtümer, und einige davon werden auch in den Fußnoten nicht korrigiert. Lesenswert sind ihre Aufzeichnungen aus dem Jahr 1947, weil sie zeigen, wie banal und unspektakulär das Alltagsleben im Zentrum der Macht verlief, einer Macht wohlgemerkt, die Tod, Leid und Zerstörung verursachte. Es ist kaum zu glauben, wie bieder die Gespräche waren, die Hitler mit seinen Tischdamen im "Führerhauptquartier Wolfsschanze", im Berghof, in der Neuen Reichskanzlei und im "Führerbunker" führte. Noch im Herbst 1944 ließ er beispielsweise Gerdy Troost mit ihrem Schäferhund Harras von München nach Rastenburg fliegen und ins "Führerhauptquartier" bringen, weil er seine Hündin Blondi decken lassen wollte. Die ersten Versuche schlugen fehl, aber im März und April 1945 spielten die Goebbels-Kinder im "Führerbunker" mit den Welpen. (Am 1. Mai wurden sie von ihrer Mutter Magda Goebbels getötet, kurz bevor diese und ihr Mann sich ebenfalls umbrachten.) Vielleicht war es so, wie Traudl Junge schreibt: Den Menschen im Auge des Sturms fehlte es an nichts, da gab es Zigaretten, gutes Essen und Champagner, und wer von ihnen nicht an den Lagebesprechungen teilnahm, kriegte weniger von den Gräueln mit als etwa die Bewohner einer deutschen Großstadt. Später wunderte sich Traudl Junge, ... ... wie hermetisch abgeschlossen wir in Hitlers Ideensphären lebten. Ich hatte früher immer geglaubt, hier im Brennpunkt des Geschehens, wo alle Fäden zusammenliefen, könnte man den besten Überblick, den weitesten Gesichtskreis haben. Aber wir standen hinter den Kulissen und wussten doch nicht, was auf der Bühne gespielt wurde. Der Regisseur allein kannte das Stück, jeder aber lernte nur seine eigene Rolle und keiner wusste genau, was der andere spielte.
"Im toten Winkel", der Titel des 2001 von André Heller und Othmar Schmiderer gedrehten Films über Traudl Junges Erinnerungen, trifft das weit besser als der wenig originelle Buchtitel. Hitler strahlte eine Kraft aus, der sich weder die Männer noch die Frauen ganz entziehen konnten. Als Mensch bescheiden und liebenswürdig, als Führer größenwahnsinnig und hart, lebte er seiner "Mission", von der er manchmal behauptete, sie erlege ihm unendliche Opfer auf. Nur einmal wurde sie in ihrer Wertschätzung Hitlers verunsichert. Es war, als sie ihn fragte, warum er zwar mehrere Ehen gestiftet aber nicht selbst geheiratet habe, und er antwortete: Ich wäre kein guter Familienvater, und ich halte es für verantwortungslos, eine Familie zu gründen, wenn ich mich meiner Frau nicht in genügendem Maße widmen kann. Außerdem möchte ich keine eigenen Kinder. Ich finde, die Nachkommen von Genies haben es meist sehr schwer in der Welt. Man erwartet von ihnen das gleiche Format wie das des berühmten Vorfahren und verzeiht ihnen den Durchschnitt nicht. Außerdem werden es meistens Kretins. Der unverkennbare Größenwahn irritierte Traudl Junge dann doch etwas. Aber erst nach Hitlers Selbstmord hinterfragte sie das Bild eines menschlichen, verständnisvollen, unantastbaren Führers, der sich zwar selbst für ein Genie hielt, aber auch von seiner ganzen Umgebung für ein solches gehalten wurde und lange Zeit seine Erfolge dafür sprechen lassen konnte. Und gerade die Kenntnis dieser seiner gefühlvollen, harmlosen, privaten Seite und seine persönlichen Erlebnisse machte es so schwer, den bösen Geist zu erkennen, der dem Genie innewohnte.
Traudl Junge starb am 11. Februar 2002, kurz nach Erscheinen des Buches "Bis zur letzten Stunde" und wenige Stunden nach der Uraufführung des Films "Im toten Winkel". |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002 Textauszüge: © Traudl Junge und Melissa Müller Seitenanfang |
André Heller und Othmar Schmiderer: Im toten Winkel. Hitlers Sekretärin Oliver Hirschbiegel: Der Untergang |