Christian Kracht: Faserland (Roman) |
Christian Kracht: Faserland |
Inhaltsangabe:
Wir erfahren nicht, wie der Erzähler heißt. Vermutlich handelt es sich um einen Mann Ende 20. Geld spielt für den Yuppie keine Rolle, obwohl er keiner bezahlten Tätigkeit nachzugehen scheint. Von einem festen Wohnsitz lesen wir auch nichts; wenn er nicht bei einem Freund übernachtet, nimmt er sich ein Hotelzimmer. [...] weil genau diese Brücke bei Selbstmördern so beliebt ist, jedenfalls springen die immer da runter und, genau wie bei der Brücke in Kassel, fallen den Leuten auf die Häuser oder purzeln mitten ins schönste Grillfest. Die Körper sind dann immer ganz zerquetscht, die müssen sie dann mit einer Schaufel zusammenkratzen.
Im Bahnhof Altona nimmt er sich ein Taxi und gibt die Adresse eines in Pöseldorf wohnenden Freundes an. Der Fahrer redet nichts, vermutlich weil er auf Demos geht und der gleichaltrige Fahrgast ein Jackett von Davies & Sons trägt. Der Erzähler nimmt allerdings auch an Demonstrationen teil, nicht weil er sich für Politik interessiert oder glaubt, etwas verändern zu können, sondern weil er die Atmosphäre mag. Das Model fasst beide, Nigel und den Ziegenbart um die Schultern, die kann das, weil sie ja viel größer ist als die beiden, sonst wäre sie ja auch kein Model.
Der Ziegenbart verteilt Partydrogen. Auch der Erzähler spült eine Pille mit Prosecco hinunter. [...] laufe ich zu dem Rondell, diesem großen Korb mit den Ballistos und den Salamibrötchen, den die Lufthansa neben der Kaffeemaschine aufgestellt hat, weil die Stewardessen zu faul sind, während des Fluges irgendetwas aufzutischen, und hole mir vier Salamibrötchen und sechs Ballistos und zwei Joghurts von Ehrmann und stopfe sie mir in die Taschen meiner Barbourjacke.
Als ihn ein anderer Reisender entrüstet anschaut, steckt er demonstrativ noch zwei Ballistos, zwei Ehrmann-Joghurts und acht Plastiklöffel ein. Obwohl er im Nichtraucher-Bereich sitzt, zündet er sich eine Zigarette an, und niemand beschwert sich. Dann lässt er sich Kaffee und Bourbon bringen. Die alte Frau neben ihm schlägt ein Buch von Ernst Jünger auf. Der Erzähler liest wenig, und Ernst Jünger schon gar nicht, denn Nigel erzählte ihm einmal, der habe den Krieg verherrlicht. Es beginnt nach Pfirsich zu riechen, und auf seinem Sitz wird es nass: Die Joghurts sind ausgelaufen. Wobei die Lehrer immer gesagt haben, Eisenstein wäre ein Genie und Riefenstahl eine Verbrecherin, weil die Riefenstahl sich hat einspannen lassen von der Ideologie und der Eisenstein nicht. In der Paris-Bar in Berlin stieß er einmal auf Wim Wenders. Der stand da mit einem Künstler, der vor allem nackte Männer unter der Dusche malt. [...] jedenfalls habe ich ihn, Wenders, gefragt, ob er den Anfang seines Films so meinte wie in Triumph des Willens, und er hat nur geglotzt aus seiner blöden roten Werber-Brille und nichts mehr gesagt und sicher gedacht, ich wäre ein kleines Arschloch, das sich wichtig machen will mit Kulturfragen an ihn. Nach der Ankunft im Rhein-Main-Flughafen zieht er seine Barbourjacke aus, legt sie auf den Fußboden und zündet sie an. Dann geht er zum Taxistand und lässt sich zum Hotel Frankfurter Hof bringen. Unterwegs sehe ich aus dem Fenster, und ich muss mal wieder erkennen, dass keine Stadt in Deutschland hässlicher und abstoßender ist als Frankfurt, nicht mal Salzgitter oder Herne. Ob er Alexander besuchen soll? Sie waren zusammen in Salem. Alexanders Eltern kamen bei einem Autounfall ums Leben und hinterließen ein Vermögen, das es Alexander ermöglichte, durch die ganze Welt zu reisen. Der Erzähler greift in seinem Hotelzimmer zum Telefon, aber der Hörer fällt ihm aus der Hand und prallt gegen den Mahagoni-Tisch. Plastikteile splittern ab. Dann kotzt er auch noch einen Schwall auf den Teppich und besudelt seine Kleidung. Er zieht sich aus und geht ins Bad. Während ich in der Wanne lag, hat irgendjemand das Bett aufgeschlagen, die Kotze vom Teppich weggewischt, das kaputte Telefon ausgewechselt und meine vollgekotzte Kleidung abgeholt. Das finde ich irgendwie wahnsinnig rührend und nett.
Frisch angezogen ruft er ein Taxi, denn er will ins Eckstein. Wir trinken jeder ein langweilig schmeckendes Bier. Weil wir ordentliche Kleidung tragen, also keine Techno-Stiefel und orangefarbene T-Shirts und Bundeswehr-Hosen, und weil wir keine rasierten Schädel haben und keinen Ring in der Nase und irgendwelche tätowierte Drachen auf dem Nacken, werden wir pausenlos gemustert und prüfend von der Seite angesehen. Das ist aber eigentlich ganz lustig, dass man so durch Erscheinen provozieren kann, und Rollo meint, die Irren hier würden denken, wir seien vom Drogendezernat.
Das Schumanns, das sie gegen 1 Uhr nachts aufsuchen, verlassen sie nach fünf Minuten wieder, weil Maxim Biller dort einen Salon abhält. Im Ksar ist der Neonazi Uwe Kopf. Von dem möchte der Erzähler nicht gesehen werden. Schließlich übernachtet er bei Rollo.
Ich würde ihnen von Deutschland erzählen, von dem großen Land im Norden, von der großen Maschine, die sich selbst baut, da unten im Flachland. Und von den Menschen würde ich erzählen, von den Auserwählten, die im Inneren der Maschine leben, die gute Autos fahren müssen und gute Drogen nehmen und guten Alkohol trinken und gute Musik hören müssen, während um sie herum alle dasselbe tun, nur eben ein ganz klein bisschen schlechter. Und dass die Auserwählten nur durch den Glauben weiter leben können, sie würden es ein bisschen besser tun, ein bisschen härter, ein bisschen stilvoller.
Während er Hermann Hesse, Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt schon in der Schule dämlich fand ("entsetzlich langweilige und schlecht geschriebene Sachen"), machte ihm Thomas Mann Spaß. Deshalb fährt er am Abend mit dem Taxi zum Friedhof von Kilchberg und sucht nach dem "blöden Grab" von Thomas Mann. Aber er findet es nicht. |
Buchbesprechung:
Ein zur Schickeria gehörender Mann Ende 20 reist ziellos von Party zu Party durch Deutschland, von Sylt bis zum Bodensee. Er lässt sich treiben und ist nicht in der Lage, mit anderen ernsthaft zu kommunizieren. Worüber sollte er auch reden, wo ihn im Grunde nichts interessiert? Er liest keine Bücher, informiert sich nicht über Politik und kümmert sich nicht um ökologische Fragen. Ein Rest von Begeisterung glimmt nur auf, wenn er sich vorstellt, mit Isabella Rosselini Kinder zu haben und auf einer Insel zu leben. Ansonsten langweilt er sich, raucht, trinkt [Alkoholkrankheit] und kotzt. Am Ende lässt er sich auf einen See hinaus rudern. Ob Christian Kracht damit auf den Fährmann Charon auf dem Styx anspielt, bleibt offen.
Wir haben es bei der "Generation Golf" mit einem monströsen kultursoziologischen Sonderfall zu tun: einer Jugend, die fast ausschließlich von und in dem für sie bestimmten Segment der Konsumkultur sozialisiert wurde, vom Fernsehen, von Popmusik, von Klamotten und Markenprodukten. [...]
Die Wiederholungen in "Faserland" betonen die Monotonie des Lebens dieser Generation, evozieren aber auch eine Atmosphäre der Sinnlosigkeit und des Überdrusses. Da bleibt es nicht aus, dass man sich als Leser zumindest passagenweise langweilt, zumal es in "Faserland" an guten Beobachtungen, originellen Einfällen und provokanten Formulierungen mangelt. Esprit würde allerdings nicht zu der Romanfigur des Ich-Erzählers passen.
[...] in München haben die Mädchen wegen dem Föhn so ein seltsames inneres Leuchten. Augenscheinlich hat Christian Kracht sich an "Der Fänger im Roggen" (1951) von Jerome David Salinger, "Unterwegs" (1957) von Jack Kerouac und "Unter Null" (1985) von Bret Easton Ellis orientiert. Der Literaturwissenschaftler Moritz Baßler betrachtet "Faserland" als "Gründungsphänomen" einer (zweiten) deutschen Popliteratur (Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten. C. H. Beck 2002). Im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" wird ihm widersprochen: Christian Krachts Deutschlanddurchquerung "Faserland" ist das am meisten missverstandene Buch der Neunzigerjahre. Es wurde mit den falschen Argumenten gemocht und mit den richtigen Worten kritisiert; in der Kritik steckte kaum etwas Wahres. Das Buch traf seine Leser so unvorbereitet, daß sie erstaunt waren, wie lustig diese Geschichten aus Party-Deutschland klangen, von Fisch-Gosch, Champagner und Scampis auf Sylt, von bunten Pillen, schwulen Burschenschaftlern und schwarzen Models in Hamburg, Frankfurt und Heidelberg, von kleinen Clubs in München und großen Festen am Bodensee – und wenn es lustig klang, dann musste das wohl Pop sein, schließlich, das wussten sie aus den bunten Magazinen, schließlich war jetzt alles Pop. Aber mit Pop, was auch immer das war, hatte dieses Buch herzlich wenig zu tun, und alle, die in der gewissen Zärtlichkeit, mit der Kracht die Oberfläche der Dinge streichelte, nur die Affirmation herauslasen, konnten einfach nicht entziffern, dass sich das Leiden an der Welt heute anders buchstabiert. (FAZ, 17. März 2002) Die Kritiker waren über "Faserland" geteilter Meinung. Olaf Grabienski fand unter 42 zwischen Februar und September 1995 verfassten Rezensionen 12 eher positive und 21 mehr negative (Christian Krachts FASERLAND. Eine Besichtigung des Romans und seiner Rezeption, Universität Hamburg, 2001). Zu den positiven Besprechungen gehört eine in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung":
Im Denken und Fühlen reklamiert Kracht in dandyhafter Anmaßung die Autobiografie einer Zeit für sich: Das Bild, das er von Deutschland zeichnet, ist so präzise wie einseitig und gibt im Kern doch das wieder, was Jahre später in blinder Häme über die Literatur ausgeschüttet wurde, die als Reaktion auf den Befreiungsschlag Krachts entstand – Kracht erzählt vom Ende einer Welt, noch bevor der sogenannte Mainstream überhaupt erkannt hatte, dass es diese Welt gab, geschweige denn, dass sie schon wieder vorbei war. Krachts Kunst ist, die Zeitnähe seiner Erzählung mit einem Gefühl von existenzieller Verlassenheit zu verbinden. [...] Hier noch ein Beispiel für das andere Ende des Meinungsspektrums: Da schreibt ein widerlich arroganter Schnösel, der sein "Zeitgeist"-Dandytum schon für Literatur hält und seine banalen Reisenotizen für erbarmungslos scharfe Beobachtungen. (Martin Halter, Zürcher Tages-Anzeiger, hier zitiert nach Sebastian Hüttl: Ausarbeitung zu Christian Krachts "Faserland", GRIN Verlag 2011, S. 4)
Vivica Bocks schrieb eine Bühnenfassung des Romans "Faserland". |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2012 |