Michael Krüger: Das falsche Haus (Novelle) |
Michael Krüger: Das falsche Haus |
Inhaltsangabe:
Der Ich-Erzähler ist in der Redaktion einer der führenden Zeitungen im süddeutschen Raum, einem kritisch-liberalen Blatt, für die Rubrik "Das politische Buch" verantwortlich, die nur von einer winzigen Minderheit der Leser wahrgenommen und "von den in diesen Jahren beängstigend wuchernden Todesanzeigen bedrängt" wird. Ich war bis zur Bockigkeit in mich gekehrt. Wenn es möglich war, spielte ich Schach gegen mich selbst und freute mich, wenn einer von uns beiden gewann. (Seite 118) Sein Biologiestudium brach er ab, um als Entwicklungshelfer nach Afrika zu gehen. Doch als er durchschaute, dass der größte Teil der Hilfsgelder "in der dunklen Bürokratie des Landes versickerte", verlängerte er seinen Vertrag nicht, sondern verdingte sich zunächst als Hilfskraft am deutschen Seminar der Universität Kapstadt und arbeitete dann in einem internationalen Transportunternehmen, das ihn nach einem Jahr nach Buenos Aires schickte, wo er seinen dreißigsten Geburtstag feierte. Ich habe es stets als ein Privileg, als eine besondere Gnade empfunden, nur eine lächerlich geringe Zeit in die Planung meines Lebens investiert zu haben. Obschon ich doch immer gearbeitet habe, war es mir mühelos gelungen, mich der sorgfältigen Verwaltung meiner Gaben zu entziehen [...] Ich war zutiefst davon überzeugt, dass der größte Teil dessen, was ich ausführte, nicht für mich arbeitete, mein Leben bereicherte, sondern das Gegenteil bevorzugte: Etwas arbeitete gegen mich, zerstörte mein Leben, auch wenn es, von außen, so aussah, als würde es mein Leben ermöglichen und verschönern [...] Ich hatte immer den Verdacht, dass das Leben von den meisten Menschen mit zu vielen Hoffnungen belegt wird, die nach und nach zerplatzen und eine fatale Leere hinterlassen, die unangenehm ist und auf alle Außenstehenden, aber auch auf Freunde, peinlich wirkt. (Seite 49) Nach seiner durch politische Intrigen in Argentinien erzwungenen Ausreise wurde er Nachrichtenredakteur in Süddeutschland. Ich ließ die Nachrichten, wie sie waren. Das Weltübel durfte nur nicht länger als drei Zeilen am Stück sein. (Seite 51) Später übernahm er die Rubrik "Das politische Buch" und begann, nebenher für die Wochenendbeilage der Zeitung das Loblied des Müßiggangs in Kurzgeschichten zu singen. Ein Auto besitzt er längst nicht mehr. Dabei hatte er das Glück, von einer unsympathischen Tante ein kleines Vermögen zu erben, das sich, als er dem Rat von Bekannten folgte und es in Aktien anlegte, so rasant vergrößerte, dass ihm schwindelig wurde und er die Bank beauftragte, alles wieder in konservative Anlagen umzuschichten. Es wurde mir leichtgemacht, mich gegen das, was man in unserer Welt Erfolg nennt, zu immunisieren, weil alle um mich herum erfolgreich sein wollten. (Seite 52)
Seit längerer Zeit arbeitet er an einem Buch über die jesuitischen Indianer-Reduktionen in Lateinamerika. Eine Bibliothekarin in Nürnberg bringt ihm Handschriften, die eigentlich nur im Lesesaal eingesehen werden dürften, in die Wohnung. Ich lief, ohne zu zögern, auf die Straße und versuchte den Ball, wie ich es früher gekonnt hatte, mit dem rechten Fuß aufzunehmen, um ihn mit dem linken Spann über das Auto hinweg dem Jungen zuzuspielen, stellte mich jedoch so ungeschickt an, dass der Ball, von mir korrekt getroffen, mit einem klatschenden Geräusch an der Seitenscheibe des Autos abprallte und mir aus kürzester Entfernung auf die Brust klatschte. (Seite 14)
Der Ball war offensichtlich durch Schmieröl gerollt; er hinterlässt auf dem Hemd einen großen Fleck. Die Mutter des Jungen, der Marcel heißt, bittet ihn ins Haus, führt ihn in das Gästebad im ersten Stockwerk und legt ihm, während er duscht, nicht nur ein frisches Hemd, sondern auch noch ein Paar Socken und eine Krawatte zurecht. Obwohl der Redakteur seit der Beerdigung seiner Mutter keine Krawatte mehr getragen hat, bindet er sie um, bevor er wieder hinuntergeht. Eine deutliche Veränderung: Weggegangen war eine selbstbewusste, herrisch auftretende, die Welt überschauende Frau, zurückgekommen war ein armseliges, verlassenes Bündel. (Seite 75) Am nächsten Morgen wundert Marcel sich nicht weiter darüber, dass der Fremde neben seiner Mutter im Bett liegt. Er gehe jetzt zur Schule, teilt er mit, die ersten beiden Unterrichtsstunden habe er ausfallen lassen. Großvater rief an und kündigte an, am Nachmittag vorbeizukommen. – Bei ihrem Vater handele es sich um einen systematischen Zerstörer, behauptet die Frau und ersucht ihren Gast, ihn zu empfangen. Erst hat er meine Mutter vernichtet, dann meinen Mann, dann mich. Von Kreaturen wie Max ganz zu schweigen. Jetzt ist er dabei, sich selbst zu zerstören, als Krönung seines Lebenswerkes. (Seite 77)
Der Redakteur ist allein im Haus, als der Greis mit einem Taxi gebracht wird. Er geht hinaus, schiebt den Rollstuhl wunschgemäß auf die Terrasse und kocht Kaffee.
Kennen Sie die "Paneuropäische Gesellschaft"?, fragte er. Rechtskonservativ, grauenhaft. Deutscher Adel, Kleinindustrielle, Burschenschaftler, allesamt dritte Klasse. (Seite 108)
Während Marcels Großvater den "paneuropäischen Trachtenverein" verabscheute, träumte seine aus einer Hamburger Handelsdynastie stammende Frau davon, nach Passau zu ziehen und sich den Damen der "Paneuropäischen Gesellschaft" anzuschließen. Tatsächlich blieb sie mit ihrer in Buenos Aires geborenen Tochter in Deutschland, während ihr Mann wieder nach Argentinien zurückflog.
Er liebte die Deutschen nicht mehr, er fand sie stillos und kriecherisch. (Seite 83)
Er wusste, dass Max ihn betrog, Rechnungen fälschte, Kunstwerke verhökerte und ihm auch Geld aus der Brieftasche stahl, aber er unternahm nichts dagegen, bis er so hinfällig wurde, dass er einen Rollstuhl benötigte. Da fühlte er sich Max hilflos ausgeliefert. Deshalb verkaufte er alles und zog vor zwei Wochen in ein Seniorenheim. In welches, verrät er nicht. Max wurde mit Geld und einer Wohnung abgefunden, aber er zerbrach am Verlust seiner Stelle und wird sich bald zu Tode gesoffen haben.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
Schließlich soll Marcel zu seinem Großvater ins Seniorenheim kommen und Isabellas Foto mitbringen. Als Marcel zurückkommt, verschwindet er wortlos in seinem Zimmer. Kurz darauf klingeln Polizeibeamte und vernehmen den Jungen. Dessen Großvater war über eine Treppe hinuntergestürzt. Er ist tot. Marcel beteuert, seinen Großvater nicht gestoßen zu haben. |
Buchbesprechung:
Eine Novelle nennt Michael Krüger (* 1943) sein Buch "Das falsche Haus". Es handelt sich um eine surreale, skurrile Geschichte, die von einem eigenbrötlerischen Zeitungsredakteur in der Ich-Form erzählt wird. Seinen Namen erfahren wir ebenso wenig wie die aller anderen Figuren mit Ausnahme von Max und Marcel. Friedmar Apel hält "Das falsche Haus" für eine "wunderbare Phänomenologie einer sich selbst aufzehrenden Gelehrsamkeit" (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. September 2002). |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2008
Michael Krüger: Die Turiner Komödie |