Thomas Mann: Doktor Faustus (Roman) |
Thomas Mann: Doktor FaustusDas Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde |
Inhaltsangabe: Frühzeitig, bald schon nach meiner Bestallung in Kaisersaschern, habe ich mich vermählt – Ordnungsbedürfnis und der Wunsch nach sittlicher Einfügung ins Menschenleben leiteten mich bei diesem Schritt. Er beschreibt sich als einen altmodischen Menschen, "stehengeblieben bei gewissen, mir lieben romantischen Anschauungen, zu denen auch der pathetisierende Gegensatz von Künstlertum und Bürgerlichkeit gehört". Als mäßiger Mann und Sohn der Bildung hege ich zwar ein natürliches Entsetzen vor der radikalen Revolution und der Diktatur der Unterklasse, die ich mir von Hause aus schwerlich anders als im Bilde der Anarchie und Pöbelherrschaft, kurz, der Kulturzerstörung vorzustellen vermag.
Den zwei Jahre jüngeren Adrian Leverkühn lernte er auf dem Gymnasium kennen. Es war ein besonders schwer und exemplarisch ausgebildetes Stottern, dem er unterlag, – tragisch, weil er ein Mann von großem, drängendem Gedankenreichtum war, der mitteilenden Rede leidenschaftlich zugetan.
Von Musikaufführungen hielt Adrian Leverkühn nicht viel. Es kam ihm nicht darauf an, zu musizieren oder Musik zu hören, er strebte weder die Karriere eines Virtuosen ("Instrumental-Gaukler"), noch die eines Dirigenten ("stabführende Frack-Primadonna") an, sondern begeisterte sich für "Musik in reiner Abstraktheit", die mathematische Strenge der Musik und die Verbindung zur Zahlenmystik. Immer wieder dachte er sich musikalische Probleme aus und löste sie wie Schachaufgaben. "Ja, lieber Freund, wenn Sie für Gesundheit sind, – mit Geist und Kunst hat die denn wohl freilich nicht viel zu tun, sie steht sogar in einem gewissen Kontrast dazu, und jedenfalls hat das eine ums andere sich nie viel gekümmert." Einmal sagte Adrian zu Serenus: "Für ein Kultur-Zeitalter scheint mir eine Spur zuviel die Rede zu sein von Kultur in dem unsrigen, meinst du nicht? Ich möchte wissen, ob Epochen, die Kultur besaßen, das Wort überhaupt gekannt, gebraucht, im Munde geführt haben. Naivität, Unbewusstheit, Selbstverständlichkeit scheint mir das erste Kriterium der Verfassung, der wir diesen Namen geben. Was uns abgeht, ist eben dies, Naivität, und dieser Mangel, wenn man von einem solchen sprechen darf, schützt uns vor mancher farbigen Barbarei, die sich mit Kultur, mit sehr hoher Kultur sogar, durchaus vertrug." Jedem in Kaisersaschern, der Adrian kannte, war klar, dass der Junge als erster in seiner Familie studieren würde. Tatsächlich immatrikulierte er sich an der theologischen Fakultät der Universität Halle. Dabei war ihm von Anfang an klar, dass er kein Seelsorger werden, sondern eher eine akademische Laufbahn einschlagen wollte. Serenus Zeitblom: Die bürgerliche, empirische Seite jeder Berufsart wollte mir seiner nicht würdig erscheinen, und vergebens hatte ich mich immer nach einer umgesehen, bei deren praktischer, gewerbsmäßiger Ausübung ich ihn mir recht vorstellen konnte.
Ein halbes Jahr nach Adrians Studienbeginn in Halle folgte ihm Serenus dorthin. "[Theologen haben] dem Teufel die fleischliche Vermischung weggepascht, indem wir ein Sakrament, das Sakrament der christlichen Ehe draus machten. Sehr komisch eigentlich, diese Kaperung des Natürlich-Sündhaften für das Sakrosankte durch die bloße Voranstellung des Wortes 'christlich', – wodurch sich ja im Grunde nichts ändert. Aber man muss zugeben, dass die Domestizierung des Naturbösen, des Geschlechts, durch die christliche Ehe ein gescheiter Notbehelf war." Nach Adrian Leverkühns Tod fielen dem Biografen undatierte Aufzeichnungen über eine Teufelserscheinung seines Freundes in die Hände. Der Satan gab sich als Zuhälter von Esmeralda aus und erklärte Leverkühn, er habe im Alter von 21 Jahren einen Vertrag mit ihm geschlossen: der Koitus mit Esmeralda sei die Taufe gewesen. Aufgrund des Pakts müsse er auf Liebe verzichten: "Liebe ist dir verboten, insofern sie wärmt. Dein Leben soll kalt sein – darum darfst du keinen Menschen lieben." Adrian Leverkühn wollte wissen, was er von dem Teufelspakt habe:
"So wollt Ihr mir Zeit verkaufen?" Der Satan erklärte dem Musiker:
"Der Künstler ist der Bruder des Verbrechers und des Verrückten." Und er schilderte ihm die Hölle: "... ihr Wesen oder, wenn du willst, ihre Pointe ist, dass sie ihren Insassen nur die Wahl lässt zwischen extremer Kälte und einer Glut, die den Granit zum Schmelzen bringen könnte, – zwischen diesen beiden Zuständen flüchten sie brüllend hin und her, denn in dem einen erscheint der andre immer als himmlisches Labsal, ist aber sofort und in des Wortes höllischter Bedeutung unerträglich."
Im Anschluss an eine Italienreise zog Adrian Leverkühn Ende 1912 nach München. Er wohnte dort zunächst in der Pension Gisella, dann in Untermiete bei der aus Bremen stammenden Senatorenwitwe Rodde und ihren beiden Töchtern Ines und Clarissa. Im Jahr darauf quartierte er sich auf dem Bauernhof von Max und Else Schweigestill in Pfeiffering an der Bahnlinie München - Garmisch-Partenkirchen ein. Dort gab es übrigens "auch eine Stallmagd mit Waberbusen und emsig mistigen Barfüßen", die ihn an seine Kindheit erinnerte, aber Waltpurgis hieß. "Der Tonraum ... ist zu beschränkt. Man müsste von hier aus weitergehen und aus den zwölf Stufen des temperierten Halbton-Alphabets größere Wörter bilden, Wörter von zwölf Buchstaben, bestimmte Kombinationen und Interrelationen der zwölf Halbtöne, Reihenbildungen, aus denen das Stück, der einzelne Satz oder ein ganzes mehrsätziges Werk strikt abgeleitet werden müsste."
Als im August 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, wurde Serenus Zeitblom eingezogen, aber wegen einer Typhus-Erkrankung kam er bereits ein Jahr später wieder nach Hause. Drum gab ich meiner Hoffahrt Zucker, dass ich theologiam studierte zu Hallen auf der Hohen Schul, doch nicht von Gottes wegen, sondern von wegen des Anderen, und war mein Gottesstudium heimlich schon des Bündnisses Anfang und der verkappte Zug zu Gott nicht, sondern zu Ihm, dem großen religosus. Was aber zum Teufel will, das lässt sich nicht aufhalten noch Ihm wehren, und war nur ein kleiner Schritt von der Gottesfakultät hinüber gen Leipzig und zu der Musik ...
Hyphialta, die kleine Meerjungfrau, sei seine Braut gewesen und habe ihm den engelsgleichen Knaben Nepomuk geboren. Weil er aber mit dem Satan vereinbart hatte, dass er kein menschliches Wesen lieben durfte, habe das Kind sterben müssen. Deutschland, die Wangen hektisch gerötet, taumelte dazumal auf der Höhe wüster Triumphe, im Begriffe, die Welt zu gewinnen kraft des einen Vertrages, den es zu halten gesonnen war, und den es mit seinem Blute gezeichnet hatte. An mehreren Stellen schreibt Serenus Zeitblom über das, was in Deutschland geschieht, während er die Biografie über Adrian Leverkühn verfasst. Ein Beispiel:
Wir sind verloren. Will sagen: der Krieg ist verloren, aber das bedeutet mehr als einen verlorenen Feldzug, es bedeutet tatsächlich, dass wir verloren sind, verloren unsere Sache und Seele, unser Glaube und unsere Geschichte. Es ist aus mit Deutschland, wird aus mit ihm sein, ein unnennbarer Zusammenbruch, ökonomisch, politisch, moralisch und geistig, kurz allumfassend, zeichnet sich ab, – ich will es nicht gewünscht haben, was droht, denn es ist die Verzweiflung, ist der Wahnsinn. Ich will es nicht gewünscht haben, weil viel zu tief mein Mitleid, mein jammervolles Erbarmen ist mit diesem unseligen Volk, und wenn ich an seine Erhebung und blinde Inbrunst, den Aufstand, den Aufbruch, Ausbruch und Umbruch, den vermeintlich reinigenden Neubeginn, die völkische Wiedergeburt von vor zehn Jahren denke – diesen scheinbar heiligen Taumel, in den sich freilich, zum warnenden Zeichen seiner Falschheit, viel wüste Roheit, viel Schlagetot-Gemeinheit, viel schmutzige Lust am Schänden, Quälen, Erniedrigen mischte, und der, jedem Wissenden unverkennbar, den Krieg, diesen ganzen Krieg schon in sich trug –, so krampft sich mir das Herz zusammen vor der ungeheuren Investition an Glauben, Begeisterung, historischem Hoch-Affekt, die damals getätigt wurde und nun in einem Bankrott ohnegleichen verpuffen soll. Nein, ich will's nicht gewünscht haben – und hab' es doch wünschen müssen – und weiß auch, dass ich's gewünscht habe, es heute wünschen und es begrüßen werde: aus Hass auf die frevlerische Vernunftverachtung, die sündhafte Renitenz gegen die Wahrheit, den ordinär schwelgerischen Kult eines Hintertreppenmythos, die sträfliche Verwechslung des Heruntergekommenen mit dem, was es einmal war, den schmierenhaften Missbrauch und elenden Ausverkauf des Alt- und Echten, des Treulich-Traulichen, des Ur-Deutschen, woraus Laffen und Lügner uns einen sinnberaubenden Giftfusel bereitet. Der Riesenrausch, den wir immer Rauschlüsternen uns daran tranken, und in dem wir durch Jahre trügerischen Hoch-Lebens ein Übermaß des Schmählichen verübten, – er muss bezahlt sein. |
Buchbesprechung: Figur des syphilitischen Künstlers: Als Dr. Faust und dem Teufel Verschriebener. Das Gift wirkt als Rausch, Stimulans, Inspiration; er darf in entzückter Begeisterung geniale, wunderbare Werke schaffen, der Teufel führt ihm die Hand. Schließlich aber holt ihn der Teufel: Paralyse.
Die Faust-Legende geht auf Johann Georg Faust (um 1480 – um 1540) zurück. Der ungewöhnliche Mensch aus Württemberg, der ein unstetes Wanderleben führte, stand im Ruf, ein Magier, Astrologe und Alchimist zu sein und mit dem Teufel im Bunde zu stehen. 1587 erschien bei J. Spieß in Frankfurt am Main als erste literarische Gestaltung der Legende die "Historia von D. Johann Fausten, dem weitbeschreyten Zauberer und Schwartzkünstler". Der unbekannte Dichter dieses Volksbuches erzählt, wie Faust seine Seele dem Teufel verschrieb, um in die Geheimnisse der Welt eingeweiht zu werden. Der Autor stellt den humanistischen Wissensdrang als menschliche Vermessenheit und Aufbegehren wider Gott dar und warnt davor. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002
Johann Georg Faust (kurze Biografie) |