Yann Martel: Schiffbruch mit Tiger (Roman) |
Yann Martel: Schiffbruch mit Tiger |
Inhaltsangabe:Mr Santosh Patel, der früher ein großes Hotel in Madras hatte, ist nun Besitzer eines Zoos in Pondicherry. "Ein ganz natürlicher Schritt, könnte man denken, vom Hotelier zum Zooleiter." (Seite 29)
Seinen Sohn hat er Piscine Molitor genannt. Auf diesen doch sehr ungewöhnlichen Namen ist er durch einen befreundeten Geschäftspartner gekommen, der ihm von den komfortablen Schwimmbädern in Paris vorgeschwärmt hat, von denen das "Molitor" aber am schönsten sei. Der Junge lässt sich Pi rufen. Dass Pi es einmal mit Wasser, mit sehr viel Wasser zu tun haben würde, konnte sein Vater nicht ahnen. "... ein schwarz-orangefarbener Blitz schoss von einen Käfig in den anderen". (Seite 55)
Pi, der als Hindu erzogen wurde, überrascht seine Eltern mit seiner Entscheidung, dass er sich katholisch taufen lassen will, und außerdem benötigt er noch einen Gebetsteppich, weil er sich auch zum Islam hingezogen fühlt. Es gab einen Ton von sich wie ein riesiges metallisches Rülpsen. Sachen blubberten an der Oberfläche, dann verschwanden sie. Alles brüllte: der Wind, die See, mein Herz. (Seite 123) Pi (als einziger seiner Familie und der Besatzung) kann in ein Rettungsboot springen, auf dem er eine Ratte, ein Orang-Utan-Weibchen, eine Tüpfelhyäne und ein Zebra mit gebrochenen Beinen vorfindet. Im Wasser sieht er den Königstiger "Richard Parker" schwimmen. "Jesus, Maria, Mohammed und Vishnu, was für ein Glück, dass du da bist, Richard Parker! Nicht aufgeben, bitte. Komm ins Rettungsboot. Hörst du die Trillerpfeife? ... Ja, hier bin ich. Du musst nur schwimmen. Schwimmen!" (Seite 123) Pi hilft dem 450 kg schweren bengalischen Tiger ins Boot – und begreift erst dann, was er tut. "Moment mal – wir sitzen beide im selben Boot? Bin ich denn noch bei Trost?" (Seite 125)
Der Tiger, vorerst auch noch verstört, verkriecht sich auf einem Teil des Bootes unter einer Plane. Nach und nach versuchen Pi und jedes der Tiere mit den Gegebenheiten zurechtzukommen. Pi, dem es nicht geheuer ist, mit den wilden Tieren auf dem Boot zu sein, baut sich mit Hilfe von Schwimmwesten und Seilen, die er neben Wasser- und Lebensmittelvorräten in dem Rettungsboot vorfindet, ein Floß, auf dem er dann die meiste Zeit verbringt.
Plan eins: Ich schubse ihn vom Rettungsboot.
Natürlich ist keiner der Pläne durchführbar. Jetzt nimmt die Angst sich den Körper vor, der längst weiß, dass da etwas nicht stimmt. Längst schon sind die Lungen fortgeflogen wie ein Vogel, die Eingeweide winden sich wie eine Schlange davon. Jetzt lässt sich die Zunge fallen wie ein Opossum, und das Kinn galoppiert dazu auf der Stelle. Die Ohren werden taub. Die Muskeln zittern, als hätte man Malaria, und die Knie schlackern, als wären sie auf dem Tanz. Das Herz zieht sich zusammmen, dafür weitet der Schließmuskel sich. Und immer so weiter, der ganze Körper. Jeder einzelne Teil versagt, jeder auf die Weise, auf die er es am besten kann. Nur die Augen bleiben aufmerksam. Sie registrieren jeden Schachzug der Angst genau. Nicht lange, und man macht Fehler. Man lässt seine letzten Verbündeten ziehen: Hoffnung und Vertrauen. (Seite 199) Richard Parker, vor dem er sich anfangs so ängstigte, verhilft ihm paradoxerweise wieder zur Ruhe. Wenn er ihn betrachtet – "es ist alles so, nun, katzenhaft" – und seinen Geräuschen, dem Schnauben und Prusten und Knurren und Fauchen zuhört, gelingt es Pi, sich von seiner Niedergeschlagenheit abzulenken.
Und so kam es denn also:
Wegen unzureichender Ernährung werden sowohl Pi als auch der Tiger vorübergehend blind, und einmal halluziniert Pi, dass er sich auf dem Boot mit einem Franzosen über Kochrezepte unterhält, den der Tiger aber dann in Stücke reißt. Nach 227 Tagen erreicht das Boot Land. In Mexiko kriecht Pi Patel auf festen Boden. Der Tiger auch. Auf seinem Weg ... kam er direkt vor mir vorbei. Er beachtete mich gar nicht. ... Er lief unter Mühen, stolperte über seine eigenen Beine. Mehrere Male stürzte er. Als er den Dschungel erreichte, blieb er stehen. Ich war mir sicher, dass er sich nun zu mir umdrehen würde. Er würde mich ansehen. Er würde die Ohren anlegen. Er würde knurren. Etwas in dieser Art würde er tun, zum Abschluss der Zeit, die wir miteinander verbracht hatten. Aber er dachte gar nicht daran. Sein Blick war starr auf den Dschungel gerichtet. Und dann verschwand Richard Parker, der Gefährte meiner langen Reise, der mächtige, angsteinflößende Tiger, der mich gerettet hatte, mit einem kleinen Sprung für immer aus meinem Leben. (Seite 343)
Pi Patel wird von Dorfbewohner gefunden und aufgenommen. Am nächsten Tag wird er ins Krankenhaus gebracht.
Mr Okamoto: "Für unsere Untersuchung wüssten wir gern, wie es wirklich war." Dann erzähle ich eben eine andere Geschichte, sagt Pi Patel. In der reichlich blutrünstigen Darstellung spielt hauptsächlich der bösartige Koch des Schiffes eine Rolle; ein verletzter taiwanesicher Seemann sowie Pis Mutter sind in dieser Version ebenfalls dabei. Patel fragt, ob es auch hier Passagen gibt, die unglaubwürdig sind und ob er etwas ändern solle. Den Ermittlern fällt auf, dass die beiden Fassungen mit der "Tier"-Geschichte übereinstimmen. "Dann wäre also der taiwanesische Seemann das Zebra, seine Mutter der Orang-Utan, und der Koch ... die Hyäne – und er selbst [Pi] ist der Tiger!" (Seite 373) Der Hergang des Schiffsunglücks kann nicht geklärt werden. Aber Pi Patel möchte noch wissen, welche von den beiden Geschichten den Herren besser gefallen hat. "Die Geschichte mit den Tieren ist die bessere Geschichte." (Seite 379) |
Buchbesprechung:Im ersten Teil von "Schiffbruch mit Tiger" erfahren wir viel über Tiere und ihre Verhaltensweise im Zoo und dass der Hindu Piscine Molitor Patel, genannt Pi (wie der griechische Buchstabe zur Bezeichnung der Konstante für die Kreisberechnung), sich dafür entscheidet, auch Christ und Moslem zu werden. Am 21. Juni 1977 verlässt die Familie Patel von Madras aus Indien, um in Kanada einen Neuanfang zu wagen. (Da sind wir dann schon auf Seite 118.)
Gleich am Anfang des zweiten Teils sinkt das Schiff. Die vielfältigen und schaurigen Erlebnisse des Schiffbrüchigen auf dem Rettungsboot,
"In beiden Geschichten geht das Schiff unter, meine gesamte Familie kommt um und ich habe viel zu leiden." ...
Um die Schilderung der Abenteuer des Schiffbrüchigen authentischer erscheinen zu lassen, sind einzelne Kapitel eingefügt, in denen der Überlebende von dem Autor, der die Erinnerungen aufzeichnen soll, befragt wird und die momentanen Lebensumstände und Familienverhältnisse Pi Patels beschrieben werden. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Irene Wunderlich 2005 / 2013
Ang Lee: Life of Pi. Schiffbruch mit Tiger |