Emmanuelle Pagano: Bübische Hände (Roman) |
Emmanuelle Pagano: Bübische Hände |
Inhaltsangabe:Die Otalgie Eine kinderlose Frau Ende 30 leidet unter Schmerzen im rechten Ohr. Möglicherweise ist ein Tier in den Gehörgang gekrochen und findet nicht mehr heraus. Sie ist nicht von hier, sondern wuchs in einer gut 50 Kilometer entfernten Stadt auf, anders als ihr Ehemann, der hier geboren wurde und zur Schule ging. Dem Winzer und Großgrundbesitzer gehört die Domaine de la Pierre Mauve. Er verachtet seine Frau, weil es ihr schwerfällt, sich wie die Gattin eines Großgrundbesitzers zu benehmen. Sie fühlt sich nutzlos und würde lieber mit Emma tauschen, die zwei- oder dreimal pro Woche bei ihnen putzt.
Er verbietet mir das Putzen. Ich darf nicht. Weder Wäsche waschen noch sonst was, bestenfalls kochen, wenn wir Gäste haben. Denn das schickt sich durchaus, dass bei Markengästen die Hausherrin kocht. Der Ich-Erzählerin fällt auf, dass Emma ein Heft in der Gesäßtasche ihrer Jeans stecken hat, es mitunter herauszieht und etwas aufschreibt. Als das Heft herumliegt, blättert die Frau des Großgrundbesitzers darin. Bei den Aufzeichnungen handelt es sich um poetisierte Infibulationswünsche.
Das waren so was wie Hardcore-Gedichte. [...] Kastanienschalen
Bei der zweiten Ich-Erzählerin handelt es sich um eine 60-jährige Großmutter, deren Ehemann seit 20 Jahren tot ist. Ihre beiden Söhne übernahmen damals den Kastanienhain und den Maronenhandel der Familie, aber das Areal musste aufgeteilt werden, denn die beiden haben sehr verschiedene Vorstellungen von der Bewirtschaftung. Sie wohnen alle zusammen in einem Haus auf dem Anwesen La Pénibe: der ältere Sohn mit Frau und Tochter im Erdgeschoss, Claude, der jüngere Sohn, im 1. Stock, wo sich auch die Gästezimmer befinden, und die Großmutter in der Mansarde, nur durch eine dünne Wand getrennt von der Rumpelkammer, in der sich ein Ziesel eingenistet hat. Die Schreie des Ziesels tun ihr weh. Ohnehin hat sie Schwierigkeiten mit den Ohren und leidet deshalb unter Gleichgewichtsstörungen.
Ich war so zerrissen, dass mich die Hebamme zusammennähen musste, Minuten ohne Dauer, gedehnt wie Stunden. Gen Ende der Sechziger war man nicht zimperlich. [...]
Der Altersunterschied zwischen Claude und seinem Bruder beträgt nicht einmal ein ganzes Jahr. Weil der Ältere einmal sitzen blieb, waren sie 1979/80 zusammen in der 5. Klasse der Grundschule. Der Erstgeborene brachte Schande über sich und seine Mutter. Alle bis auf Claude machten damals bei der Vergewaltigung einer Mitschülerin mit. Noch gestern, jedes Mal, wenn ich sie sehe, und häufiger noch, denke ich daran, ich fühle mich schuldig, geschwiegen zu haben, mich so geschämt zu haben, dass mir das Schweigen lieber war als alles andere. L'Ensoleillée
Das ehemalige Collège des Dorfes oberhalb der seit 25 Jahren nicht mehr renovierten Grundschule wurde zu einem Altenheim umgebaut: L'Ensoleillée. Dort lebt auch eine frühere Grundschullehrerin. Sie ist jetzt über 80 und leidet unter Altersschwerhörigkeit. Die 5. Klasse 1979/80 war ihre letzte. Sie glauben, ich wäre nicht mehr ganz dicht, aber ich erinnere mich, dass die Mädchen nach den Handbewegungen der Jungs (alle, alle, bis auf einen) geschwiegen haben. Die Mädchen haben geschwiegen, spöttisch gelacht. Ich auch. Nicht spöttisch gelacht, nein, aber geschwiegen.
Die Lehrerin hörte Emma schreien, unternahm jedoch nichts. Nach diesem Jahr ging sie in den Ruhestand, und die Schüler wechselten aufs Collège. Und werden ihre Wörter es anderen stecken, all die Erinnerungen an die bübischen Hände. Wie sollte es anders sein. Weißfluss
Die zehnjährige Enkelin der Witwe ist jetzt genau in dem Alter, in dem Emma damals war. Der Weißfluss in ihrer Unterwäsche kündige die bevorstehende Menarche an, sagt ihre Mutter. Er hat gesagt, Kinder werden ohnehin nie bestraft, selbst wenn sie groß sind. Aber Erwachsene schon. Die Erwachsenen, die vor über fünfundzwanzig Jahren, fast dreißig, schon groß waren. Wegen unterlassener Hilfeleistung. Er hat gesagt, auch das sei schlimm. Verjähre aber. So dass keiner jemals bestraft würde.
Während eines Besuchs mit der Schulklasse in der Seidenraupenzucht im Dorf wird sie von Bauchkrämpfen geplagt. Aber am Abend sind alle aus der 5. Klasse des Jahrgangs 1979/80 mit ihren Angehörigen auf dem Gut de la Pierre Mauve eingeladen, auch ihr Onkel, ihr Vater, ihre Mutter, sie und ihre Großmutter. |
Buchbesprechung:
Emmanuelle Pagano hat ihren Roman "Bübische Hände" in vier Teile, in vier Monologe gegliedert. Die Namen der Ich-Erzählerinnen erfahren wir nicht. Eine 80-jährige pensionierte Lehrerin, eine 60-jährige verwitwete Mutter von zwei
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2013
Emmanuelle Pagano: Die Haarschublade |