Martin Page: Antoine oder die Idiotie (Roman) |
Martin Page: Antoine oder die Idiotie |
Inhaltsangabe:Antoine Arakan ist fünfundzwanzig und depressiv. Die Eltern seines Vaters waren in den Dreißigerjahren aus Burma in die Bretagne gekommen und hatten dort 1941 eine eigene Widerstandsabteilung gegen die Deutschen gegründet. Sein Vater fährt als Fischer auf einem Trawler, und seine Mutter, eine Bretonin, arbeitet als Strandaufseherin fürs Umweltministerium. Antoine verließ seine Eltern mit achtzehn und zog nach Paris. Unabhängig vom Fachgebiet studierte er, was ihn interessierte. Seit zwei Jahren ist er Lehrbeauftragter an der Universität Paris V "René-Descartes". Er bewohnt ein Apartment in der achten Etage eines Mietshauses im Pariser Vorort Montreuil, und wenn ihm das Treppensteigen zu beschwerlich ist, passt er den unter ihm wohnenden Catcher Vlad ab, der ihn dann hinaufträgt. Miete zahlt Antoine keine, weil Monsieur Brallaire, der Hausbesitzer, an Alzheimer leidet und sich nur hin und wieder an ihn erinnert. Schon immer hatte Antoine den Eindruck, steinalt zu sein. Als er sieben war, fühlte er sich ausgelaugt wie ein Mann von neunundvierzig. Mit elf hatte er bereits alle Enttäuschungen eines Greises von siebenundsiebzig erlebt. Jetzt, mit fünfundzwanzig und in der Hoffnung auf ein etwas angenehmeres Leben, entschloss er sich, das Leichentuch der Idiotie über sein Haupt zu werfen [...] Intelligenz macht unglücklich, einsam und arm, während die bloße Maske der Intelligenz einem Menschen die Unsterblichkeit zumindest auf Zeitungspapier einbringt und womöglich noch die Bewunderung derer, die an das glauben, was sie lesen [...] Die Ursache seines Unglücks war sein eigener Verstand. (Seite 5f)
Antoine beschließt, sich um seinen Verstand zu bringen, denn während sein Leben die Hölle ist, kennt er eine Menge idiotischer, mit Gewissheiten und Vorurteilen vollgestopfter Leute – und die sind glücklich. "Ich zähle die Versuche schon gar nicht mehr, das würde mich nur deprimieren." (Seite 30) Sie macht Antoine auf einen Kurs für Selbstmörder aufmerksam. Er nimmt daran teil und hört sich Frau Professor Astanavis' Ausführungen an: "Es ist besser zu sterben, solange uns das Leben noch nicht alles genommen hat." (Seite 37) Sobald Antoine sachkundig geworden ist, hat er zwar keine Lust mehr, sich das Leben zu nehmen, aber an seinem Ziel, ein Idiot zu werden, hält er fest, und bei einem Treffen mit seinen Freunden Ganja, Charlotte, Aslee ("As") und Rodolphe in der isländischen Bar "Gudmundsdottir" liest er ihnen aus seinen Aufzeichnungen darüber vor.
"Ich trage den Fluch des Verstandes mit mir herum. ich bin arm, ledig, deprimiert. Seit Monaten denke ich über meine Krankheit des zu vielen Nachdenkens nach und habe die Wechselbeziehung zwischen meinem Unglücklichsein und der Inkontinenz meines Verstandes zweifelsfrei festgestellt [...]
Übrigens stammt As aus Samoa. Bis zu seinem sechzehnten Lebensjahr lag er in einer Spezialklinik, weil das Phosphor in der Babynahrung, mit der ihn die Mutter gefüttert hatte, versehentlich millionenfach überdosiert gewesen war. As hatte Glück und überlebte. Er ist nur ein wenig geistig behindert und leuchtet im Dunkeln. Das Ziel dieses Spiels ist ganz einfach: Man muss Geld verdienen, geschickt sein und sich genauso verhalten wie ein blöder Kapitalist. (Seite 78) Schließlich wagt er sich sogar in ein nahe gelegenes Fast-Food-Restaurant und tritt beherzt an den Schalter.
"Bonjour!", sagte er zu der jungen Frau, die da vor ihm stand.
Um den Männern auf den Fotos der Illustrierten ähnlicher zu werden und auf diese Weise vielleicht auch zu einem eigenen Sexualleben vorzustoßen, erwirbt Antoine die Mitgliedschaft in einem Fitness-Studio. Der Mann, der nur auf seinen Computerbildschirm starrte, schlug Antoine ein paar Lehrgänge vor, Ausbildungen für Berufe, die ihn nicht interessierten und mit Armut entlohnt wurden. (Seite 92)
Nach diesem Misserfolg erinnert Antoine sich an seinen ehemaligen Schulfreund Raphaël ("Ralphi"), der eine Investmentfirma gegründet hatte und reich geworden war. Obwohl Antoine betont, dass er von der Börse nichts versteht, stellt Ralphi ihn ein, und er erhält eine eigene Box im Großraumbüro, wie die anderen siebzig Börsenmakler auch. |
Buchbesprechung:
"Antoine oder die Idiotie" ist der Debütroman des Franzosen Martin Page (*1975). Den Protagonisten hat Martin Page nur so weit charakterisiert, wie es für die Darstellung der Grundidee der Satire erforderlich ist,
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005 |