Orhan Pamuk: Rot ist mein Name (Roman) |
Kritik: In "Rot ist mein Name" versinnbildlicht Orhan Pamuk die Konflikte zwischen Tradition und Avantgarde, Orient und Okzident. Das Besondere an dieser orientalisch ausufernden Mischung aus Künstler-, Kriminal- und historischem Roman ist die konsequent polyperspektivische Darstellung. ![]() |
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Orhan Pamuk: |
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Inhalt: Istanbul 1591. Fein Efendi, einer von vier Meistern der Buchmalereiwerkstatt, wird mit einem Stein erschlagen. Wie seine drei Kollegen hatte er heimlich an einem Buch gearbeitet, das der Padischah dem Dogen von Venedig schenken wollte, um ihm die Pracht des Osmanischen Reiches zu demonstrieren. Fein Efendi waren jedoch Zweifel gekommen, ob die in Auftrag gegebenen Bilder noch mit dem Glauben im Einklang standen oder die Künstler sich damit versündigten. Musste er deshalb sterben? ![]() |
Originalausgabe: |
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Orhan Pamuk: Rot ist mein Name |
Inhaltsangabe:Ein Toter bin ich nun, eine Leiche auf dem Grund eines Brunnens. Schon längst tat ich meinen letzten Atemzug, schlug mein Herz ein letztes Mal, doch niemand weiß, was mir geschah, nur mein ruchloser Mörder [...] Vor vier Tagen schon hätte ich heimkommen müssen – meine Frau und die Kinder sind auf der Suche nach mir. (Seite 11) Mit diesen Worten beginnt der Roman "Rot ist mein Name" von Orhan Pamuk. Wir befinden uns 1591 in Istanbul. Bei dem Ermordeten handelt es sich um Fein Efendi, einen der vier Meister in der von Osman Efendi, dem Ersten Illustrator geleiteten Buchmalereiwerkstatt, der sich besonders auf das Vergolden der Ornamente verstand. Wie seine drei Kollegen Velican, Hasan Çelebi und Musavvir Mustafa – denen Osman die Spitznamen Olive, Schmetterling und Storch gegeben hatte –, arbeitete Fein nicht nur an einem "Buch der Feste", das der Padischah aus Anlass der Feierlichkeiten zur Beschneidung seiner Söhne in Auftrag gegeben hatte, sondern heimlich auch für einen Mann, den alle nur Oheim Efendi nennen. Der soll ein Buch herstellen, mit dem der Padischah im tausendsten Jahr nach der Hedschra des Propheten den Dogen von Venedig beeindrucken möchte. Dieses Buch sollte in Wort und Bild von den wertvollsten und wesentlichsten Dingen unseres Reiches erzählen, und wie in den Büchern der Klugheit sollte im Herzen des Buches ein Bildnis unseres Großherrn seinen Platz haben. (Seite 317f)
Osman ist verärgert, weil der Padischah dieses Buch nicht von ihm kalligrafieren, ornamentieren und illustrieren lässt. Außerdem weiß er, dass sein Konkurrent zuletzt vor zwei Jahren als osmanischer Gesandter in Venedig war, wo Bilder nicht nur zur Illustration einer Geschichte dienen, sondern selbst gewissermaßen eine Geschichte erzählen können. Der Oheim, argwöhnt Osman, werde das, was er in Venedig über die so genannte fränkische Malweise lernte, in dem neuen Buch anwenden. Es ist Allah, der das Nichtseiende ins Sein ruft, der das Leblose belebt. Niemand darf sich mit ihm messen. Dass die Maler sich unterfangen, Sein Werk zu tun, und behaupten, auch sie würden gleich Ihm erschaffen, ist die größte Sünde. (Seite 224) Bevor Fein durch sein Gerede sich, seine Kollegen und den Oheim zur Zielscheibe der militanten Feinde jeder Neuerung hätte machen können, wurde er getötet. Der Mörder verlangt, ein zwei Buchseiten großes Bild zu sehen, dessen Gestaltung Fein offenbar besonders beunruhigt hatte, aber der Oheim geht nicht darauf ein. Feins Mörder ergreift schließlich ein Tintenfässchen aus Bronze und erschlägt damit den Oheim, der seinen Tod bewusst erlebt: Ich sah keine Farbe mehr und begriff, dass alle Farben Rot geworden waren. Was ich für mein Blut hielt, war rote Tinte. Und was ich an seiner Hand für Tinte hielt, war mein unstillbares rotes Blut. (Seite 243)
Als Seküre von ihrem Treffen mit Kara im Haus des gehenkten Juden zurückkommt, findet sie ihren Vater mit eingeschlagenem Kopf vor. Der Mörder durchwühlte offenbar die Räume und raubte die halbfertige Doppelseite.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht, Zusammen mit Storch finden sie Olive schließlich im früheren Derwischkonvent. Dort versteckt er sich. Sie überwältigen ihn, und Storch blendet ihn mit der von Kara im Saray gestohlenen Federbuschnadel. Da gesteht Olive, Fein und den Oheim getötet zu haben und erklärt Kara: "Im gleichen Maß, wie unser Padischah nach einem von den fränkischen Malern beeinflussten Buch verlangte, wollte dein Oheim in Wirklichkeit ein Buch anfertigen, das jeden herausfordern und in die Furcht vor der Sünde verstricken sollte. Um sich in seinem Hochmut wichtig zu machen. Er hatte eine sklavische Bewunderung für die Bilder der fränkischen Meister empfunden, die er auf seinen Reisen zu sehen bekam, und war diesen Dingen, von denen er uns tagelang erzählte – er hat ihn sicher auch dir geschildert, diesen Unsinn von der Perspektive und den Porträts –, vollkommen verfallen. Meiner Meinung nach enthielt das Buch, an dem wir arbeiteten, weder etwas Schädliches noch etwas dem Glauben Widersprechendes ... Da er das selbst wusste, gab er sich den Anschein, ein gefährliches Buch vorzubereiten, und das gefiel ihm sehr gut ..." (Seite 547f) Dann zeigt Olive den drei anderen Männern die gestohlene Doppelseite. Die Ränder sind kunstvoll verziert, und in die Mitte hat Olive sein eigenes Porträt gemalt. "Ich fühle mich wie der Satan, nicht, weil ich zwei Menschen getötet habe, sondern weil ein solches Bildnis von mir entstanden ist. Und ich vermute, dass ich die beiden umbrachte, um dieses Bild schaffen zu können." (Seite 555)
Plötzlich reißt Olive Karas Dolch an sich, sticht ihm damit in ein Nasenloch und holt aus, um ihn zu töten. Weil Kara sich in diesem Augenblick bewegt, wird er statt in die Brust in die Schulter getroffen. |
Buchbesprechung:
Unter dem Titel "Rot ist mein Name" schrieb Orhan Pamuk eine Mischung aus Künstler-, Kriminal- und historischem Roman, in dem es auch nicht an einer Liebesgeschichte fehlt. Es geht Orhan Pamuk allerdings weniger um die Aufklärung von drei Mordfällen als um die Versinnbildlichung der Konflikte zwischen Tradition und Avantgarde, Orient und Okzident, Islam und Christentum, anonymer Einordnung in die Gesellschaft und Egozentrik. Als Schauplatz dafür eignet sich die an der Grenze zwischen Europa und Asien liegende Metropole Istanbul hervorragend. "Ich weiß, dass ihr alle neugierig seid auf das, was in dem Brief steht, den ich Kara übergeben habe." (Seite 55) Wie das folgende Beispiel zeigt, hat Orhan Pamuk den Wechsel der Stimmen meisterhaft komponiert.
So malte, während ich aufstand, hinter dem Oheim Efendi herumging und auf dem Arbeitstisch unter den vertrauten Gefäßen aus Glas, Porzellan und Kristall jenes neue, schwere bronzene Tintenfässchen zur Hand nahm, der fleißige Buchmaler in mir, dessen Dasein wir dem Ersten Illustrator Altmeister Osman verdankten, alles, was ich tat und sah, in scharfen Konturen und blassen Farben wie eine alte Erinnerung und nicht wie etwas, was in diesem Augenblick geschah. Ist es nicht auch so, wenn wir uns in unseren Träumen schaudernd von außen her betrachten? Ich hielt das dickbauchige Gefäß mit dem engen Hals in der Hand und sagte, ebenso schaudernd: "Ein solches Fässchen habe ich als zehnjähriger Lehrling gesehen." |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2007
Orhan Pamuk (Kurzbiografie) |