Charlotte Roche: Schoßgebete (Roman) |
Charlotte Roche: Schoßgebete |
Inhaltsangabe:Elizabeth ist dreiunddreißig. Verheiratet ist sie mit dem gut betuchten Galeristen Georg Kiehl, der so alt ist wie ihr Vater. Meine Therapeutin bescheinigt mir einen fetten Vaterkomplex. Davon haben bis jetzt auch schon viele alte Männer profitiert. Mein Vater hat durch seine Abwesenheit in meiner Kindheit dafür gesorgt, dass die alten Männer durch meinen Körper immer Nachschub an Frischfleisch bekommen. Ich interessiere mich kein bisschen für Jüngere oder Gleichalte. Nur Alte, Alte, Alte. Je älter, desto besser. Da fühle ich mich geborgen und begehrt.
Georg ist der erste Lebensgefährte, der mehr Geld hat als sie. Er übernahm damals ihre Schulden. Sie lernten sich vor sieben Jahren kennen, als er ihre Fotos ausstellen wollte. Seine Ehefrau war damals hochschwanger, und Elizabeth hatte gerade eine Tochter geboren. Gleich zu Beginn ihrer Beziehung wurde sie erneut schwanger, aber Georg bestand auf einer Abtreibung. Elizabeth jr. ("Liza") ist jetzt sieben Jahre alt, nur ein klein wenig älter als Georgs Sohn Max, der bei seiner Mutter lebt. Georg, Elizabeth und Liza wohnen im Erdgeschoss eines Vier-Parteien-Hauses. Wenn ich mich neu verliebe, habe ich ein schlechtes Gewissen, dass sie das nicht mehr können. Wenn ich einen Erfolg feiere bei der Arbeit, werde ich zerfressen von schlechtem Gewissen. Sie hatten doch noch das ganze Leben vor sich, hätten bestimmt auch viele Erfolge gefeiert. Können sie aber nicht mehr. Ich schon. Und daran ersticke ich! Leichen gab es keine. Elizabeth malte sich aus, dass Harry, Lukas und Paul die Massenkarambolage überlebt hatten und nun im Wald herumirrten. Im Prinzip haben wir die Feuerbestattung ja schon gemacht, auf der Autobahn. Das Krematorium haben wir uns schon mal gespart. Nur hat keiner die Asche eingesammelt.
Acht Wochen nach dem Unfall wurden drei Urnen beigesetzt. Elli nahm im Rollstuhl sitzend daran teil. Auf eigene Verantwortung hatte sie das Krankenhaus für ein paar Stunden verlassen dürfen. Sechs Großelternpaare trauerten um die drei Jungen, die von drei verschiedenen Vätern gezeugt worden waren. Noch vor irgendeinem Arzt, Seelsorger oder Verwandten hat sich dieses Kamerateam Vortritt verschafft, um mit meiner Mutter über ihre toten Kinder gesprochen zu haben. Mir hat der Arzt gesagt, das würde Tage dauern, bis man das dürfe. Und die brechen in das Zimmer meiner Mutter ein und ficken ihr in ihre kaputte Seele. Nach dem verheerenden Unfall war an eine Hochzeit mit Stefan nicht mehr zu denken. Nur noch einmal schlief Elizabeth mit ihm. Da zeugten sie versehentlich ein Kind: Liza. Ich dachte währenddessen immer nur: Ich will leben. Fick mich ins Leben zurück!
Seit damals geht Elizabeth dreimal pro Woche zu ihrer Psychotherapeutin Agnetha Drescher. Sie leidet nicht nur unter verschiedenen Angst- und Zwangsneurosen, sondern auch an einer Essstörung. Weil sie glaubt, dass ihre ebenfalls magersüchtige Freundin Cathrin ein schlechtes Vorbild ist, will sie sich von ihr trennen und sie auch aus ihrem Testament streichen. Einen Notar-Termin hat sie bereits vereinbart. Sie ändert alle paar Monate ihr Testament und beschäftigt sich fortwährend mit dem Tod. Deshalb sorgt Georg sich, dass sie sich etwas antun könnte.
Wenn aber mein Mann das möchte, mach ich für ihn die größte Selbstbefriedigungsshow aller Zeiten. Wenn er zuguckt und mich dazu auffordert, dann gebe ich Vollgas. Ich reibe, und ich schrubber, was das Zeug hält [...] Er bleibt mit dem Kopf zwischen meinen Beinen und guckt ganz genau zu, wie ich alles abrufe, was ich je über Selbstbefriedigung im Internet und auf DVD gesehen habe [...] Auch wenn mich das jetzt eher belustigt als aufgeilt, spätestens wenn ich sehe, wie sehr ihn das erregt, erregt es mich zurück. Ihre Mutter und die Frauenbewegung hatten ihr beigebracht, dass sich die Frau bei Fellatio erniedrigt. Aber so denkt Elizabeth nicht mehr. Immerhin leckt Georg sie auch. Anfangs ekelt sie sich jedes Mal vor dem Geruch des Penis. Aber der Ekel erregt sie zugleich. Wenn ich schnell alles sauber gelutscht hab, riecht da nichts mehr. Wie eine Kuh ihr Kalb sauber leckt. Nicht nur beim oralen, sondern auch beim analen Sex gerät Elizabeth in einen Konflikt zwischen ihrer Sozialisation und ihren Empfindungen.
Während ich Analverkehr habe, denke ich ständig an die Anführerin unserer deutschen Frauenbewegung und horche in mich rein und fühle meine innere Geilheit, die vom Poloch und vom Schwanz ausgeht und sich im ganzen Körper ausbreitet. Ganz anders als vaginal. Aber selbst bei vaginal sagt die Frauenbewegung, da gebe es keinen Orgasmus [...] Aber ich bin mir auch sicher, dass es einen analen gibt. Mein Frauenbewegungshirn redet mir, mit dem Schwanz meines Mannes im Po, ständig aus, dass das geil sein kann, und währenddessen redet mein Enddarmausgang mir ein, dass das sehr wohl sein kann. Wem soll ich denn jetzt mehr glauben? Elizabeth genießt auch die Macht, die ihr die Sexualität verleiht.
Mittlerweile liegt er da wie ein Käfer auf dem Rücken und gibt sich mir vollkommen hin. Breitbeinig, die Arme von sich gestreckt, die Augen verdreht, wie in Trance. Ich habe ein starkes Machtgefühl, wenn er da so liegt. Beim Durchwühlen einer Schachtel mit seinen Fotos schaut sie sich seine früheren Partnerinnen an. Das verstärkt ihre Befürchtung, dass Georg größere Brüste bevorzugen würde. Seit ihrer Pubertät macht es ihr zu schaffen, dass ihre Brüste sehr klein sind. Ich habe [...] in meiner Jugend eine Diktatur der Brust erlebt. Jeder und alle waren auf große Brüste fixiert. Dennoch lehnt sie eine Brustvergrößerung ab. Deswegen bin ich so sauer auf Christen, genauso wie auf Frauen, die sich Silikon in die Brüste stopfen. Weil beides the easy way out ist. Christen halten die seelische Obdachlosigkeit nicht aus, wie ich sie mein Leben lang in vollem Bewusstsein aushalte: Das Leben ist sinnlos, die Erde ist sinnlos, wir sind Zufall, und es gibt niemals ein Leben nach dem Tod [...] Mit den Brüsten, die man hat, sollte man vielleicht einfach klarkommen, genauso wie mit der Sinnlosigkeit des Lebens. Ihr Kontrollzwang betrifft auch das Verhältnis von ihrem Mann und ihrer Tochter. Es gibt zwar keinen Grund, Georg pädophile Neigungen zu unterstellen, aber wenn die beiden miteinander allein im Raum sind, schleicht Elizabeth herum, um sich zu vergewissern, dass Liza nicht missbraucht wird. Ich wünsche mir für meine Tochter, dass sie so spießige Eltern hat, dass sie wurzelt in einem Zuhause, dass sie denkt, Mann, sind die langweilig, und irgendwann einfach fliegt. In ihr Glück. Und ab und zu nach Hause kommt zu ihren spießigen Eltern.
Einmal liehen Georg und Elizabeth sich sechs Pornofilme auf einmal aus, schauten aber erst einmal nur einen an. Daraufhin nahm Elizabeth ihrem Mann das Versprechen ab, die anderen fünf nicht allein zu betrachten. Um ihn zu kontrollieren, klemmte sie in jede DVD-Kassette ein Haar und notierte sich die Reihenfolge in dem Stapel. Prompt überführte sie ihn, und es kam zu einem tagelangen Streit. Und dann geht der praktisch mit einer Socke fremd. Wichst die voll anstatt mich.
Trotz ihrer Eifersucht erfüllt Elizabeth Georg auch den Wunsch, regelmäßig mit ihm zusammen ins Bordell zu gehen. Anfangs mussten sie die flotten Dreier mitunter wegen Elizabeths Eifersuchtsanfällen abrechen, aber inzwischen waren sie bereits mit achtzehn verschiedenen Prostituierten zusammen. Und Elizabeth lässt es auch zu, dass Georg allein ins Bordell geht. Wenn es ihr gelingt, die Eifersucht zu überwinden, ist sie stolz auf ihre Coolness und Toleranz. |
Buchbesprechung:Die Protagonistin des in einigen Passagen erschütternden Romans "Schoßgebete" von Charlotte Roche bekämpft die Dämonen in ihrem Kopf mit Sex. Diese Fixierung auf die Sexualität ist eine Folge der Traumatisierung durch eine Familientragödie. Deutlich wird aber auch das Bedürfnis nach Geborgenheit und verlässlicher Lebenspartnerschaft. Alice Schwarzer hält die "Verzweiflung der Frauen" für das eigentliche Thema. Diese Verzweiflung, die dir so schrecklich vertraut ist. Diese Ängste. Diese Destruktivität. Diese Todessehnsucht. Dieser Selbsthass. Zu kleine Brüste, zu kurze Beine, zu schlechte Mutter. Dieses Sich-Klammern-an-einen-starken-Mann (der ja vielleicht auch gerne mal schwach wäre). Dieses Immer-alles-total-machen-Wollen [...] Dieses Immer-allen-gefallen-Wollen [...] (www.aliceschwarzer.de, 15. August 2011)
Die dreiunddreißigjährige Ich-Erzählerin Elizabeth Kiehl schildert, was sie an drei aufeinanderfolgenden Tagen erlebt. Am Dienstag hat sie ausgiebig Sex mit ihrem Ehemann Georg, während die Tochter Liza in der Schule ist. Am Abend
Ich bin da schon immer sehr stolz drauf gewesen, aus einer komplett atheistischen Familie zu kommen. Weder väterlicher- noch mütterlicherseits ist auch nur eine Sau getauft.
Daraus ergibt sich ein ziemliches Durcheinander mit unnötigen Wiederholungen. Charlotte Roche schreibt alles andere als stringent. Aber diese Atemlosigkeit passt zur Hauptfigur ebenso wie die Einfachheit der Darstellung und der unbekümmerte Gebrauch der Umgangssprache. Hallo Charlotte, ich bin's, dein Über-Ich. Du weißt schon, diese feministische Rachegöttin, die Seite an Seite mit deiner Mutter durch dein Buch geistert [...] Eines allerdings wäre fatal: Wenn deine Leserinnen deine verruchte Heimatschnulze über Sex & Liebe für ein Rezept halten würden. Denn du hast nicht die Lösung, du hast das Problem.
Die Parallelen zwischen der Autorin Charlotte Roche und der Ich-Erzählerin Elizabeth Kiehl in dem Roman "Schoßgebete" sind nicht zu übersehen. Der Verdacht, das Schreiben des Buches sei für Charlotte Roche auch eine Art Selbsttherapie gewesen, drängt sich auf. Originaltitel: Schoßgebete – Regie: Sönke Wortmann – Drehbuch: Oliver Berben, nach dem Roman "Schoßgebete" von Charlotte Roche – Kamera: Maher Maleh – Schnitt: Ueli Christen – Musik: Martin Todsharow – Darsteller: Juliane Köhler, Jürgen Vogel, Lavinia Wilson, Isabelle Redfern, Jan-David Bürger, Roland Wolf u.a. – 2014 |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2011 |