Ángeles Saura: Der Zweifel (Roman) |
Ángeles Saura: Der Zweifel |
Inhaltsangabe:
Ich, Excmo. Señor Don César Rinconeda, Lehrstuhlinhaber, Kunsthistoriker und Ehrenmitglied der Akademie der Bildenden Künste mit mehrfacher Auszeichnung, habe dem Barockmaler Francisco Meltán sechsundsechzig meiner jüngst vollendeten vierundachtzig Jahre gewidmet, und ich bin er und er ist ich [...] Mit 51 heiratete Don César Rinconeda zum dritten Mal, und zwar eine bildschöne Biochemikerin namens Inés, mit der er über Kunst reden konnte. Sie waren glücklich ... [...] bis jenes vermaledeite Jahr kam, das zehnte, und außerdem im März, als du mir zum erstenmal mit dem Lied vom Kind in den Ohren lagst, und schon war der erste Klecks auf dem Gemälde; denn was für ein Dickkopf, Inés, was für eine Litanei; den lieben langen Tag ging es, von wegen, was ich für ein Egoist sei, von wegen Liebe ohne Frucht, von wegen du fühltest dich nicht als vollständige Frau, nicht selbstverwirklicht, kurz, all diese Zuchtperlen eures weiblichen Dialektes, aufgereiht in Tränenform, Tränengüssen, bis ich eines Tages entnervt sagte "also denn!, dann eben ein Kind"; und noch am selben Tag machten wir uns ans Einpflanzen, und in einem weiteren kalten März ist uns ein Ros' entsprungen [...] Er liebte seine Tochter Inesita. Zehn Jahre lang, dann wurde sie zu einem verzogenen Sukkubus, der seine siebentausend Launen austobte und von der er sich ausgebeutet fühlte. [...] die dich auf die leidige Rolle eines Verpflegungsautomaten beschränken, wie es sie im Eingang des Zentralarchivs gibt, wo du auf einen Knopf drückst, und zack!, hast du ein Brötchen, anderer Knopf, zack, Getränke, ein weiterer, zack, eine Schachtel Zigaretten, und wenn du drückst und sie zieren sich, verpasst du ihnen einen anständigen Stoß, und die Ärmsten spucken aus, was du wolltest, und manchmal sogar noch eine Zugabe, um deinen Zorn zu besänftigen, eine einsame Münze; nein, wahrlich, das traute Heim verwandelt sich in einen schlichten Fressalienautomaten [...] Da ließ er sich von Inés scheiden. [...] haben wir die Angelegenheit schließlich mit Anstand und einer gewissen Sauberkeit über die Bühne gebracht; einer gewissen, sage ich, denn ich vergesse nicht die Version, die du einigen Freunden dargeboten hast, indem du das Ereignis auf deine Weise an die große Glocke gehängt, es nämlich meiner unmenschlichen Gefühllosigkeit angekreidet hast, un-menschlich, hast du ihnen unter die Nase gerieben, was mir doch allerlei Gerede und Gewitzel hinter meinem Rücken eingehandelt hat [...] Don César Rinconeda ist ein Misanthrop. Wenn er an seiner Zeit etwas rundum ablehnte, dann war das die miserable Erziehung, die sich aller bemächtigt hatte und mit der alle sich großtaten als Zeichen von Zeitgemäßheit und Jugendlichkeit und demokratisch-moderner Gesinnung.
1992 fällt dem 84-Jährigen auf, dass sowohl das Geburtsjahr als auch das Todesjahr des von der Pest hingerafften Barockmalers ebenso wie das aktuelle Jahr und sein eigenes Lebensalter die Quersumme drei ergeben (1587: 21: 3; 1632: 12: 3; 1992: 21: 3; 84: 12: 3).
[...] jemand, der behauptet, das Bodegón könne von einer Frasquina stammen, jemand, der Weihnachten mit roter Schlafmütze auf dem Kopf feiert und an ein Walhalla glaubt, worin obskure Götter sich Bier einschenken lassen, dieses derbe Gebräu, und der einen echten August nicht ertragen kann, Iss bin sson hier, Don Ssésar, sagte sie gestern Abend, als sie gleich nach der Ankunft bei mir anrief, Iss bin sson hier, in der Pension ssön untergebracht, aber was für ssreckliche Hitze macht es hier!, nicht? das hat sie zu mir gesagt, nun also, so ein Trampel [...] Ausgerechnet eine Frau bedroht sein Lebenswerk. [...] diese Schicksen, die sich mit unermüdlicher Inbrunst gegenseitig die Leiter halten und ihre Schäfchen ins Trockene bringen, während sie die Welt mit ihren Launen, ihrem Unverstand und ihrer Berechnung ins Chaos stürzen [...]
Durch die Bedrohung erhält Don César Rinconeda neuen feurigen Schwung. Vor 122 Tagen – im April 1992 – arbeitete er einen minuziösen Plan aus und lud Brunhild Cornelius Björnstrom in sein kastilisches Landhaus ein. Vier Monate lang warb er um ihr Vertrauen. Drei Monate lang trocknete er Bitterkürbis, Königskerze und Alraune. Dann zermahlte er sie zu einem zinnoberroten Pulver, dessen Wirksamkeit er gestern erfolgreich ausprobierte, und zwar an der rattenfelligen Katze "Chatryn", die er "Charybdis" zu rufen pflegte. "Was für eine schreckliche Nachricht!, das ist doch nicht möglich, so gesund und voller Leben ... aber so ist das Leben ... natürlich, die Hitze, bestimmt war es das ... ja, so ist es, noch heute Vormittag war sie hier ... Sie wissen ja nicht, wie Leid mir das tut [...] Er erinnert sich, wie sich Brunhild Cornelius Björnstrom vertrauensvoll bei ihm aufs Sofa setzte. Ton Tsesar, hier habe ich Ihnen alles ssön aufgessrieben und mit alle ssugehörige Anmerkungen ssön belegt, hat sie gesagt, als sie mir ihre Studie über das Bodegón und Frasquina übergab.
Nun entfernt er aus ihrer auf einer Diskette gespeicherten Arbeit alle Hinweise auf das Bodegón. Sein Plan sah vor, die erbeuteten Papiere im Reißwolf zu vernichten, aber das erscheint ihm nun zu prosaisch für das Autodafé, und er verbrennt sie deshalb ein einem stilvollen Öfchen aus dem 17. Jahrhundert. [...] habe ich dir etwa mit dem Präparat deinen Ruhm genommen, nein, ich zerstörte nur so viel, wie unumgänglich ist, eine bloße Anekdote, die dir keinen Deut von deinem Talent nimmt; und musstest du etwa erleiden, was so mancher drangsalierte und bis zum Selbstmord getriebene Forscher erlitt [...] ich habe dich auf einen Schlag exekutiert, ohne Folter oder Qualen und wie die Natur selbst, und es geschah nicht aus Hass, sondern in extremis, weil du mich, der ich Gewalt so verabscheue, dazu gezwungen hast, nur damit nicht mir Gewalt angetan wird [...]
Don César Rinconeda zerreibt Nepenthes in einem Mörser, schüttet den Puder auf eine Marmorplatte und feuchtet ihn mit einem Gemisch aus Lein-, Nuss- und Nelkenöl an, bevor er Pinienbalsam und Sandarak hinzufügt. Dann legt er das Bodegón mit dem Gesicht nach unten hin und schreibt mit einem einfachen Pinsel und modernem Zinkweiß "César Rinconeda reverenter absolvit. Neunzehnhundertzweiundneunzig" auf die Rückseite. Anschließend dreht er das Gemälde um, ergreift einen feinen Marderhaarpinsel und ergänzt die Signatur "F. M." rechts unten mit der Nepenthes-Farbe: "F. M. faciebat, MDCXXXII". |
Buchbesprechung: |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2003 Textauszüge: © Suhrkamp Verlag Seitenanfang |