Bernhard Schlink: Die Frau auf der Treppe (Roman) |
Bernhard Schlink: Die Frau auf der Treppe |
Inhaltsangabe:
Der Ich-Erzähler, ein Jurist, dessen Namen wir nicht erfahren, hatte mit 17 das Abitur, mit 21 das erste und mit 23 das zweite Staatsexamen abgehakt. Als er bereits in der Kanzlei Karchinger und Kunze in Frankfurt am Main beschäftigt war, promovierte er noch, und nach drei Jahren Firmenzugehörigkeit avancierte er zum Partner. "Das Bild ist beschädigt. Am rechten Bein – es sieht aus, als wäre er mit dem Feuerzeug drübergegangen." Ob er dem Besitzer angeboten habe, das kaputte Bild zu restaurieren, fragt der Jurist den Künstler. Das wolle er, aber Gundlach lasse ihn nicht, klagt Schwind. Wieder antwortete Gundlach sofort. Er bedauere das erneute Missverständnis. Natürlich sei er mit der Restaurierung durch den Maler einverstanden. Was könne ihm Besseres passieren, als dass der Künstler selbst das beschädigte Kunstwerk restauriere. Außer Hause dürfe er das Bild nicht geben, er würde sonst den Schutz der Versicherung verlieren. Zwei Tage lang arbeitet Schwind an seinem Gemälde. Als er die Ausbesserung am dritten Tag abschließen möchte, entdeckt er einen Säurefleck auf der linken Brust der abgebildeten Frau auf der Treppe. Durch Vermittlung des Rechtsanwalts erreicht Schwind, dass er auch diesen Schaden beheben darf, aber er ist noch nicht ganz fertig damit, da kippt das Ölgemälde um, schlägt gegen eine Tischkante, und die Leinwand reißt. Schwind ist überzeugt, dass Gundlach das Bild absichtlich umwarf: "Denken Sie, ein Maler kann ein Bild nicht so an die Wand lehnen, dass es stehen bleibt? Nein, er hat es umgeworfen, und den Riss hat er mit dem Messer gemacht. Die Kanten des Tischs sind zu stumpf, sie können keinen so scharfen Riss ins Bild machen."
Warum Gundlach das tun sollte, fragt der Anwalt. Aus Hass, meint Schwind. Das Bild, ein Akt, zeigt Gundlachs Ehefrau Irene. Sie verließ ihren Mann und lebt jetzt mit dem Maler zusammen. Irene Gundlach war Karl Schwinds Begleiterin beim ersten Termin in der Kanzlei. Wieder erreicht der Jurist durch Rücksprache mit dem Unternehmer, dass der Künstler sein Werk restaurieren darf. Als ich kam, hing das Bild an der Wand. Ich zeigte Gundlach, was ich gemacht hatte, und er sah und lobte es. Dann holte er ein Taschenmesser hervor, klappte es auf, machte einen Schnitt in das Bild, klappte das Messer zu und steckte es in die Tasche.
Anschließend meinte Gundlach, Ruhe könne es erst geben, wenn sie beide das wiederhätten, was ihnen gehöre: er seine Frau, der Künstler das Bild. Der Geschäftsmann forderte den Künstler auf, von dem Rechtsanwalt einen entsprechenden Vertrag aufsetzen zu lassen. "Können Sie das? Einen Vertrag machen, dass ich das Bild wiederkriege und er Irene?" Der Jurist setzt den Vertrag auf und lässt ihn von den beiden Kontrahenten unterschreiben. Die Übergabe ist für den kommenden Sonntag vorgesehen. Dem Anwalt bleibt deshalb Zeit, eine wie zufällig wirkende Begegnung mit Irene Gundlach herbeizuführen und sie zu warnen: Ihr Ehemann und ihr Liebhaber wollen sie gegen das Gemälde "Die Frau auf der Treppe" eintauschen. Bei dieser Gelegenheit gesteht der Anwalt, dass er sich in Irene verliebt habe. Daraufhin entwickelt Irene einen Plan: Sie wird dafür sorgen, dass Schwind und sie mit dem VW-Bus zu Gundlach fahren. Während sie im Haus sind, soll der Anwalt einsteigen und sich hinter dem Lenkrad verstecken. Es ist damit zu rechnen, dass Karl das Gemälde zum Auto bringt und auf die Ladefläche legt. Sobald er das getan hat, soll Irenes Helfer losfahren. "Ich bin sicher, Karl denkt, Gundlach habe ihn betrogen, kommt zurück ins Haus, beschuldigt Gundlach, und während die beiden streiten, kann ich davonrennen."
Der Jurist weiß selbstverständlich, dass er sich auf ein Vergehen einlässt und seine Zulassung verlieren könnte. Aber das Risiko geht er ein, denn er träumt von einem gemeinsamen Leben mit Irene. "Für Gundlach war ich die junge, blonde, schöne Trophäe, bei der nur die Verpackung zählte. Für Schwind war ich Inspiration, auch dafür langte die Verpackung. Dann kamst du. Die dritte blöde Frauenrolle; nach dem Weibchen und der Muse die bedrohte Prinzessin, die vom Prinzen gerettet wird." Sie erzählt, was Karl Schwind mit dem Bild beabsichtigte, für das sie Modell stand: "Es sollte Marcel Duchamps widerlegen. Kennst du den 'Akt, eine Treppe herabsteigend'? Eine kubistische Gestalt, in die Momente des Herabsteigens aufgelöst, ein Wirbel von Beinen, Gesäßen, Armen und Köpfen?" Dann entschuldigt sie sich bei ihrem Gast: "Es tut mir leid, dass ich dich damals verletzt habe. Ich fühlte mich so eingesperrt, dass ich nur ausbrechen wollte und mir alles andere egal war." Als er sein Bedauern über die entgangene Möglichkeit eines gemeinsamen Lebens äußert, erwidert Irene:
"Du meinst, ob ich dein Frankfurter Leben mit Kanzlei und guter Gesellschaft und Tennis und Golf und Opernabonnement hätte teilen können? Ich kann …"
Offenbar schloss Irene sich in den Siebzigerjahren dem terroristischen Untergrund in der Bundesrepublik an, tauchte dann in der DDR unter, war dort mit einem Mann namens Helmut verheiratet und bekam eine Tochter, der sie den Namen Julia gab. Als die Berliner Mauer geöffnet wurde, setzte sie sich aus Deutschland ab. In Australien kümmerte sie sich um verlassene, streunende, drogen- oder alkoholabhängige Kinder. Dazu ist sie jetzt nicht mehr in der Lage. Sie leidet unter Bauchspeicheldrüsenkrebs und wird nicht mehr lang leben. Mit Kokain hält sie sich noch auf den Beinen.
"Hat Schwind Sie geschickt? Vertreten Sie ihn wieder? Er will das Bild haben, nicht wahr?" Das Bild sei inzwischen 20 Millionen wert, meint Gundlach, und er will es wiederhaben. Argwöhnisch fragt der Anwalt Irene, ob sie Schwind ebenfalls erwarte. Er ahnt, dass sie das jahrzehntelang verschollene Gemälde absichtlich der Art Gallery gab, um die Männer anzulocken. Darauf angesprochen, meint Irene: "Wollte ich auch dich hierherlocken? Ich wollte Peter und Karl noch mal sehen. An dich habe ich nicht gedacht." Dann fährt sie fort: "War ich wirklich nur Trophäe und Muse für sie? Was waren sie für mich? Ich denke, ich muss das Unbedingte in ihnen geliebt haben, die Rückhaltlosigkeit, mit der Peter immer reicher und immer mächtiger werden und Karl das perfekte Bild malen wollte. Sie waren beide Besessene, und ich suchte nach etwas, das auch von mir Besitz ergreift."
Gundlach erzählt von seiner zweiten Ehe mit einer sehr viel jüngeren erfolgreichen Maklerin. "Was wollen wir hier noch? Lass uns fahren, das Boot wartet. Wir können in Rock Harbour frühstücken und in Sydney den Nachtflug nach New York nehmen. Ich habe mit der Art Gallery gesprochen; ein Wort von dir, und sie bringen das Bild auf den Weg nach New York, rechtzeitig zur Werkschau." Da weist Gundlach darauf hin, dass der vor 40 Jahren unterschriebene Vertrag sittenwidrig gewesen sei. "Lasst uns vernünftig miteinander reden. Der letzte beurkundete Eigentümer des Bildes bin ich." Schwind entgegnet: "Wenn Sie meinten, das Bild gehörte noch Ihnen – warum haben Sie den Verlust nicht gemeldet? Warum steht das Bild nicht im Art-Loss-Register?" Gundlach erklärt, er habe von Anfang an vermutet, dass das Bild von Irene mit Hilfe des Anwalts gestohlen worden sei und ihr nicht schaden wollen. Schließlich meint Gundlach, Irene solle entscheiden, wer von ihnen das Bild bekommt. Doch die kranke Frau klärt die Männer darüber auf, dass sie das Bild der Art Gallery geschenkt habe. "Ich kann es euch nicht mehr geben, keinem von euch. Ich wollte euch nur noch mal sehen."
Am anderen Morgen reisen Gundlach und Schwind mit dem Hubschrauber ab. Der Anwalt, der das Angebot des Piloten, ihn mitzunehmen, abgelehnt hat, findet Irene eingenässt und eingekotet in ihrem Bett vor. Er hilft ihr zur Dusche und wäscht sie. Dann zieht er das Bett ab, reinigt die Matratze und stellt sie zum Trocknen in die Sonne. Für Irenes Bett holt er eine Matratze aus einem der anderen Zimmer. Als er Irene am Abend ins Bett bringt, fordert sie ihn auf, sich zu ihr zu setzen. Sie bittet den Anwalt, nach ihrem Tod dafür zu sorgen, dass ihre Tochter Julia bekommt, was vom Erbe der Großmutter noch übrig ist. "Wenn das Haus verbrennt, ist es so weit. Ich verbrenne nicht, ich ersticke im Rauch."
Sobald das Feuer die Bucht erreicht, trägt er Irene ins Boot und fährt ein Stück weit aufs Meer hinaus. Schließlich schläft er ein. Als er aufwacht, ist Irene nicht mehr da. Hat sie sich ertränkt? Er zieht es vor, sich einzubilden, dass sie sich übergeben musste und dabei unabsichtlich ins Wasser kippte. |
Buchbesprechung:
In seinem Roman "Die Frau auf der Treppe" lässt Bernhard Schlink einen Ich-Erzähler zu Wort kommen. Es handelt sich um einen erfolgreichen Rechtsanwalt um die 70 aus Frankfurt am Main, dessen Namen wir nicht erfahren. Er ist nach Australien gereist, entdeckt in der Art Gallery of New South Wales zufällig das Gemälde "Die Frau auf der Treppe", erinnert sich an den Streit, den der Maler vor
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2014
Bernhard Schlink: Der Vorleser |