Cynthia d'Aprix Sweeney: Das Nest (Roman) |
Cynthia d'Aprix Sweeney: Das Nest |
Inhaltsangabe:
Als die New Yorker Literaturzeitschrift SpeakEasy, deren Mitherausgeber Leo Plumb war, nicht mehr genügend abwarf, gründete er das Internet-Magazin SpeakEasyMedia. Statt den Redakteur Paul Underwood mitzunehmen, stellte er Leo Gordon FitzGerald ein. Bevor Leo Plumb heiratete, verkaufte er seinen Anteil an dem bis dahin erfolgreichen Dotcom-Unternehmen – zum Ärger des Miteigentümers Nathan Chowdhury, dessen finanzielle Möglichkeiten nicht ausreichten, um auch die andere Hälfte des Geschäfts zu übernehmen. Als Leonard in die Highschool kam, hatten Jahrzehnte persönlicher Fehltritte, unüberlegter Ehen und in den Sand gesetzter Geschäfte so gut wie alles verschlungen. Er ergatterte ein Stipendium für ein Ingenieursstudium an der Cornell University und danach einen Job bei Dow Chemical.
Leonard Plumb entwickelte einen Kunststoff, der in der Lage ist, ein Vielfaches seines Eigengewichts an Flüssigkeit aufzusaugen, einen Superabsorber, wie er inzwischen in Windeln und in der Damenhygiene verwendet wird. Als Melody, das jüngste der vier Kinder, 16 Jahre alt war, legte Leonard Plumb einen Fonds für sie und ihre Geschwister an. Aus Sorge, dass die Sprösslinge das Geld in jugendlichem Leichtsinn verschwenden könnten, ließ er den von seinem Cousin George Plumb verwalteten Fonds bis zu Melodys 40. Geburtstag sperren. Zwei Jahre später erlag Leonard einem Herzinfarkt. Seine Witwe heiratete bald darauf einen Geschäftsmann und Lokalpolitiker. Dass Leo es derartig vermasselt hatte, war erschreckend, aber, da waren die Geschwister sich leider einig, nicht überraschend. Dass sein idiotisches Verhalten ihre abwesende Mutter dazu gebracht hatte, Gebrauch von ihrer Vollmacht zu machen und das Nest quasi auszuräumen, war allerdings ein Schock.
Um mit Leo über die Differenz zu verhandeln, verabreden sich Jack, Beatrice und Melody mit ihm zum Lunch in der Oyster Bar der Grand Central Station in Manhattan. Aus Rücksicht darauf, dass Leo gerade erst in einer Entzugsklinik war, nehmen sie ihre Lunchtime-Drinks bereits zuvor einzeln zu sich, Jack in der Jazz-Age-Bar der Grand Central Station, Melody in der Lobby des Hyatt und Beatrice in der Pendlerkneipe von Garrie Murphy, einem irischen Freund ihres vor drei Jahren verstorbenen Ehemanns Tucker McMillan. "Drei Bedingungen, Leo", sagte sie. "Keine Drogen. Kein Sex. Und Geld leihe ich dir auch keins."
Drogen besorgt Leo sich dennoch, ohne dass Stephanie etwas davon merkt. Und die mittlere Bedingung wird nach einiger Zeit stillschweigend gestrichen. "Ich wünschte, ich hätte das Geld irgendwo liegen und könnte euch einfach einen Scheck ausstellen." Er gibt sich zuversichtlich, den Geschwistern das Geld zurückgeben zu können und bittet sie um etwas Geduld.
"Gebt mir drei Monate."
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
Jack und Walker laden die Geschwister anlässlich von Melodys 40. Geburtstag zum Essen ein. Melody und Walter bringen Nora und Louisa mit. Beatrice kommt allein – ebenso wie Stephanie, die den anderen eröffnet, dass Leo seit zwei Wochen verschwunden und sie von ihm schwanger ist.
Melody sackte auf einmal in sich zusammen und fing an zu weinen. [...] "Tut mir leid", sagte sie endlich. "Ist gleich wieder gut."
Beatrice bietet Jack und Melody an, zu deren Gunsten auf ihren Anteil an den 200 000 Dollar zu verzichten. Jack bleibt dennoch nichts anderes übrig, als Walker endlich zu gestehen, dass er das Sommerhaus verpfändet hat und sie es verkaufen müssen. Der Anwalt trennt sich daraufhin von ihm und reicht die Scheidung ein.
"Victoria wusste nichts davon. Ich selbst weiß das nicht als sein Anwalt, nur um das klarzustellen. Er hat es vor Jahren mal erwähnt, als er das Konto eröffnete, und, na ja, ich hielt das damals für keine schlechte Idee, so wie die Sache mit Victoria sich entwickelte." Beatrice fliegt mit Paul Underwood über Miami in die Karibik. Dort suchen sie nach Leo. Ihre Bemühungen bleiben vergeblich. Erst als Paul unmittelbar vor der Abreise in einer Hütte am Fährhafen Aspirin und Guaven-Limonade kauft, stößt er auf Leo. Er hört sein Lachen, bevor er ihn sieht. Ohne mit Leo Kontakt aufgenommen zu haben, kehrt Paul zu Beatrice zurück, die am Kai sitzt. Von seiner Entdeckung berichtet er ihr nichts. Leo, der Paul ebenfalls bemerkte, beobachtet die beiden. Sie küssen sich. Als Beatrice den Blick hebt, sieht sie Leo. Sofort versteift sie sich und senkt den Kopf.
Atmen, sagte Bea sich, tief durchatmen. Regungslos blieb sie stehen, sie hatte Angst, sich zu bewegen oder hochzusehen. Sie wartete darauf, dass er ihren Namen rief, hatte Angst, dass er ihren Namen rief. Paul hielt sie noch fester umschlungen. Er roch nach Shampoo und Sonnenmilch und ein bisschen nach Jerk Chicken. In der Nähe kreischte eine Möwe, es klang wie ein Lachen. Die Fähre hupte dreimal. Letzter Aufruf.
Stephanie ist im siebten Monat schwanger, als sie die von ihr vertretene Autorin Olivia Russet zusammen mit Matilda Rodriguez und Vinnie Massaro zum Mittagessen einlädt. Vinnie Massaro, der Sohn eines Pizzeria-Betreibers, trägt eine Prothese, weil ihm eine explodierende Sprengladung während seines Militärdienstes einen Arm abriss. Er kümmert sich um Matilda. Damit sie eine bessere Fußprothese schmerzfrei tragen kann, ist vermutlich eine Nachoperation erforderlich. Olivia Russet, die als junges Mädchen ein Bein verloren hat und als Journalistin viel über Prothesen vor allem im Zusammenhang mit dem Golfkrieg schreibt, soll sie dabei beraten. |
Buchbesprechung:In ihrem Debütroman "Das Nest" beschäftigt sich die Amerikanerin Cynthia D'Aprix Sweeney mit Geschwistern aus einer reichen Familie an der Ostküste der USA. Jack, Beatrice und Melody haben sich auf die Auszahlung eines vom Vater für sie eingerichteten millionenschweren Fonds eingerichtet, den sie als "Nest" bezeichnen. Jacks Ehemann Walker Bennett meint dazu: Abgesehen davon, dass es total kindisch war, konnte er nicht fassen, wie eine Gruppe von Erwachsenen diesen Begriff offenbar allen Ernstes benutzte und nicht ein einziges Mal darüber nachdachte, was für eine verquere Metapher das war und wie sehr sie ihr gestörtes Verhalten als Individuen und als Gruppe auf den Punkt brachte. Das war nur eine der vielen Sachen, die er an der Plumb-Familie nicht verstand. Inzwischen hatte er es aufgegeben.
Jack, Beatrice und Melody stehen für Menschen, die ihre Ansprüche und Privilegien für selbstverständlich halten. Als jedoch Leo, der älteste Bruder, ihre finanziellen Erwartungen zunichtemacht, werden sie aus der Bahn geworfen und müssen mit ihren Schulden klarkommen. Die radikale Wende bringt sie aber auch dazu, wieder miteinander zu reden und eröffnet ihnen die Chance, zu begreifen, was in ihrem Leben wirklich zählt. Leo betrügt sie, aber ehrlich sind sie alle nicht: Jack hintergeht Walker und will Stephanie Palmers Mieter Tommy O'Toole heimlich beim Verkauf einer Skulptur an einen Hehler helfen, Melody torpediert die Bemühungen ihres Mannes, das überschuldete Haus zu verkaufen, und Bea täuscht sich selbst vor, eine erfolgreiche Schriftstellerin zu sein. "Ich war mal wer!", klagte eine andere Mutter. "Ich habe über Menschen und Budgets verfügt und bin dafür bezahlt worden. Und jetzt?" Sie zeigte auf das Baby vor ihrer Brust. "Jetzt sitz ich hier halb nackt im Park und es ist mir egal, ob mich jemand sieht. Und das Schlimmste ist, es guckt noch nicht mal jemand." Sie nahm das Baby von der Brust und fuhr ihm mit dem Finger über die kleine Pausbacke. "Diese Brüste haben mal für Aufregung gesorgt, versteht ihr? Da ist früher niemand dran eingeschlafen."
Melody überwacht ihre 16-jährigen Zwillingstöchter zwar mit der App "Stalkerville", aber Nora und Louisa legen ihre Handys in den Spind, wenn sie die Schule zusammen mit der Mitschülerin Simone schwänzen. Dass Nora dabei mit der schönen Afroamerikanerin Simone ein Liebesverhältnis beginnt, erfährt Melody erst sehr viel später.
"Das ist sie", sagte sie, reichte Bea ihr Handy und wischte sich durch gefühlte Hunderte von Fotos von ihrer Tochter. "Sie ist jetzt drei. An einem Mittwochmorgen hatte ich die Änderungen an meinem letzten Buch fertig, hab die Seiten meinem Verleger gemailt, bin aufgestanden, und dann ist meine Fruchtblase geplatzt."
Trotz ihres Einfallsreichtums behält Cynthia D'Aprix Sweeney in "Das Nest" die Handlungsstränge unter Kontrolle, und das, obwohl sie auch noch zeitlich vor und zurück springt. Immer wieder wechselt sie die Perspektive, besonders eindrucksvoll in einer kurzen Szene im Fährhafen einer Karibik-Insel, die wir zunächst aus Pauls, dann aus Leos und zuletzt aus Beatrices Sicht erleben. Vieles wird in Dialoge und innere Monologe aufgelöst. Man kann "Das Nest" als Satire lesen, und auf jeden Fall handelt es sich um eine unterhaltsame Lektüre mit einem Happy End. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2016 |