William Tevor: Seitensprung (Erzählungen) |
Kritik: Die unter dem Titel "Seitensprung" zusammengefassten Erzählungen handeln vorwiegend von unglücklichen oder gescheiterten Liebesbeziehungen. Die emotionale Befindlichkeit der Protagonisten schildert William Trevor einfühlsam, aber ohne Pathos. ![]() |
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William Tevor: |
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Inhalt: In einem Totenhaus – Traditionen – Justinas Priester – Ein Abend zu zweit – Graillis' Erbschaft – Einsamkeit – Heiligenfiguren – Rose weinte – Das große Geld – Auf den Straßen – Die Musik des Tanzlehrers – Seitensprung ![]() |
Originalausgabe: A Bit on the Side |
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William Tevor: Seitensprung |
Ein Abend zu zweit
Jeffrey, der sich großsprecherisch als Fotograf von Stadtlandschaften ausgibt, in Wirklichkeit aber Lebensmittel fotografiert, hat über eine Heiratsvermittlungsagentur ein Treffen mit der einundfünfzigjährigen Evelyn vereinbart, die an einer Sprachenschule arbeitete. Dass sie einander benutzt hatten, war von größerer Würde als alles, was ihrer Begegnung hätte folgen sollen. Dieses Gefühl war noch vorhanden, als sie auf zwei verschiedenen Bahnsteigen warteten und ihre Züge ankamen und wieder abfuhren. Und es klang noch nach, als sie durch die flackernde Dunkelheit getragen wurden, so intim wie gemeinsam erlebte Lust. (Seite 85) Einsamkeit
Villana ist sieben Jahre alt, als sie ihre Mutter mit einem fremden Mann bei einem Schäferstündchen erwischt und deren Kleid zerknittert auf dem Fußboden liegen sieht. Ihr Vater, ein Ägyptologe, war gerade auf einer längeren Geschäftsreise. Villana liebt ihn und wird von ihm verwöhnt.
Ich strecke den Arm aus und kann ihn berühren. Meine Fingerspitzen liegen auf dem dunklen Ärmelstoff, und darunter spüre ich seinen Arm, und dann ist plötzlich alles anders.
Zehn Jahre später: Die Eltern sind aus dem alten Haus in London ausgezogen und bereisen ganz Europa. Sie leben seither mit ihrer Tochter in Hotels. Was anfangs nur provisorisch schien, ist nun ein Dauerzustand. Das Mädchen besuchte keine reguläre Schule, aber die Eltern unterrichteten sie umfassend und lehrten sie mehrere Sprachen. An Villanas siebzehnten Geburtstag arrangieren sie ein Picknick für sie, bei dem ihr auffällt, wie sehr ihre Eltern aneinander hängen und ihr Leben zum Wohlergehen ihrer Tochter eingerichtet haben. Villana kommt es vor, als habe ihr Vater akzeptiert, was er von der Untreue seiner Frau erfuhr – und er scheint alles zu wissen. Die Mutter bereut offenbar nichts. Das alles bleibt jedoch unausgesprochen zwischen ihnen. [Ich] weiß nicht, welche Lügen mein Vater erzählte, aber für die Leute auf der Party waren sie gut genug [...]. Meine Mutter weinte und verbarg ihre Tränen. Aber dachte sie – und auch mein Vater – in jener schlaflosen Nacht irgendwann daran, ihre Tochter aufzugeben? Wäre es nicht verständlich gewesen, so zu reagieren und das Geschehene als eine böse Tat anzusehen? (Seite 127) Mr d'Arbley wird auch verstehen, wie die am Vorfall Beteiligten mit ihrer Erkenntnis umgegangen sind – so malt sie es sich jedenfalls aus, denn Mr d'Arbley ist genauso ein Phantom wie die beiden virtuellen Figuren, die sie bereits mit sieben Jahren als tröstliche Begleiter ihrer Einsamkeit halluzinierte. Seitensprung
Die Frau war neununddreißig, er Mitte vierzig, als sie ihre "Büroaffäre" begannen. Sie arbeitet inzwischen in einer Modefirma und er als Steuerberater. Morgens treffen sie sich in einem Café zum Frühstück; die Mittagspause verbringen sie ebenfalls miteinander, und abends sehen sie sich in einer Bar. Die unausgesprochenen, aber von beiden verstandenen Regeln ihrer Liebe war nicht verletzt worden im schmerzhaften Bereich dessen, was nicht zu Ende war und nie zu Ende sein würde. Nichts von ihrer Liebe war heute ausgelöscht worden: Das nahmen sie mit, als sie sich trennten und auseinander gingen, nicht ahnend, dass die Zukunft weniger düster war, als sie augenblicklich schien, und ihre zarte Behutsamkeit weiter Bestand haben und sie selbst immer so bleiben würden, wie die Liebe sie für eine Zeit gemacht hatte. (Seite 238) |
Buchbesprechung:
Die meisten der zwölf in dem Band "Seitensprung" zusammengefassten Erzählungen handeln von unglücklichen Liebespaaren, gescheiterten Beziehungen und unerfüllten Lebensentwürfen. William Trevor benötigt oft nicht mehr als zwanzig Seiten, um den Leser mit der emotionalen Befindlichkeit der Personen in angespannten Situationen vertraut zu machen. So trostlos die
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Inhaltsangabe und Rezension: © Irene Wunderlich 2008
William Trevor: Turgenjews Schatten |