„Beförderung nur mit gültigen Versen!“
Sprachwitz und scharfer Blick: Tom Schulz und Stan Lafleur
Und gültig sind diese Verse von Schulz und Lafleur allemal. Scheint, die beiden Dichter könnten eine verdammt lange Bahnfahrt vor sich haben!
Zu verdanken sind diese beiden Publikationen dem Kölner Krash-Verlag, in den 80er Jahren für Kunst und Literatur zuständig, die man gerne unter dem Begriff „Underground“ – andere sprachen von „Avantgarde“ - subsumierte und der nun mit einer neuen Edition wieder aktiv wurde. Mit „Abends im Lidl“ vom Berliner Tom Schulz und „Neue Heimat“ vom Kölner
Was beide Autoren miteinander verbindet ist, ist ein ungeheurer Sprachwitz, eine Vorliebe für Rolf Dieter Brinkmann und ein scharfer Blick auf das, was um sie herum passiert. In diesen Büchern wird deutlich, dass Lyrik nicht ein frei schwebendes Gewaber im luftleeren Raum ist, sondern aus dem alltäglichen Erleben schöpft. Diese Sprache ist sauber gearbeitet und saftig zugleich, ist Sonett und Slang, Blüte und Alditüte, eine unwiderstehliche Mischung.
Tom Schulz, 1970 in der Oberlausitz geboren, dokumentiert in seinen Versen eine Ost-Verbundenheit, die en passant die Stimmung der Menschen in den neuen Bundesländern wider gibt, eine Mischung aus Hoffnung und Enttäuschung. „Besser als Warten ist Bleiben“ sagt Schulz dazu. Hier wird das Gedicht auf eine subtile Art politisch, fast, ohne dass der Leser es merkt. Aber genau wie bei Lafleur ist auch bei ihm die thematische Palette breit gefächert und reicht vom Fußballgedicht über die Liebeserklärung bis zur Trinkfreude und der Auseinandersetzung mit anderen Autoren. Dabei wird Schulz nie rein deskriptiv. Er versteht es, die Sprache auf Bilder hin abzuscannen, die sich beim Leser tief ins Gedächtnis graben.
„Die Rehe am Autobahnrand / blinzeln und zu von den Brief- / Marken einer abgelaufenen Zeit / Mit nicht mehr zustellbaren Umarmungen / In denen wir, die Tiere in Zeitlupe / Auf die Fahrbahn rennen sahn.“ Sein Sprachduktus ist keiner des erhobenen Zeigefingers, sondern zugleich versöhnlich und unerbittlich freundlich den Finger in die Wunde haltend. Nie lag in tristen Neubaublöcken soviel Poesie. „Was bleibt, aber stiften Elf-Tankstellen.“
Auch
Die Liaison zwischen feiner Ironie und Pos-Punk-Singsang, zwischen Sprachästhetik und den Schattenseiten der Großstadtlandschaft führt zu poetischen Abbildern von Geschehnissen und Zuständen, die scheinbar keinen Weiterwert haben und die, gesellschaftlich gesehen, gerne verdrängt werden. Lafleur aber hält sie fest, dichtet von Junkies abfallbeutelblauen Träumen, von der Lebe auf den ersten Blick beim Döner-Essen oder dem Kioskbesitzer, der sich vor einem kleinen Mädchen erschießt. Eine Poesie, die hart ist, dabei aber immer sozial und realistisch. „sie fragt mich willsze ficken? / sie wird so dreizehn sein / ich bin zwar nicht ihr retter / & trotzdem sag ich nein.“
Und wer noch mehr von „wimpern aus jungem dill“ oder den Seufzern im Gras nach ausgestopften Tieren wissen möchte, wer Lyrik wieder entdecken möchte, als ein Sprachphänomen, das alle Fersehabendunterhaltung in die Tasche steckt, dem seien die beiden Bände wärmstens empfohlen.
[ Autor: Guy Helminger, Livres - Bücher, 21. Mai 2004, Luxemburg - 21.05.2004 ]