Drei Anmerkungen habe ich zu der Geschichte:
Ich brauche einen besseren Titel. Ein besseres Wort für schneegepudert und jemand der mir sagt, wo ich die Geschichte am Besten trenne.
Der Wind strich über die schneegepuderten Gräser der Ebene. Sanft legten sich die Halme in den Wind und man hörte es rascheln zu ihren Wurzeln. Mäuse, Kaninchen und andere kleine Tiere suchten fleißig nach Nahrung und kämpften so im beginnenden Winter um ihr Überleben.
Etwas, das Merril und seine Männer auch bald tun würden. Im Morgengrauen hatten sie ihre Stellungen eingenommen und nun warteten sie auf den Feind, der bald am anderen Ende des Feldes eintreffen würde. Für Hinterhalte war hier kein Platz. Eine Tatsache, die Merril aufseufzen ließ, aber ändern konnte er daran nichts. Sowohl die Truppen seines Gegners als auch seine eigenen waren sehr schnell vorgerückt, um einen für sie günstigen Punkt im Gelände zu erreichen. Dabei hatten sie sich gegenseitig die Chance darauf genommen und nun trafen sie sich auf dieser weiten freien Fläche, nur von einzelnen Bäumen unterbrochen und einem kleinen Fluss durchzogen, die in der Mitte ihrer beiden Marschrouten lag. Hier gab es keine Möglichkeit für Spielchen und überraschende Manöver. An diesem Ort konnte der Kommandant, alle Truppen sehen und allein auf sein taktisches und strategisches Geschick kam es an. Merril hoffte seines würde ausreichen den Sieg zu erringen. Er schaute hinaus, spähte nach dem Feind, mit den Händen auf den Sattelknauf gestützt. Allein, wie immer vor einer Schlacht. Einen kurzen Moment blieb er so, dann sank er in seinen Sattel, atmete tief durch und ritt durch die Reihen seiner Männer hinter die Linien zu seinem Kommandostab. Hoffentlich hatten seine Offiziere schon Pläne entwickelt, die er begutachten konnte. Es war immer besser unterschiedliche Meinungen zu hören, um Schwachpunkte zu erkennen und alles klarer zu sehen.
Die Nacht fiel herab auf die Welt und auf das „Sturmwind“, jenem Wirtshaus in dem Roland schon seit Jahrzehnten von seinen „Reisen“ berichtete. Er war zwar nie selbst aus dem kleinen Dorf fort gewesen, aber seine Berichte zeugten von einer Lebendigkeit, die sonst nur Abenteurer ihnen verleihen konnten und er übertraf sie sogar.
Der dunkle Vorhang der Nacht hatte sich jetzt über der Welt geschlossen und nur der kalte Schnee glitzerte unter den vereinzelt leuchtenden Sterne, zusammen mit dem von Eis überzogenen Sakmara.
Lichter waren vereinzelt durch die Fensterladen zu sehen, mit denen die Menschen versuchten die Dunkelheit und Kälte, der längsten Nacht des Sonnenlaufes zu vertreiben.
Im „Sturmwind„ allerdings, waren viele Menschen versammelt. Einwohner und Reisende, denn in einer solchen Nacht blieb kaum jemand gerne alleine und Roland würde während der dunklen Stunden seine längsten Geschichten erzählen, um die Schatten zu vertreiben.
Er saß ganz alleine an einem Tisch. Vor ihm nur eine einfache Talgkerze, die sein Gesicht schwach beleuchtete und ein Becher heißen, gewürzten Weines. Gerade hatte er eine seiner Erzählungen beendet, griff zu dem Gefäß und nahm einen kräftigen Schluck. Ein Holzscheit zerstob knackend im Herdfeuer. Er setzte den Becher, sich an Matthias, den Wirt, wendend, ab.
„Bring mir noch einen Becher von deinem Wein, mein Freund und dann will ich in mein Heim zurückkehren. Es ist schon spät geworden!“
Roland neigte seinen Kopf leicht zur Seite, als lauschte er einem kaum wahrnehmbaren Geräusch. Er wurde nicht in enttäuscht. Die Männer und Frauen, die ihm den ganzen Abend schon zugehört hatten, gaben ein bedauerndes Raunen von sich und Roland lächelte in seinen Bart hinein. Trotzdem wartete er noch, bis ihn jemand ansprach.
Es war eine junges Mädchen, mit großen braunen Rehaugen und zierlicher Gestalt. Ein junge Frau, der Männer hilflos ausgeliefert waren, wenn sie von ihr mit traurigen Blick angesehen wurden. Sie wusste natürlich darum und auch Roland hätte ihr nicht widerstehen können, hätte er es denn wirklich gewollt.
„Bitte Herr Roland, nur noch einen Bericht von euren gefährlichen Reisen. Seht, es ist noch immer finster draußen und ihr wollt uns junge Frauen, doch nicht da hindurch gehen lassen.“
Den Augenaufschlag, der jetzt folgte, musste sie gut geübt haben, ging es Roland durch den Kopf, denn seine Wirkung hätte er bestimmt nicht verfehlt. Er ließ die Menge noch kurz ungeduldig warten. Nicht, dass sie auf die Idee kamen, er würde seine Erzählungen bereitwillig hergeben. Sie sollten etwas besonderes bleiben. Marja, eins der Mädchen, die für die Bewirtung der Gäste zuständig war, stellt einen neuen, gefüllten Becher vor ihm ab.
„Hier, Roland, Matthias meint, wenn du noch etwas erzählst, bräuchtest du heute nicht zu zahlen.“ Sie zwinkerte ihm zu und Roland lächelte zurück, wussten sie doch beide, dass er noch nie eine Münze im „Sturmwind“ zurückgelassen hatte.
„Nun, gut. Einem solchen Angebot kann ich mich schlecht verwehren. Dann eine dunkle Geschichte zu dunkler Zeit.“ Er nahm noch einen kräftigen Schluck. „Es war vor vielen Jahren hier im “Sturmwind“, da erholte ich mich auf einer meiner Reisen in diesem Gasthaus, als ein Mann auf mich zu trat und mich um einen Gefallen bat. Ich sollte keines meiner Abenteuer erzählen, wie ihr vielleicht vermutet. Oh nein! Ganz im Gegenteil. Er wollte etwas anderes von mir.“ Roland unterbrach sich und sein Blick glitt geistesabwesend in die Ferne, bis sich Matthias räusperte. „Es war eine ähnliche Nacht wie heute, dunkel, kalt. Allerdings war sie noch schwärzer, denn Wolken verhangen den Mond und das Licht der Sterne fand keinen Weg hinab, alles war mit einem samtenen Schwarz überzogen, die meisten Menschen bevorzugten in ihren Häusern zu bleiben.
Selbst hier in diesem heimeligen Gasthaus waren nur wenige Gäste. Kein Lachen erfüllte den Raum, kein Gegröle der Betrunkenen. Ich hatte mich schon damit abgefunden, dass es ein ruhiger ereignisloser Abend werden würde, den ich genießen wollte. Da trat er auf mich zu. Ich würde gerne berichten, er wäre in dunkle Linnen gekleidet gewesen, oder eine Kapuze hätte seinen Gesicht verdeckt, doch so war es nicht.“
Roland beugte sich vor und seine Stimme wurde leiser, fast ein Hauchen.
„Nein, all das hätte man erwarten können, an einem solchen Abend und wäre passend für eine düstere Geschichte. Doch er, er trug helles Leder und einen leuchtend roten Umhang, seine Haare waren lang und von einem Blond, das ich seitdem nie wieder gesehen habe, weder an Mann noch Frau. Ein angenehmes Lächeln war auf seinen Lippen. Es gab keinen Grund sich zu fürchten und doch... schlich ein Gefühl des Unbehagens über meinen Rücken.“
Roland lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und sah in die Menge seiner Zuhörer. Das schwache Licht der Kerze erreichten ihn kaum noch, er sprach aus den Schatten. Die jungen Frauen und Männer zeigten die erwartete Reaktion. Sie rutschten unruhig auf ihren Stühlen hin und her, wussten sie doch, dass Roland nur bei besonders dunklen, schrecklichen Geschichten, diesen Effekt nutzte.
„Er kam also auf mich zu, offen, anscheinend ohne etwas zu verbergen und mit zuckersüßer Stimme sprach er dann zu mir: `Seid gegrüßt mein Herr! Ich habe gehört, ihr könntet wahrliche Epen erzählen über eure Taten.` Ich nickte, nicht sicher, wie ich reagieren sollte.
`Darf ich euch dann um einen Gefallen bitten?` Er setzte sich mir gegenüber, hier an diesem Tisch, auf dem noch heute der Abdruck seines Kruges zu sehen ist, der sich einbrannte, sobald er ihn abstellte. Schaut nachher nach, wenn ihr mir nicht glaubt.“
Matthias, der Wirt wurde hellhörig, er kannte die Geschichte noch nicht und allein das war ein Grund genau zuzuhören. Aber vor allem hatte er Roland einst gefragt, woher der Abdruck auf dem Tisch stammte, doch der hatte sich immer geweigert, diese eine Geschichte zu erzählen. Zu unbedeutend sei sie, antwortete er dann stets und widmete sich wieder seinem Essen und anderen Geschichten. Jetzt war Matthias gespannt auf die Antworten, die er für das Rätsel bekommen würde. Er hörte Roland aufmerksam zu.
„... ich möchte, dass ihr eine Geschichte verfasst, über eine der größten Schlachten, die je geschlagen wurde.`
`Sicher`, antwortete ich, `erzählt mir von ihr und ich werde sehen, was ich für euch tun kann.` Erwartungsvoll sah ich ihn an, gespannt, ob er von einer Schlacht berichten konnte, die heldenhafter war, als die, die ich erlebt hatte. Er schmunzelte `Oh, berichten werde ich nichts müssen, ihr werdet ihr selbst beiwohnen!` Der Mann hob abwehrend seine Hände. `Keine Sorge, ihr werdet euren Platz nicht verlassen und selbst zur Waffe greifen müssen. Die Schlacht die ich meine findet hier statt, in diesem Raum, zu dieser Zeit. Dort drüben auf dem Spielfeld. - Trotzdem wird viel Blut fließen`
Zuerst wollte ich beleidigt auffahren und dem Herrn eine Lehre erteilen, mich, den Helden mehrere Schlachten, als jemanden zu behandeln, der Angst haben könnte bei dem Gedanken an einen Kampf. Doch etwas in seinen Augen hielt mich zurück. Ob ihr es glaubt oder nicht, für einen kurzen Moment sah ich alle Zeitalter der Welt in ihnen, tief reichten sie hinab bis ins Dunkel des Vergessenen. Solcher Art war meine Neugier geweckt und wir gingen hinüber zu dem Tisch auf den er vorher gewiesen hatte. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, wie dort eine blutige Schlacht geschlagen werden könne, aber aus Erfahrung wusste ich, dass es immer wieder zu Überraschungen kommen kann. Unmöglich scheinende Sachen passieren häufiger, als man denkt.“ Roland nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Becher. „Mein Begleiter und ich machten also die paar Schritte. Vor uns saßen zwei Männer. Der eine trug dunkle Kleidung und eine Kapuze verbarg sein Gesicht, ein schwarzer Bart und langes schwarzes Haar waren zu sehen, seine Augen lagen tief im Schatten. Vor ihm stand ein Schachbrett, aus edlen Hölzern gearbeitet, die Figuren kunstfertig aus Elfenbein geschnitzt. Er stellte gerade den letzten weißen Bauern vor sich auf. Ihm gegenüber saß ein Mann ganz in weiß gekleidet. Blondes fast weißes Haar floss über seine Schultern, sein Kinn war bartlos. Stechende blaue Augen schauten mich aus ihren Höhlen an und gaben mir das Gefühl gemustert und gewogen zu werden. `Der soll es sein? Bist du sicher?` Mit seiner melodischen Stimme wandte er sich an meinem Begleiter. Dieser nickte einfach nur bestimmt. `Na gut, dann sei es so. Nehmt Platz und sprecht nicht. Es wäre nicht zu eurem Vorteil.` Wieder verflog mein Drang gegen eine solche Behandlung aufzubegehren. Meine Entschlossenheit, immer frei und ohne Zwang zu handeln, zerbrach an meiner Neugier und – auch wenn ich es ungern zugebe – an der Endgültigkeit der Worte, die der Weiße gesprochen hatte. Widerworte schien er nicht zu kennen. Schon seine Haltung machte klar, er würde ein Verhalten, das seinen Interessen zu wider lief, nicht dulden. Wie auch immer die aussehen mochten. Ihr müsst euch vergegenwärtigen, ich war damals noch jung und kräftig, Angst war ein Fremdwort für mich, der Tod hatte mich noch nicht berührt, aber im Beisein dieser Männer lief mir ein Schauder über den Rücken, der mich bleiben und zugleich wünschen ließ, so weit wie möglich vom „Sturmwind“ entfernt zu sein. Meine Nackenhaare hatten sich aufgestellt. Ich roch förmlich die Gefahr, die von ihnen ausging. Dennoch lehnte ich den angebotenen Platz nicht ab. Mein Auftraggeber hatte einen Stuhl für mich herangezogen und nahm dann auch selbst Platz am Tisch.
`Lasst uns dann beginnen, mein alter Rivale`, sprach der Mann in schwarz. `Da weiß beginnt werde ich den ersten Zug machen.`
Seine Hand kam zum Vorschein, an denen sich graue Lederhandschuh befanden, deren Herkunft ich aber nicht erkennen konnte. Das Leder war zu dick für ein normales Tier, außerdem viel zu faltig. Er ergriff einen weißen Bauern und zog ihn zwei Felder vor.
Der Weiße nickte und dachte nach.“
Roland unterbrach sich und griff in eine seiner Taschen. Ruhig und gelassen holte er eine Pfeife und Tabak hervor. Jede einzelne Bewegung von ihm, war laut im „Sturmwind“ zu hören, denn sie verursachten, von dem Knacken der Holzscheite abgesehen, die einzigen Geräusche. Alle Gäste hielten den Atem an und warteten auf den Fortgang der Geschichte. Selbst Matthias und seine beiden Bedienungen hatten sich gebannt hingesetzt. Sie spürten, dies war nicht eine seiner üblichen Erzählungen, an dieser war mehr. Die Worte strahlten auf eine Art Magie aus, die sie noch nicht kannten. Rolands Worte waren ernster als gewohnt. Seine Stimme trug nicht die ihr immer innewohnende Fröhlichkeit. In der Zwischenzeit hatte Roland seine Pfeife ausgeklopft und neu gestopft. Mit einem Kienspan zündete er sie an, lehnte sich zurück und paffte ein paar mal nachdenklich.
Merril starrte über das Feld direkt auf die Linien des Feindes. Mittlerweile hatten sich die Truppen des Bösen ebenso aufgestellt. Wie ein Spiegelbild seiner Schlachtreihen standen sie da. Vorne die leichte Infanterie, dahinter auf den äußeren Position, die Schwere, daneben dann auf beiden Seiten die schwere und leichte Reiterei, dann vermutete er genau wie bei seinen Truppen eine Mischung aus Magiern und Bogenschützen, direkt neben dem Kommandostab und den Eliteeinheiten. Es würde ein schwerer Kampf werden, da auch die Truppenstärken nahezu gleich waren. Es würde ganz darauf ankommen, wer die bessere Moral und Taktik besaß. Wer entschlossener war. Gerade das machte ihm Sorgen.
Denn er war in das Land Kmor eingefallen, hatte Krieg in das Land getragen, nicht sie.
Seine Männer waren satt von den vielen Siegen. Für sie war die Bedrohung, die von Kmor immer ausgegangen war, gebannt, schließlich hatten sie es verwüstet und nahezu jede Stadt geschleift. Das Land war auf Jahrhunderte hinaus augenscheinlich nicht mehr fähig Krieg zu führen. Dies hatte der Großteil seiner Männer im Kopf und es ließ sich auch nicht austreiben. Unweigerlich führten solche Gedanken aber zu Nachlässigkeit. Die Bewohner Kmors hingegen kämpften um ihr Überleben, für ihr Land – für ihre Rache. Sie würden mit einer Vehemenz zu schlagen, die jeden Nachteil in Ausrüstung und Ausbildung gegenüber Merrils Truppen ausgliche.
Merril war sich über die Notwendigkeit eines Siegs bewusst. Errangen sie ihn, konnten sie ungehindert durch das Land ziehen und sämtliche Gefahren beseitigen, damit wirklich Frieden für lange Zeit herrschen konnte. Eine Niederlage zöge einen baldigen Krieg auf eigenen Boden nach sich, der schlimmer wüten würde, als alle bisherigen, denn die Kroms hätten einen noch größeren Blutdurst als je zuvor.
Hörner erklangen. Der Wind trug einen langen, dunklen Ton über das Feld heran. Der mittlere Block Fußsoldaten löste sich aus den gegnerischen Reihen. Es begann.
Merril vertrieb jeden Gedanken an die Zukunft, nur noch eine Sache zählte:
Er musste heute den Sieg erringen.
Roland hatte sich wieder nach vorne gelehnt. Seine Pfeife nahm er aus dem Mund und legte sie vor sich ab. Er nahm einen weiteren Schluck aus seinem Becher, dann erst fuhr er fort.
„Ich saß also mit an dem Tisch, der übrigens immer noch hier steht. Ich hoffe, es macht dir nichts aus, daran zu sitzen, Cril. Denn das tust du gerade!“ Roland zwinkerte dem so angesprochenen Jüngling zu. Heftig fuhr dieser zusammen und kippte dabei beinahe von seinem Stuhl. Gelächter und ein paar für Cril wenig schmeichelhafte Kommentare waren zu hören. Doch verstummte die Fröhlichkeit bald wieder und Schweigen legte sich über das „Sturmwind“.
„Auf jeden Fall, war der Weiße am Zug. Auch er setzte einen Bauern vor, stellte seinen schwarzen Bauern direkt vor den anderen. Ohne nachzudenken setzte sein Gegner einen weiteren Bauern vor und von da an entwickelte sich ein Spiel, das völlig ohne Kommentare und Bemerkungen ausgetragen wurde. Hin und her wogte der Vorteil. Aber keiner von Beiden konnte einen zwingenden Zug machen. Ich starrte wie gebannt auf das Schachbrett, versank in der Partie, sah wie einzelne Figuren geschlagen wurden und bildete mir ein ihre Schmerzensschreie zu hören. Der metallische Geruch von Blut lag in der Luft, doch waren da nur die Schachfiguren, mehr nicht. Der Schwarze hatte mittlerweile mit seinen Weißen Figuren fast vollkommen die Bauern geschlagen, dafür aber Verluste bei seinen höheren Figuren hinnehmen müssen, beide Türme waren verloren und ein Läufer. Doch gab es keine Anzeichen für Beunruhigung seinerseits. Gelassen zog er seinen Springer vor. Sein Gegenüber überlegte. Bevor er aber zog, beugte er sich vor und atmete aus. Ich weiß es scheint unmöglich, doch als er dieses tat, legte sich ein weißer Schleier über das Brett, wie feiner Sand. Er verschwand sofort wieder, aber für einen Wimpernschlag verwandelten sich die Figuren. Statt ihrer sah ich Menschen und Kreaturen, die miteinander rangen. Sie schlugen aufeinander ein, durchbohrten sich mit ihren Schwertern und Säbeln, schenkten sich nichts, der Boden unter ihnen war blutdurchtränkt. Dann ging dieser Moment vorbei. Der Weiße ergriff seinen Läufer und schlug den Springer.“
Das Rot des Blutes war jetzt die bestimmende Farbe, hatte das reine Weiß des Schnees verdrängt. Menschen und Kroms gaben sich gegenseitig den Tod. Die Schlacht wütete nun schon seit Stunden. Immer wieder hatte Merril geglaubt, er hätte den entscheidenden Vorteil greifbar nahe. Immer wieder hatte er sich geirrt. Der Heerführer von Kmor war fähiger als er gedacht hatte. Im Moment der größten Gefahr für seine Truppen, zog er sie zurück und griff an unerwarteter Stelle an, so dass Merril in Bedrängnis geriet und seinen Plan nicht weiter verfolgen konnte. Der Boden zu seinen Füßen hatte sich mittlerweile in roten Schlamm verwandelt. Der Gestank des Todes lag in der Luft. Merril versuchte den Überblick zu behalten, aber das Gewimmel der Massen machte es schwer. Meldungen seiner Generäle kamen nur noch selten zu ihm durch. Resigniert schaute er weiter auf das Schlachtfeld und sah Kormil auf sich zukommen.
„Herr, die Kroms setzen ihre Schwere Reiterei ein, sie prescht geradewegs in die Reihen unsere Infanterie.“ In Erwartung von Anweisungen sah ihn der junge Hauptmann an. Merril seufzte ein weiteres Mal, dann ging er fieberhaft, die ihm verbleibenden Möglichkeiten durch, auf den Angriff zu antworten. Seine Schwere Reiterei war selbst in einem Rückzugsgefecht gebunden, die schwere Infanterie wäre nicht schnell genug da, also blieb ihm nur die Möglichkeit die leichte Reiterei zu schicken und zu hoffen, dass sie bestehen würde. Er gab den Angriffsbefehl.
„Der Schwarze lächelte kalt, als sein Springer von dem Läufer geschlagen wurde, er schien es zu genießen. Ganz langsam ergriff seine rechte Hand die weiße Dame und schlug mit ihr den gegnerischen Läufer. Mit einem lauten Klacken setzte sie auf dem Spielbrett auf. `Wie es aussieht werde ich vielleicht doch den Sieg erringen, was meint ihr? Eure Lage ist nicht gerade gut, würde ich sagen.` Fieberhaft huschten die Augen seines Rivalen über das Brett. Wohin er auch sah, fiel sein Blick auf eine der Figuren, bildete ich mir ein, Schreie zu hören, Blut spritzen zu sehen. Pferde verbrannten unter den entflammten Händen der Magier, Schwertkämpfer wirbelten durch die Reihen und hackten nach allem, das ihnen vor die Klinge kam, durchtrennten Muskeln und Sehnen. Das Spielbrett wurde tief rot - und doch - wenn sein Blick weiter wanderte standen da nur einfache Figuren, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ich musst erschrocken ausgeatmet haben, denn mein Auftraggeber legte eine Hand auf die meinige. Kälte floss aus ihr zu mir und erfüllte meinen Körper. `Keine Sorge mein Freund, euch kann nichts geschehen. Beobachtet einfach nur und erzählt anschließend davon.` Ich nickte und schluckte. Mein Augen glitten wieder zu dem Spiel, dabei streiften sie den Schwarzen. Ein kaltes Lächeln makellos weißer Zähne offenbarte sich mir kurz und die Partie schritt weiter fort.“
Der Boden war längst eine weiche breiige Masse, aufgeweicht von dem Blut vieler. Merril hatte mit Schrecken ansehen müssen, wie die Reserven der Kroms nach vorne gestürmt waren und seine Reiter aufgerieben hatten. Nein nicht aufgerieben, abgeschlachtet. Sie hatten keine Chance gehabt. Die Magier waren Feuer und Eis aus ihren Händen spuckend vorgestürmt, die Kämpfer mit ihren langen gezackten Schwertern hatten auf alles eingehackt, was vor ihnen stand und die Pferde waren von den Lanzenkämpfern förmlich aufgespießt worden. Der Angriff seiner Reiter war zerschellt an der Brandung kalten Stahls. Merril selbst hatte sich in das Schlachtengetümmel geworfen und stand jetzt fast schutzlos der feindlichen Streitmacht gegenüber. Er war zu weit vorgestürmt und wahrscheinlich würde er jetzt für seine Torheit bezahlen. Er bedauerte nicht, bald zu sterben, aber es zerriß ihn innerlich bei dem Versuch versagt zu haben, Ruhe und Frieden seinem Volk zu sichern.
„Herr, Herr!“ Zum zweiten Mal an diesem Tag hörte er Kormil seinen Namen rufen. Außer Atem, keuchend, doch nicht in Panik. Er fuhr herum und erblickte einen Teil seiner schweren Infanterie, angeführt von Kormil. Die schwer gepanzerten Männer strömten an ihm vorbei und prallten hart auf ihre Widersacher. Kormil erreichte Merril, in seiner rechten Hand hielt er die Zügel eines Pferdes. „Hier Herr! Bringt euch in Sicherheit, die Männer werden euch Zeit erkaufen. Geht, wir brauchen euch. Ihr müsst führen, nicht kämpfen!“ Zunächst zögerte Merril aufzusteigen, doch dann nickte er. Kormil hatte Recht. Wenn er hier starb, wäre sein und der Tod aller anderen sinnlos, ohne ihn war die Schlacht verloren, er war der Heerführer. Als einziger besaß er vermutlich die nötige Weitsicht, aber noch viel wichtiger, die Autorität, um die Männer zu führen. Er schwang sich in den Sattel und sah hinab zu Kormil.
„Und du Kormil? Was ist mit dir? Hast du selbst kein Pferd für dich?“
„Nein Herr! Ich bleibe und sorge dafür, dass ihr sicher von hier wegkommt!“
Kurz schauten sie einander in die Augen, dann riss Merril das Pferd herum und ritt davon. Zurück zu seinem Kommandostab.
„Immer verbissener wurde die Partie geführt und je länger sie dauerte, desto deutlicher hörte ich die Schmerzensschreie. Die Realität schien vor meinen Augen zu verschwimmen, jetzt waren da keine Figuren mehr. Ich sah wirklich Reiter, Krieger und Magier. Sah wie ihre verdrehten Körper auf blutgetränkter Erde lagen. Sie bedeckten mit ihren Leibern nahezu jeden Flecken Erde. Von überall her erhoben sich Schreie. Doch außer mir schien sie niemand wahrzunehmen, keiner der anderen Gäste schien etwas zu sehen oder zu hören. Sie saßen einfach da und gingen ihren Unterhaltungen nach oder was auch immer sie taten. Und über all dem hinweg - das starre Lächeln des Schwarzen, auf mich gerichtet.
Mein Unbehagen schien ihm Kraft zu verleihen. Fast konnte ich ein dünnes Band sehen mit dem er sich von mir nährte. Ich schäme mich nicht zuzugeben, dass ich bald Furcht empfand, wo ich sie doch nie zuvor gespürt hatte, obwohl ich den gefährlichsten Kreaturen gegenüber gestanden hatte. Und doch...“ Roland nahm einen tiefen Zug aus seiner Pfeife. „ wünschte ich mir nichts sehnlicher als fortzulaufen. Aber wie gelähmt starrte ich weiterhin auf das Brett und die Spieler. Ich konnte meinen Blick nicht abwenden. Es hielt mich auf meinem Stuhl. Das Spiel schritt weiter voran, bis jeder der beiden Kontrahenten nur noch seinen König und eine weitere Figur besaß. Für keinen war es mehr möglich den anderen Matt zu setzen, dass war klar zu erkennen. Der Zauber oder was auch immer auf meinen Augen gelegen haben mag, verging und ich sah wieder nur ein Schachbrett mit Figuren, nichts weiter. Pferde, Menschen, Blut, all das war nicht mehr da, als hätte es nie existiert. Die Spieler sahen sich an und erhoben sich, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Der Schwarze lächelte amüsiert, der Weiße hingegen sah zerknirscht aus. Mit abgehackten Bewegungen, augenscheinlich voller Wut stellte er seinen Stuhl an seinen Platz und verließ das „Sturmwind“. Der Dunkle sah ihm nach. Schulter zuckend, wandte er sich kurz an mich. Ein Frösteln lief über meinen Rücken.
`Er hat es noch nie vertragen, nicht gewinnen zu können und wird es wohl nie lernen. Egal wie häufig wir noch spielen werden.` Dann verließ auch er diesen Ort.“
Merril stand blutüberströmt auf dem Schlachtfeld, vor Stunden schon hatte er sein Pferd verloren. Jeder Muskel ächzte in ihm, schrie auf. Sein Schwert ließ er nur deswegen nicht fallen, da sich seine Hand darum verkrampft hatte. Reiner Wille hielt ihn noch aufrecht, ebenso die wenigen seiner Männer, die noch um ihn standen. Sein Blick glitt über die vielen Toten. Er hatte versagt. Die Schlacht war nicht gewonnen und das Land Kmor würde sich eher früher als später wieder erheben, um über die Reiche der Menschen herzufallen. Immerhin lebte er noch und solange er das tat, würde er versuchen, die Menschen mit allen Mitteln zu schützen. Auf der anderen Seite des Feldes sah er den Heerführer von Kmor. Auch er umgeben von wenigen Männern, die ebenfalls zu schwach zum weiterkämpfen waren und zu wenige, um sie zu verfolgen. Er war ein ebenbürtiger Gegner gewesen, dass musste Merril anerkennen. Er hob sein Schwert mit letzter Kraft zum Gruß, der erwidert wurde. Dann drehte er sich um und ging fort. Seine Stiefel sanken bis zum Knöchel in roten Schlamm und Matsch ein. Er kam an den jungem Kormil vorbei, der von einer Axt entzwei gehackt worden war. Kurz blieb er stehen, betrachtete ihn und ging dann weiter. Nur einer von vielen, die ihm umsonst in den Tod gefolgt waren.
„Mein Begleiter saß noch neben mir. `Er hat Recht. Er war noch nie gut darin, nicht zu siegen und er wird es wohl nicht werden. Vielleicht gewinnt er ja mal. Entschuldigt, ich muss jetzt gehen. Hier, das ist für euch.` Er stand auf und warf mir eine Silbermünze zu. `Euer Lohn dafür, dass ihr die Geschichte dieser Schlacht erzählen mögt. Tut es und sie wird für immer euch gehören.` Verwundert starrte ich in meine Hand. Die Münze war alt, sehr alt. Auf ihr fanden sich Schriftzeichen, die kein Lebender je gesehen hat. Grob war sie geprägt und doch wunderschön. Ich fand meine Sprache glücklicherweise noch rechtzeitig wieder, um ihn etwas zu fragen. `Gab es jemals einen Sieger bei ihrem Spiel? Wird es je einen geben?`
`Aber es gibt doch einen Gewinner. Mich. Ich gewinne immer. Ich ernte, was andere für mich säen.` Mit diesen Worten verließ auch er das „Sturmwind“. Lange sah ich ihm nach, die Münze in meiner Hand.“
Roland wirkte abwesend, im Schankraum war es still. „Aber,“ Er richtete sich wieder auf, „ ihr wollt sicher die Münze sehen, nicht wahr?“
Eifrig nickten ein paar seiner Zuhörer.
„Da werde ich euch leider enttäuschen müssen. Ich berichtete nie von dem Abend, bis heute.
Die Münze zerfiel sehr schnell zu Staub. Als das geschehen war, gab ich sie ins Herdfeuer, deswegen wirken die Steine von Zeit zu Zeit silbern. Seht hin und überzeugt euch.“
Hälse wurden gereckt, um einen Blick auf das Feuer zu erhaschen. Doch meist vergebens.
Roland stand auf und warf sich seinen Mantel über.
„Ich werde dann gehen, habe zu viel geredet heute Abend und bin müde. Schlaft wohl!“ Er beugte sich vor und blies die Talgkerze auf seinem Tisch aus. Dunkelheit fiel auf den Teil des „Sturmwindes“ hinab, den sie erleuchtet hatte. Durch die stummen Gesichter seiner Zuhörer fand er seinen Weg hinaus.
Draußen, vor der Tür, blieb Roland stehen und griff in seine Tasche. Ein Silbertaler befand sich darin. Alt und abgegriffen, in einer unbekannten Währung, auf ihr abgebildet der Sensenmann. Nachdenklich betrachtete er sie. Manchmal war es besser nicht alles klar auszusprechen.
Danke dem Weltenwanderer für die Inspiration durch seine "Spielsteine".
Ich brauche einen besseren Titel. Ein besseres Wort für schneegepudert und jemand der mir sagt, wo ich die Geschichte am Besten trenne.
Der Wind strich über die schneegepuderten Gräser der Ebene. Sanft legten sich die Halme in den Wind und man hörte es rascheln zu ihren Wurzeln. Mäuse, Kaninchen und andere kleine Tiere suchten fleißig nach Nahrung und kämpften so im beginnenden Winter um ihr Überleben.
Etwas, das Merril und seine Männer auch bald tun würden. Im Morgengrauen hatten sie ihre Stellungen eingenommen und nun warteten sie auf den Feind, der bald am anderen Ende des Feldes eintreffen würde. Für Hinterhalte war hier kein Platz. Eine Tatsache, die Merril aufseufzen ließ, aber ändern konnte er daran nichts. Sowohl die Truppen seines Gegners als auch seine eigenen waren sehr schnell vorgerückt, um einen für sie günstigen Punkt im Gelände zu erreichen. Dabei hatten sie sich gegenseitig die Chance darauf genommen und nun trafen sie sich auf dieser weiten freien Fläche, nur von einzelnen Bäumen unterbrochen und einem kleinen Fluss durchzogen, die in der Mitte ihrer beiden Marschrouten lag. Hier gab es keine Möglichkeit für Spielchen und überraschende Manöver. An diesem Ort konnte der Kommandant, alle Truppen sehen und allein auf sein taktisches und strategisches Geschick kam es an. Merril hoffte seines würde ausreichen den Sieg zu erringen. Er schaute hinaus, spähte nach dem Feind, mit den Händen auf den Sattelknauf gestützt. Allein, wie immer vor einer Schlacht. Einen kurzen Moment blieb er so, dann sank er in seinen Sattel, atmete tief durch und ritt durch die Reihen seiner Männer hinter die Linien zu seinem Kommandostab. Hoffentlich hatten seine Offiziere schon Pläne entwickelt, die er begutachten konnte. Es war immer besser unterschiedliche Meinungen zu hören, um Schwachpunkte zu erkennen und alles klarer zu sehen.
Die Nacht fiel herab auf die Welt und auf das „Sturmwind“, jenem Wirtshaus in dem Roland schon seit Jahrzehnten von seinen „Reisen“ berichtete. Er war zwar nie selbst aus dem kleinen Dorf fort gewesen, aber seine Berichte zeugten von einer Lebendigkeit, die sonst nur Abenteurer ihnen verleihen konnten und er übertraf sie sogar.
Der dunkle Vorhang der Nacht hatte sich jetzt über der Welt geschlossen und nur der kalte Schnee glitzerte unter den vereinzelt leuchtenden Sterne, zusammen mit dem von Eis überzogenen Sakmara.
Lichter waren vereinzelt durch die Fensterladen zu sehen, mit denen die Menschen versuchten die Dunkelheit und Kälte, der längsten Nacht des Sonnenlaufes zu vertreiben.
Im „Sturmwind„ allerdings, waren viele Menschen versammelt. Einwohner und Reisende, denn in einer solchen Nacht blieb kaum jemand gerne alleine und Roland würde während der dunklen Stunden seine längsten Geschichten erzählen, um die Schatten zu vertreiben.
Er saß ganz alleine an einem Tisch. Vor ihm nur eine einfache Talgkerze, die sein Gesicht schwach beleuchtete und ein Becher heißen, gewürzten Weines. Gerade hatte er eine seiner Erzählungen beendet, griff zu dem Gefäß und nahm einen kräftigen Schluck. Ein Holzscheit zerstob knackend im Herdfeuer. Er setzte den Becher, sich an Matthias, den Wirt, wendend, ab.
„Bring mir noch einen Becher von deinem Wein, mein Freund und dann will ich in mein Heim zurückkehren. Es ist schon spät geworden!“
Roland neigte seinen Kopf leicht zur Seite, als lauschte er einem kaum wahrnehmbaren Geräusch. Er wurde nicht in enttäuscht. Die Männer und Frauen, die ihm den ganzen Abend schon zugehört hatten, gaben ein bedauerndes Raunen von sich und Roland lächelte in seinen Bart hinein. Trotzdem wartete er noch, bis ihn jemand ansprach.
Es war eine junges Mädchen, mit großen braunen Rehaugen und zierlicher Gestalt. Ein junge Frau, der Männer hilflos ausgeliefert waren, wenn sie von ihr mit traurigen Blick angesehen wurden. Sie wusste natürlich darum und auch Roland hätte ihr nicht widerstehen können, hätte er es denn wirklich gewollt.
„Bitte Herr Roland, nur noch einen Bericht von euren gefährlichen Reisen. Seht, es ist noch immer finster draußen und ihr wollt uns junge Frauen, doch nicht da hindurch gehen lassen.“
Den Augenaufschlag, der jetzt folgte, musste sie gut geübt haben, ging es Roland durch den Kopf, denn seine Wirkung hätte er bestimmt nicht verfehlt. Er ließ die Menge noch kurz ungeduldig warten. Nicht, dass sie auf die Idee kamen, er würde seine Erzählungen bereitwillig hergeben. Sie sollten etwas besonderes bleiben. Marja, eins der Mädchen, die für die Bewirtung der Gäste zuständig war, stellt einen neuen, gefüllten Becher vor ihm ab.
„Hier, Roland, Matthias meint, wenn du noch etwas erzählst, bräuchtest du heute nicht zu zahlen.“ Sie zwinkerte ihm zu und Roland lächelte zurück, wussten sie doch beide, dass er noch nie eine Münze im „Sturmwind“ zurückgelassen hatte.
„Nun, gut. Einem solchen Angebot kann ich mich schlecht verwehren. Dann eine dunkle Geschichte zu dunkler Zeit.“ Er nahm noch einen kräftigen Schluck. „Es war vor vielen Jahren hier im “Sturmwind“, da erholte ich mich auf einer meiner Reisen in diesem Gasthaus, als ein Mann auf mich zu trat und mich um einen Gefallen bat. Ich sollte keines meiner Abenteuer erzählen, wie ihr vielleicht vermutet. Oh nein! Ganz im Gegenteil. Er wollte etwas anderes von mir.“ Roland unterbrach sich und sein Blick glitt geistesabwesend in die Ferne, bis sich Matthias räusperte. „Es war eine ähnliche Nacht wie heute, dunkel, kalt. Allerdings war sie noch schwärzer, denn Wolken verhangen den Mond und das Licht der Sterne fand keinen Weg hinab, alles war mit einem samtenen Schwarz überzogen, die meisten Menschen bevorzugten in ihren Häusern zu bleiben.
Selbst hier in diesem heimeligen Gasthaus waren nur wenige Gäste. Kein Lachen erfüllte den Raum, kein Gegröle der Betrunkenen. Ich hatte mich schon damit abgefunden, dass es ein ruhiger ereignisloser Abend werden würde, den ich genießen wollte. Da trat er auf mich zu. Ich würde gerne berichten, er wäre in dunkle Linnen gekleidet gewesen, oder eine Kapuze hätte seinen Gesicht verdeckt, doch so war es nicht.“
Roland beugte sich vor und seine Stimme wurde leiser, fast ein Hauchen.
„Nein, all das hätte man erwarten können, an einem solchen Abend und wäre passend für eine düstere Geschichte. Doch er, er trug helles Leder und einen leuchtend roten Umhang, seine Haare waren lang und von einem Blond, das ich seitdem nie wieder gesehen habe, weder an Mann noch Frau. Ein angenehmes Lächeln war auf seinen Lippen. Es gab keinen Grund sich zu fürchten und doch... schlich ein Gefühl des Unbehagens über meinen Rücken.“
Roland lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und sah in die Menge seiner Zuhörer. Das schwache Licht der Kerze erreichten ihn kaum noch, er sprach aus den Schatten. Die jungen Frauen und Männer zeigten die erwartete Reaktion. Sie rutschten unruhig auf ihren Stühlen hin und her, wussten sie doch, dass Roland nur bei besonders dunklen, schrecklichen Geschichten, diesen Effekt nutzte.
„Er kam also auf mich zu, offen, anscheinend ohne etwas zu verbergen und mit zuckersüßer Stimme sprach er dann zu mir: `Seid gegrüßt mein Herr! Ich habe gehört, ihr könntet wahrliche Epen erzählen über eure Taten.` Ich nickte, nicht sicher, wie ich reagieren sollte.
`Darf ich euch dann um einen Gefallen bitten?` Er setzte sich mir gegenüber, hier an diesem Tisch, auf dem noch heute der Abdruck seines Kruges zu sehen ist, der sich einbrannte, sobald er ihn abstellte. Schaut nachher nach, wenn ihr mir nicht glaubt.“
Matthias, der Wirt wurde hellhörig, er kannte die Geschichte noch nicht und allein das war ein Grund genau zuzuhören. Aber vor allem hatte er Roland einst gefragt, woher der Abdruck auf dem Tisch stammte, doch der hatte sich immer geweigert, diese eine Geschichte zu erzählen. Zu unbedeutend sei sie, antwortete er dann stets und widmete sich wieder seinem Essen und anderen Geschichten. Jetzt war Matthias gespannt auf die Antworten, die er für das Rätsel bekommen würde. Er hörte Roland aufmerksam zu.
„... ich möchte, dass ihr eine Geschichte verfasst, über eine der größten Schlachten, die je geschlagen wurde.`
`Sicher`, antwortete ich, `erzählt mir von ihr und ich werde sehen, was ich für euch tun kann.` Erwartungsvoll sah ich ihn an, gespannt, ob er von einer Schlacht berichten konnte, die heldenhafter war, als die, die ich erlebt hatte. Er schmunzelte `Oh, berichten werde ich nichts müssen, ihr werdet ihr selbst beiwohnen!` Der Mann hob abwehrend seine Hände. `Keine Sorge, ihr werdet euren Platz nicht verlassen und selbst zur Waffe greifen müssen. Die Schlacht die ich meine findet hier statt, in diesem Raum, zu dieser Zeit. Dort drüben auf dem Spielfeld. - Trotzdem wird viel Blut fließen`
Zuerst wollte ich beleidigt auffahren und dem Herrn eine Lehre erteilen, mich, den Helden mehrere Schlachten, als jemanden zu behandeln, der Angst haben könnte bei dem Gedanken an einen Kampf. Doch etwas in seinen Augen hielt mich zurück. Ob ihr es glaubt oder nicht, für einen kurzen Moment sah ich alle Zeitalter der Welt in ihnen, tief reichten sie hinab bis ins Dunkel des Vergessenen. Solcher Art war meine Neugier geweckt und wir gingen hinüber zu dem Tisch auf den er vorher gewiesen hatte. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, wie dort eine blutige Schlacht geschlagen werden könne, aber aus Erfahrung wusste ich, dass es immer wieder zu Überraschungen kommen kann. Unmöglich scheinende Sachen passieren häufiger, als man denkt.“ Roland nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Becher. „Mein Begleiter und ich machten also die paar Schritte. Vor uns saßen zwei Männer. Der eine trug dunkle Kleidung und eine Kapuze verbarg sein Gesicht, ein schwarzer Bart und langes schwarzes Haar waren zu sehen, seine Augen lagen tief im Schatten. Vor ihm stand ein Schachbrett, aus edlen Hölzern gearbeitet, die Figuren kunstfertig aus Elfenbein geschnitzt. Er stellte gerade den letzten weißen Bauern vor sich auf. Ihm gegenüber saß ein Mann ganz in weiß gekleidet. Blondes fast weißes Haar floss über seine Schultern, sein Kinn war bartlos. Stechende blaue Augen schauten mich aus ihren Höhlen an und gaben mir das Gefühl gemustert und gewogen zu werden. `Der soll es sein? Bist du sicher?` Mit seiner melodischen Stimme wandte er sich an meinem Begleiter. Dieser nickte einfach nur bestimmt. `Na gut, dann sei es so. Nehmt Platz und sprecht nicht. Es wäre nicht zu eurem Vorteil.` Wieder verflog mein Drang gegen eine solche Behandlung aufzubegehren. Meine Entschlossenheit, immer frei und ohne Zwang zu handeln, zerbrach an meiner Neugier und – auch wenn ich es ungern zugebe – an der Endgültigkeit der Worte, die der Weiße gesprochen hatte. Widerworte schien er nicht zu kennen. Schon seine Haltung machte klar, er würde ein Verhalten, das seinen Interessen zu wider lief, nicht dulden. Wie auch immer die aussehen mochten. Ihr müsst euch vergegenwärtigen, ich war damals noch jung und kräftig, Angst war ein Fremdwort für mich, der Tod hatte mich noch nicht berührt, aber im Beisein dieser Männer lief mir ein Schauder über den Rücken, der mich bleiben und zugleich wünschen ließ, so weit wie möglich vom „Sturmwind“ entfernt zu sein. Meine Nackenhaare hatten sich aufgestellt. Ich roch förmlich die Gefahr, die von ihnen ausging. Dennoch lehnte ich den angebotenen Platz nicht ab. Mein Auftraggeber hatte einen Stuhl für mich herangezogen und nahm dann auch selbst Platz am Tisch.
`Lasst uns dann beginnen, mein alter Rivale`, sprach der Mann in schwarz. `Da weiß beginnt werde ich den ersten Zug machen.`
Seine Hand kam zum Vorschein, an denen sich graue Lederhandschuh befanden, deren Herkunft ich aber nicht erkennen konnte. Das Leder war zu dick für ein normales Tier, außerdem viel zu faltig. Er ergriff einen weißen Bauern und zog ihn zwei Felder vor.
Der Weiße nickte und dachte nach.“
Roland unterbrach sich und griff in eine seiner Taschen. Ruhig und gelassen holte er eine Pfeife und Tabak hervor. Jede einzelne Bewegung von ihm, war laut im „Sturmwind“ zu hören, denn sie verursachten, von dem Knacken der Holzscheite abgesehen, die einzigen Geräusche. Alle Gäste hielten den Atem an und warteten auf den Fortgang der Geschichte. Selbst Matthias und seine beiden Bedienungen hatten sich gebannt hingesetzt. Sie spürten, dies war nicht eine seiner üblichen Erzählungen, an dieser war mehr. Die Worte strahlten auf eine Art Magie aus, die sie noch nicht kannten. Rolands Worte waren ernster als gewohnt. Seine Stimme trug nicht die ihr immer innewohnende Fröhlichkeit. In der Zwischenzeit hatte Roland seine Pfeife ausgeklopft und neu gestopft. Mit einem Kienspan zündete er sie an, lehnte sich zurück und paffte ein paar mal nachdenklich.
Merril starrte über das Feld direkt auf die Linien des Feindes. Mittlerweile hatten sich die Truppen des Bösen ebenso aufgestellt. Wie ein Spiegelbild seiner Schlachtreihen standen sie da. Vorne die leichte Infanterie, dahinter auf den äußeren Position, die Schwere, daneben dann auf beiden Seiten die schwere und leichte Reiterei, dann vermutete er genau wie bei seinen Truppen eine Mischung aus Magiern und Bogenschützen, direkt neben dem Kommandostab und den Eliteeinheiten. Es würde ein schwerer Kampf werden, da auch die Truppenstärken nahezu gleich waren. Es würde ganz darauf ankommen, wer die bessere Moral und Taktik besaß. Wer entschlossener war. Gerade das machte ihm Sorgen.
Denn er war in das Land Kmor eingefallen, hatte Krieg in das Land getragen, nicht sie.
Seine Männer waren satt von den vielen Siegen. Für sie war die Bedrohung, die von Kmor immer ausgegangen war, gebannt, schließlich hatten sie es verwüstet und nahezu jede Stadt geschleift. Das Land war auf Jahrhunderte hinaus augenscheinlich nicht mehr fähig Krieg zu führen. Dies hatte der Großteil seiner Männer im Kopf und es ließ sich auch nicht austreiben. Unweigerlich führten solche Gedanken aber zu Nachlässigkeit. Die Bewohner Kmors hingegen kämpften um ihr Überleben, für ihr Land – für ihre Rache. Sie würden mit einer Vehemenz zu schlagen, die jeden Nachteil in Ausrüstung und Ausbildung gegenüber Merrils Truppen ausgliche.
Merril war sich über die Notwendigkeit eines Siegs bewusst. Errangen sie ihn, konnten sie ungehindert durch das Land ziehen und sämtliche Gefahren beseitigen, damit wirklich Frieden für lange Zeit herrschen konnte. Eine Niederlage zöge einen baldigen Krieg auf eigenen Boden nach sich, der schlimmer wüten würde, als alle bisherigen, denn die Kroms hätten einen noch größeren Blutdurst als je zuvor.
Hörner erklangen. Der Wind trug einen langen, dunklen Ton über das Feld heran. Der mittlere Block Fußsoldaten löste sich aus den gegnerischen Reihen. Es begann.
Merril vertrieb jeden Gedanken an die Zukunft, nur noch eine Sache zählte:
Er musste heute den Sieg erringen.
Roland hatte sich wieder nach vorne gelehnt. Seine Pfeife nahm er aus dem Mund und legte sie vor sich ab. Er nahm einen weiteren Schluck aus seinem Becher, dann erst fuhr er fort.
„Ich saß also mit an dem Tisch, der übrigens immer noch hier steht. Ich hoffe, es macht dir nichts aus, daran zu sitzen, Cril. Denn das tust du gerade!“ Roland zwinkerte dem so angesprochenen Jüngling zu. Heftig fuhr dieser zusammen und kippte dabei beinahe von seinem Stuhl. Gelächter und ein paar für Cril wenig schmeichelhafte Kommentare waren zu hören. Doch verstummte die Fröhlichkeit bald wieder und Schweigen legte sich über das „Sturmwind“.
„Auf jeden Fall, war der Weiße am Zug. Auch er setzte einen Bauern vor, stellte seinen schwarzen Bauern direkt vor den anderen. Ohne nachzudenken setzte sein Gegner einen weiteren Bauern vor und von da an entwickelte sich ein Spiel, das völlig ohne Kommentare und Bemerkungen ausgetragen wurde. Hin und her wogte der Vorteil. Aber keiner von Beiden konnte einen zwingenden Zug machen. Ich starrte wie gebannt auf das Schachbrett, versank in der Partie, sah wie einzelne Figuren geschlagen wurden und bildete mir ein ihre Schmerzensschreie zu hören. Der metallische Geruch von Blut lag in der Luft, doch waren da nur die Schachfiguren, mehr nicht. Der Schwarze hatte mittlerweile mit seinen Weißen Figuren fast vollkommen die Bauern geschlagen, dafür aber Verluste bei seinen höheren Figuren hinnehmen müssen, beide Türme waren verloren und ein Läufer. Doch gab es keine Anzeichen für Beunruhigung seinerseits. Gelassen zog er seinen Springer vor. Sein Gegenüber überlegte. Bevor er aber zog, beugte er sich vor und atmete aus. Ich weiß es scheint unmöglich, doch als er dieses tat, legte sich ein weißer Schleier über das Brett, wie feiner Sand. Er verschwand sofort wieder, aber für einen Wimpernschlag verwandelten sich die Figuren. Statt ihrer sah ich Menschen und Kreaturen, die miteinander rangen. Sie schlugen aufeinander ein, durchbohrten sich mit ihren Schwertern und Säbeln, schenkten sich nichts, der Boden unter ihnen war blutdurchtränkt. Dann ging dieser Moment vorbei. Der Weiße ergriff seinen Läufer und schlug den Springer.“
Das Rot des Blutes war jetzt die bestimmende Farbe, hatte das reine Weiß des Schnees verdrängt. Menschen und Kroms gaben sich gegenseitig den Tod. Die Schlacht wütete nun schon seit Stunden. Immer wieder hatte Merril geglaubt, er hätte den entscheidenden Vorteil greifbar nahe. Immer wieder hatte er sich geirrt. Der Heerführer von Kmor war fähiger als er gedacht hatte. Im Moment der größten Gefahr für seine Truppen, zog er sie zurück und griff an unerwarteter Stelle an, so dass Merril in Bedrängnis geriet und seinen Plan nicht weiter verfolgen konnte. Der Boden zu seinen Füßen hatte sich mittlerweile in roten Schlamm verwandelt. Der Gestank des Todes lag in der Luft. Merril versuchte den Überblick zu behalten, aber das Gewimmel der Massen machte es schwer. Meldungen seiner Generäle kamen nur noch selten zu ihm durch. Resigniert schaute er weiter auf das Schlachtfeld und sah Kormil auf sich zukommen.
„Herr, die Kroms setzen ihre Schwere Reiterei ein, sie prescht geradewegs in die Reihen unsere Infanterie.“ In Erwartung von Anweisungen sah ihn der junge Hauptmann an. Merril seufzte ein weiteres Mal, dann ging er fieberhaft, die ihm verbleibenden Möglichkeiten durch, auf den Angriff zu antworten. Seine Schwere Reiterei war selbst in einem Rückzugsgefecht gebunden, die schwere Infanterie wäre nicht schnell genug da, also blieb ihm nur die Möglichkeit die leichte Reiterei zu schicken und zu hoffen, dass sie bestehen würde. Er gab den Angriffsbefehl.
„Der Schwarze lächelte kalt, als sein Springer von dem Läufer geschlagen wurde, er schien es zu genießen. Ganz langsam ergriff seine rechte Hand die weiße Dame und schlug mit ihr den gegnerischen Läufer. Mit einem lauten Klacken setzte sie auf dem Spielbrett auf. `Wie es aussieht werde ich vielleicht doch den Sieg erringen, was meint ihr? Eure Lage ist nicht gerade gut, würde ich sagen.` Fieberhaft huschten die Augen seines Rivalen über das Brett. Wohin er auch sah, fiel sein Blick auf eine der Figuren, bildete ich mir ein, Schreie zu hören, Blut spritzen zu sehen. Pferde verbrannten unter den entflammten Händen der Magier, Schwertkämpfer wirbelten durch die Reihen und hackten nach allem, das ihnen vor die Klinge kam, durchtrennten Muskeln und Sehnen. Das Spielbrett wurde tief rot - und doch - wenn sein Blick weiter wanderte standen da nur einfache Figuren, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ich musst erschrocken ausgeatmet haben, denn mein Auftraggeber legte eine Hand auf die meinige. Kälte floss aus ihr zu mir und erfüllte meinen Körper. `Keine Sorge mein Freund, euch kann nichts geschehen. Beobachtet einfach nur und erzählt anschließend davon.` Ich nickte und schluckte. Mein Augen glitten wieder zu dem Spiel, dabei streiften sie den Schwarzen. Ein kaltes Lächeln makellos weißer Zähne offenbarte sich mir kurz und die Partie schritt weiter fort.“
Der Boden war längst eine weiche breiige Masse, aufgeweicht von dem Blut vieler. Merril hatte mit Schrecken ansehen müssen, wie die Reserven der Kroms nach vorne gestürmt waren und seine Reiter aufgerieben hatten. Nein nicht aufgerieben, abgeschlachtet. Sie hatten keine Chance gehabt. Die Magier waren Feuer und Eis aus ihren Händen spuckend vorgestürmt, die Kämpfer mit ihren langen gezackten Schwertern hatten auf alles eingehackt, was vor ihnen stand und die Pferde waren von den Lanzenkämpfern förmlich aufgespießt worden. Der Angriff seiner Reiter war zerschellt an der Brandung kalten Stahls. Merril selbst hatte sich in das Schlachtengetümmel geworfen und stand jetzt fast schutzlos der feindlichen Streitmacht gegenüber. Er war zu weit vorgestürmt und wahrscheinlich würde er jetzt für seine Torheit bezahlen. Er bedauerte nicht, bald zu sterben, aber es zerriß ihn innerlich bei dem Versuch versagt zu haben, Ruhe und Frieden seinem Volk zu sichern.
„Herr, Herr!“ Zum zweiten Mal an diesem Tag hörte er Kormil seinen Namen rufen. Außer Atem, keuchend, doch nicht in Panik. Er fuhr herum und erblickte einen Teil seiner schweren Infanterie, angeführt von Kormil. Die schwer gepanzerten Männer strömten an ihm vorbei und prallten hart auf ihre Widersacher. Kormil erreichte Merril, in seiner rechten Hand hielt er die Zügel eines Pferdes. „Hier Herr! Bringt euch in Sicherheit, die Männer werden euch Zeit erkaufen. Geht, wir brauchen euch. Ihr müsst führen, nicht kämpfen!“ Zunächst zögerte Merril aufzusteigen, doch dann nickte er. Kormil hatte Recht. Wenn er hier starb, wäre sein und der Tod aller anderen sinnlos, ohne ihn war die Schlacht verloren, er war der Heerführer. Als einziger besaß er vermutlich die nötige Weitsicht, aber noch viel wichtiger, die Autorität, um die Männer zu führen. Er schwang sich in den Sattel und sah hinab zu Kormil.
„Und du Kormil? Was ist mit dir? Hast du selbst kein Pferd für dich?“
„Nein Herr! Ich bleibe und sorge dafür, dass ihr sicher von hier wegkommt!“
Kurz schauten sie einander in die Augen, dann riss Merril das Pferd herum und ritt davon. Zurück zu seinem Kommandostab.
„Immer verbissener wurde die Partie geführt und je länger sie dauerte, desto deutlicher hörte ich die Schmerzensschreie. Die Realität schien vor meinen Augen zu verschwimmen, jetzt waren da keine Figuren mehr. Ich sah wirklich Reiter, Krieger und Magier. Sah wie ihre verdrehten Körper auf blutgetränkter Erde lagen. Sie bedeckten mit ihren Leibern nahezu jeden Flecken Erde. Von überall her erhoben sich Schreie. Doch außer mir schien sie niemand wahrzunehmen, keiner der anderen Gäste schien etwas zu sehen oder zu hören. Sie saßen einfach da und gingen ihren Unterhaltungen nach oder was auch immer sie taten. Und über all dem hinweg - das starre Lächeln des Schwarzen, auf mich gerichtet.
Mein Unbehagen schien ihm Kraft zu verleihen. Fast konnte ich ein dünnes Band sehen mit dem er sich von mir nährte. Ich schäme mich nicht zuzugeben, dass ich bald Furcht empfand, wo ich sie doch nie zuvor gespürt hatte, obwohl ich den gefährlichsten Kreaturen gegenüber gestanden hatte. Und doch...“ Roland nahm einen tiefen Zug aus seiner Pfeife. „ wünschte ich mir nichts sehnlicher als fortzulaufen. Aber wie gelähmt starrte ich weiterhin auf das Brett und die Spieler. Ich konnte meinen Blick nicht abwenden. Es hielt mich auf meinem Stuhl. Das Spiel schritt weiter voran, bis jeder der beiden Kontrahenten nur noch seinen König und eine weitere Figur besaß. Für keinen war es mehr möglich den anderen Matt zu setzen, dass war klar zu erkennen. Der Zauber oder was auch immer auf meinen Augen gelegen haben mag, verging und ich sah wieder nur ein Schachbrett mit Figuren, nichts weiter. Pferde, Menschen, Blut, all das war nicht mehr da, als hätte es nie existiert. Die Spieler sahen sich an und erhoben sich, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Der Schwarze lächelte amüsiert, der Weiße hingegen sah zerknirscht aus. Mit abgehackten Bewegungen, augenscheinlich voller Wut stellte er seinen Stuhl an seinen Platz und verließ das „Sturmwind“. Der Dunkle sah ihm nach. Schulter zuckend, wandte er sich kurz an mich. Ein Frösteln lief über meinen Rücken.
`Er hat es noch nie vertragen, nicht gewinnen zu können und wird es wohl nie lernen. Egal wie häufig wir noch spielen werden.` Dann verließ auch er diesen Ort.“
Merril stand blutüberströmt auf dem Schlachtfeld, vor Stunden schon hatte er sein Pferd verloren. Jeder Muskel ächzte in ihm, schrie auf. Sein Schwert ließ er nur deswegen nicht fallen, da sich seine Hand darum verkrampft hatte. Reiner Wille hielt ihn noch aufrecht, ebenso die wenigen seiner Männer, die noch um ihn standen. Sein Blick glitt über die vielen Toten. Er hatte versagt. Die Schlacht war nicht gewonnen und das Land Kmor würde sich eher früher als später wieder erheben, um über die Reiche der Menschen herzufallen. Immerhin lebte er noch und solange er das tat, würde er versuchen, die Menschen mit allen Mitteln zu schützen. Auf der anderen Seite des Feldes sah er den Heerführer von Kmor. Auch er umgeben von wenigen Männern, die ebenfalls zu schwach zum weiterkämpfen waren und zu wenige, um sie zu verfolgen. Er war ein ebenbürtiger Gegner gewesen, dass musste Merril anerkennen. Er hob sein Schwert mit letzter Kraft zum Gruß, der erwidert wurde. Dann drehte er sich um und ging fort. Seine Stiefel sanken bis zum Knöchel in roten Schlamm und Matsch ein. Er kam an den jungem Kormil vorbei, der von einer Axt entzwei gehackt worden war. Kurz blieb er stehen, betrachtete ihn und ging dann weiter. Nur einer von vielen, die ihm umsonst in den Tod gefolgt waren.
„Mein Begleiter saß noch neben mir. `Er hat Recht. Er war noch nie gut darin, nicht zu siegen und er wird es wohl nicht werden. Vielleicht gewinnt er ja mal. Entschuldigt, ich muss jetzt gehen. Hier, das ist für euch.` Er stand auf und warf mir eine Silbermünze zu. `Euer Lohn dafür, dass ihr die Geschichte dieser Schlacht erzählen mögt. Tut es und sie wird für immer euch gehören.` Verwundert starrte ich in meine Hand. Die Münze war alt, sehr alt. Auf ihr fanden sich Schriftzeichen, die kein Lebender je gesehen hat. Grob war sie geprägt und doch wunderschön. Ich fand meine Sprache glücklicherweise noch rechtzeitig wieder, um ihn etwas zu fragen. `Gab es jemals einen Sieger bei ihrem Spiel? Wird es je einen geben?`
`Aber es gibt doch einen Gewinner. Mich. Ich gewinne immer. Ich ernte, was andere für mich säen.` Mit diesen Worten verließ auch er das „Sturmwind“. Lange sah ich ihm nach, die Münze in meiner Hand.“
Roland wirkte abwesend, im Schankraum war es still. „Aber,“ Er richtete sich wieder auf, „ ihr wollt sicher die Münze sehen, nicht wahr?“
Eifrig nickten ein paar seiner Zuhörer.
„Da werde ich euch leider enttäuschen müssen. Ich berichtete nie von dem Abend, bis heute.
Die Münze zerfiel sehr schnell zu Staub. Als das geschehen war, gab ich sie ins Herdfeuer, deswegen wirken die Steine von Zeit zu Zeit silbern. Seht hin und überzeugt euch.“
Hälse wurden gereckt, um einen Blick auf das Feuer zu erhaschen. Doch meist vergebens.
Roland stand auf und warf sich seinen Mantel über.
„Ich werde dann gehen, habe zu viel geredet heute Abend und bin müde. Schlaft wohl!“ Er beugte sich vor und blies die Talgkerze auf seinem Tisch aus. Dunkelheit fiel auf den Teil des „Sturmwindes“ hinab, den sie erleuchtet hatte. Durch die stummen Gesichter seiner Zuhörer fand er seinen Weg hinaus.
Draußen, vor der Tür, blieb Roland stehen und griff in seine Tasche. Ein Silbertaler befand sich darin. Alt und abgegriffen, in einer unbekannten Währung, auf ihr abgebildet der Sensenmann. Nachdenklich betrachtete er sie. Manchmal war es besser nicht alles klar auszusprechen.
Danke dem Weltenwanderer für die Inspiration durch seine "Spielsteine".
Auf das der Wind in eurem Rücken, nie euer eigener sei. (alter irischer Reisegruß
)
drakir
und seine Werke

drakir
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