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Christoph Ransmayr: Atlas eines ängstlichen Mannes

argon-verlag.de

Ungekürzte Autorenlesung
12 CDs (Gesamtlaufzeit: 13 Stunden, 55 Minuten)
Argon Verlag, 2012


Es gibt wenige Texte, die sich besser hören lassen denn lesen; Ransmayrs 70 Erzählungen aus mehr als drei Jahrzehnten der Reise an entlegene Plätze, egal ob im Höllengebirge oder auf einer winzigen Felsklippe im Süd-Pazifik, vom raunenden Beschwörer des Imaginativen selbst gelesen, kommen in der Suggestivität und Wirksamkeit ihrer Bildsprache erst dann richtig zur Geltung, wenn man sich einlässt auf das Visionäre, mit dem der Autor seine Texte vorträgt.

Als ginge ein Riss durchs Universum, und dahinter läge das Elend und eine unermessliche Schönheit, so öffnen sich hier Epiphanien des Transzendenten ebenso wie Momente des Entsetzens. So wie die Boa constrictor, die vom Zwillingsreifen eines Lastwagens überfahren, auf beiden Seiten des Gefährts sterbend in die Höhe schnellt (Die Königin der Wildnis, Brasilien), so schafft Ransmayr Bilder, die sich schockhaft öffnen in einem Spannungsbogen, der überwältigt und in sich zusammenbricht. Der Tod ist allgegenwärtig, kommt unerwartet, willkürhaft, selbst wenn in geschmeidiger Sprache beteuert wird: "Gab es denn etwas Beglückenderes, als der Wildnis etwas Neues, etwas wie eine Heimat [...] abzugewinnen?" Hier wird spezifiziert und mit wertenden Adjektiven angereichert, mit Bildgewalt vom existenziellen Elend wie von Orten der Folter und des Genozids berichtet, beklemmend nicht nur dort, wo der Erzähler Zeuge ist und es nichts mehr zu retten gibt, bis hin vom "Sekundentod" eines Mannes, den er erst ganz zuletzt als seinen Vater zu erkennen gibt.

Dann folgen wieder distanzierende Momente des Erzählens, betonte Sachlichkeit. Vielleicht sind da und dort auch Schnitte in den Aufnahmen hörbar, wenn der Autor lesend neu ansetzt, etwas rascher und mit mehr Volumen, frischem Raumton dann eine Unmittelbarkeit erzeugt, die sich beim stillen Lesen des Buches so nicht einstellt. Ransmayr überhöht aber auch dann, wenn er zum Männer-Abenteuer neigt (etwa mit dem Leihwagen, der in Neuseeland über dem Abgrund hängt), und er stilisiert bis in die Wortwahl hinein: Da heißt es "Kahn" und "Fährmann", wenn es um das Ausflugsboot eines Maori geht und nicht um Überquerung des Acheron, sondern um Leuchtkäfer in einem neuseeländischen Höhlensee. Die Sätze evozieren so Mythen, spielen mit Analogien oft weit auseinanderliegender Phänomene, aber es finden sich auch absurde Szenen (wie jene vom Golfspieler am Nordpol, einmal mehr ein "Ende der Welt"), wenn es um die Begegnung mit dem Existenziellen, um Momente der Durchdringung geht.

Bis ins Groteske reicht die Stimme des Erzählers, wenn der Bestatters (in der Erzählung Abschied) vor dem verfärbten Gesicht des Toten sagt: "Am Abend wird ihr Vater wieder sein wie er war." Die Texte erweisen sich in ihrer Anordnung auch als Fragmente eines Epos, Berichte der Suche und Odyssee. Ihre Dramaturgie zielt auf Erschütterung und auf den theologischen Begriff der Kenosis, jener Entäußerung, die alle Vorstellungskraft überschreitet. Mit hoher sprachlicher Kontrolle, mit Präzision und einem beeindruckenden Spektrum an Begrifflichkeit, beschreibt Ransmayr Katastrophen, zeigt einen archaisches Ringen um Überleben, bis hin zu Erschöpfung, Tod oder Resignation. Müdigkeit schwingt mit in seiner Stimme, wenn er "Wege zurück an den Ursprung der Zeit" sucht (Strömung), und nebenhin lernt man Geschichte: Das alte Angkor, damals Hauptstadt von Kambodscha, war im 12. Jahrhundert mit einer Million Einwohnern die größte Stadt der Welt.

Die Momente des Staunens sind eingebettet in Chroniken der Grausamkeit, als wollten sie zeigen, die Apokalypse ist immer schon gegenwärtig. Der Blick in untergegangene Reiche spricht von Paradiesen ebenso wie von Mord, Erlösung gibt es nur in historischen Pausen endloser Gewalt. Und dann herrscht Stille, ein Moment, den Ransmayr hier immer wieder anpeilt: Lautlosigkeit, der Blick hinaus bis zu den Sternen in einer "makellosen Dunkelheit". Eine kosmische Katastrophe wird da inszeniert, wenn dem Schauenden die Technik, die ihm den Himmel "lichtverseucht" (Die Schönheit der Finsternis) zugleich den Blick zu diesen Sternen erst ermöglicht; dass er dann seinen Fluch sofort bereut, ist eine der Stärken der Erzählung, wenn sich das Verlöschen der pulsierenden Galaxien im Teleskop als durch den zufälligen Flug eines Nachtkäuzchens verursacht erweist.

"Ich sah", beginnt hier jeder erste Satz eines Fremden, der sich den geschlossenen Systemen auf seiner Reise von außen nähert. Seine Geschichten zeigen die Wirklichkeit des Menschen nicht als Ordnung und Logos, sondern als Weg zum Wunderbaren im Chaos und Nicht-Fasslichen zwischen Wahn und Momenten eines Sturzes, der Haltlosigkeit in sich trägt - so etwa die zuckende Ziege am leeren Fußballplatz in Regeln des Paradieses, ihr Ausbrechen, wobei sie sich auf der Flucht verletzt. Doch manchmal gibt es Trost am Ende (wie in der Geschwister-Erzählung in Wintergewitter, in der ein Vertrauen wiederkehrt, das sich einst in der Ergebenheit der kleinen Schwester in Stifters Bezugs-Erzählung Bergkristall findet); ansonsten bleibt meist rettungslose Schreckensangst: Das digitale Foto der flüchtenden Ziege, dem Opfertier früherer Kulte, zeigt später nur einen schwarzen Schatten, wo jeder Satz Parabel wird. Hier findet sich auch ein bildhaftes Selbstzitat: Die erfrorenen Schwärme von Apollofaltern, die schwarz herab schneien im Eröffnungskapitel von Ransmayrs Roman Der fliegende Berg, tauchen als Reminiszenz wieder auf in der Erzählung vom Gebot der Stille und Dunkelheit, das von einer Schwimmerin in Bali gebrochen wird: Hier stürzen die Falter schwarz gegen das Licht ins Wasser des Pools, das von unten beleuchtet wird; sie werden von der Schwimmerin gerettet.

Denn Ransmayr ist ein grimmiger Prediger gegen die Verzweiflung, der Schrei nach Erlösung in der stummen Kreatur wird hörbar in der Suggestivkraft seiner Sprache. Mit Ingrimm stürzt sich dieser Erzähler in eine Welt, die schwankt zwischen Hoffnung und Düsterkeit, Ohnmacht und Empathie angesichts der Zerstörungskräfte in Natur und Zivilisation, und ist da auch Erschöpfung in der Stimme, so begehrt er dennoch auf gegen das Vergebliche und beharrt darauf: "keine Menschen, keine Zuflucht" - so der Erzähler in Ankunft, dem Ende dieser Suchbewegung eines (vielleicht ängstlichen, kaum aber feigen) Mannes, als er mit letzter Kraft eine von Mönchen bewohnte Höhle im winterlichen Himalaya erreicht, dort Wärme und Vertrauen findet: "Ich fühlte mich geborgen [...] nun war ich angekommen."

Martin Kubaczek
Juli 2013


Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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