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Leseprobe: Sophia-Therese Fielhauer - "nee"

BLUTEGEL

Liebste Caro,

in der Arbeit habe ich nur das Gefühl am falschen Platz zu sein. Ich quäle mich da nur hin und würde jeden Morgen am liebsten liegenblieben. Du weißt schon, die üblich depressiven Verstimmungen. Habe wieder mal bei ihm angerufen. Gott sei Dank war nur die Mailbox dran. Hast schon recht, er denkt wahrscheinlich gar nicht mehr an mich. Hat er das je?
Kuß und Gruß
Deine Alice
P.s: Mail schnell zurück!

Caro saß in Mexico City. Wegen einem Mann. Und Alice saß in Berlin. Wegen der Arbeit, und weil sie ständig auf der Suche nach einem Puls war. Journalisten wühlen in dem Leben anderer. Sie fragen: "Was hängt in ihrem Schrank", "Wie fühlt sich das an, wenn ihr Mann sie betrügt", "Was halten sie von der Todesstrafe" und "Glauben sie an Gott". Wenn irgendwo auf der Welt eine Boeing mit 300 Menschen abstürzt, verbringen sie Stunden damit, Augenzeugen und Hinterbliebene aufzuspüren. Notieren Grauen und Gefühle und basteln an druckreifen Zitaten, die Lesern das ganze Leid mundgerecht und leicht verdaulich direkt ins Wohnzimmer liefern. Abends gehen sie nach Hause und was sie den ganzen Tag geschluckt haben, hängt als unverträgliche Kost im Magen. Da schwimmen Leichen und Wrackteile immer noch oben auf und der Geruch von Kerosin und verbranntem Fleisch wabert darüber. In den unverdauten Schichten unter den Wrackteilen schwimmen bittersüße Geschichten von Liebe, der Mythos von Jacki O., eine tragisch verunglückte Diana und bis an die Schmerzgrenze aufgeblasene Brüste. Ein Hurrikan, der ein ganzes Land und seine Bevölkerung verschlungen hat, stürmt schon im Darmtrakt und spült beizeiten einen politischen Häftling, der seine Folter detailgetreu beschreiben kann, in seinem Schlamm fort. Verschwundene und mißbrauchte Kinder mit roten Fahrrädern und süßen Gesichtern klebten allmählich neben Wichtigtuern, die an allem nörgeln und alles besser machen, und einer Schriftstellerin, die ihren eigenen Suizid zu einem Requiem inszenierte, an Alices Darmwänden fest. Dort bildeten sie Klumpen und wucherten über die Jahre zu schlingenartigen Gewächsen aus, die zu falschen Erinnerungen gediehen. Es waren nicht die eigenen, doch sie wucherten weiter und gaben ihr das Gefühl, allmählich aufgefressen zu werden. Gepaart mit einem Völlegefühl. Restlose Übersättigung. Das fehlende Pochen in der Brust hielt sich mit den Auswüchsen im Darm die Waage. Die Gewächse hatte sie nicht gewollt, das Herz hatte man ihr genommen. War das der Preis, den sie zahlen mußte? Von allem ein bißchen mitnaschen, überall dabei sein und dann etwas verlieren, was sie noch nicht richtig benutzt hatte? Was hatte sie überhaupt auf dem Schiff zu suchen gehabt?

Frau Liebe saß vor ihrem Monitor. Die Haare weißlich, die Haut mit jedem Tag fahler und um den Rossetti-Mund bildeten sich zarte Fältchen. In einer Stadt zu sitzen, wo es verdammt schwer war, etwas Liebe an den Mann oder die Frau zu bringen, war schon ziemlich anstrengend. Sich auch noch jeden Tag mit den Wirrungen, Sehnsüchten und unerfüllten Leidenschaften der ganzen vernetzten Welt beschäftigen zu müssen, machte sie unendlich müde. Das Spiel mit der Liebe war ihr aus der Hand geglitten. Sie konnte sich nicht erinnern, daß jemals so hohe Anforderungen an sie gestellt worden waren. Die Libido war ihr keine Hilfe. In letzter Zeit pflegte er zu sagen: "Nee! Sollen die doch allein schauen, wie sie weiter kommen. Ich habe keine Lust mehr und es ist mir auch egal." (S. 45f.)

© 2000, Löcker, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

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