Leseprobe:
Morgens bereitete Gerda ihr Frühstück zu. Eine halbe Mango, aufgefächert, Erdbeeren aus der Umgebung, ein süßes Brötchen mit Brombeermarmelade. Wie war doch dieses verfluchte Pakakuna voll von Brombeeren! Überall streckten sie ihre Dornen aus. Überall schickten sie sich an, schwarz zu werden. Gerda kochte sie zur Strafe ein.
Nach dem Frühstück leerte Gerda Zuckerwasser über die Froschgoscherlpflanze im Eck. Tatsächlich kam ein und derselbe Kolibri mehrmals am Tag vorbei und holte sich den süßen, falschen Nektar. Wenn sein entenkopfsmaragdgrüner Bauch im Sonnenlicht schimmerte und die Zunge lautlos die Blütenwände entlangschnalzte, fragte Gerda ihn: „Was mache ich hier?“ Aber der Vogel antwortete nicht. Gerda versuchte Deutsch, Englisch und Spanisch. Kichwa auch. Kichwa wahrscheinlich nicht, diese Behauptung war eine Erfindung ihrer Seele, schließlich hatte Gerda nicht ein Wort Kichwa gelernt. Dann setzte sich sich auf die Terrasse und starrte tausendfach auf die gelbe Orchidee die am Fuß des Baumes wuchs. Ja, man hatte auch diese Orchidee irgendwann entdeckt und beschrieben, genau wie die anderen. Weiß der Teufel, wie diese eine Gelbe nun heißen mochte. Der Grünschimmernde interessierte sich jedenfalls nicht für sie. Der ging auf das Froschgoscherl.
Da saß Gerda und hörte nicht, als der Mann, der die Lemonen verkaufte, an die Tür klopfte:
„Señora!“Ihr Blick war auf die verstaubte Schlucht gerichtet. Als sie das Gefühl hatte, sie hätte nun genug gestarrt, holte sie ihr Fernglas aus dem Schrank im Esszimmer.„Señora Gerda!“, klopfte es erneut.Sie richtete das Glas Richtung Westen und starrte auf den schneebedeckten Cotopaxi, der zu dieser frühen Stunde nicht von Wolken verhangen war.„Es ist sinnvoll“, sagte Gerda, während sie auf die Gläser hauchte und versuchte, mit dem Ärmel ihres Nachthemds die Fettflecken auf den Linsen abzuwischen, „zuerst das zu prüfen, was direkt vor mir ist, und erst dann das, was in der Ferne liegt.
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