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Daniel Zipfel: Eine Handvoll Rosinen.


Leseprobe:

Der Akt war verschwunden und die Schreibkraft wusste von nichts. Blum riss seine Aktenstapel aus dem Regal, warf sie auf den Schreibtisch und suchte Arams Akt, aber war nicht dabei, auch das Ablagetischchen war leer. Hektisch ordnete er die Stapel wieder zurück, schob sie irgendwie zurecht, bevor er zu seinem Schreibtisch lief und alle Schubladen aufzog, sich ächzend hinkniete, unter den Tisch lugte, unter die Stühle, unter das Faxgerät: aber der Akt war verschwunden. Blum fuhr die Datenbank hoch, tippte Arams Namen ein. Kein Treffer. Blum holte seine Karteikarten hervor, blätterte mit zitternden Fingern, bis er die Karte gefunden hatte, gab das Geburtsdatum ein, und dann endlich erschien der Eintrag. Blum scrollte zum tagesaktuellen Stand hinauf, nichts, die letzte Anmerkung war seine eigene, als er Aram hatte gehen lassen. Zuständiger Referent: Amtsdirektor Grabner. Blum stutzte. Beim Klingeln des Telefons schreckte er zusammen, krampfte seine Hand um den Hörer.
„Die Frau Amtsdirektor hat den Akt an sich gezogen“, meinte die Schreibkraft. „Scheinbar hat sie auch angeordnet, dass die Abschiebung vollzogen wird. Von der Botschaft sind Unterlagen gekommen.“
Ohne zu antworten legte Blum auf. Vermutlich war Aram schon im Polizeianhaltezentrum auf der Rossauer Lände. Er kramte das Telefonverzeichnis hervor und wählte die Nummer, landete in einer Warteschleife, endlos, bis sich ein Vollzugsbeamter meldete.
Der Name sei unbekannt, meinte dieser, auch unter der Aktenzahl lasse sich kein Insasse finden. Der sei nicht da. Vielleicht noch nicht da. Er könne in der EKIS-Datenbank nachschauen.
Das könne er selbst, antwortete Blum, da stehe nichts drin, und legte auf. Er wählte Grabners Telefonklappe, erreichte aber nur ihre Schreibkraft, die auch von nichts wusste.
„Eine Schweinerei ist das“, zischte Blum. „Ich bin der zuständige Referent. Ich habe die Verantwortung.“
Er warf den Hörer auf die Gabel und sprang auf, lief die Stufen hinunter zum Parkplatz, setzte sich in seinen Wagen und startete den Motor. Wenn er Aram im Polizeianthaltezentrum abfing, bevor sie ihn zum Flughafen brachten, konnte er die Abschiebung noch stoppen. Blum setzte zurück, fuhr fast in eine Gruppe von Asylwerbern hinein, die ihm perplex nachstarrten. Der Torposten telefonierte, sodass Blum mehrmals hupen musste, bis ihm der Schranken endlich geöffnete wurde und er zwischen den verbliebenen Demonstranten durchrollte, an den Polizeifahrzeugen vorbei die Otto Glöckel-Straße entlang, schließlich beschleunigte und unter Missachtung des Stoppschilds, dann des Vorrangschilds, dann der roten Ampel einbog in Richtung Autobahn. Er betrachtete den Tachometer, der sich immer weiter nach oben schraubte.

Eine halbe Stunde später hörte Blum von draußen das Hupen der Autokolonnen hereindringen, die sich die Rossauer Lände entlangschoben und denen sein Wagen die rechte Spur versperrte. Er hatte direkt vor dem Gründerzeitgebäude des Polizeianhaltezentrums geparkt, mit laufendem Motor und eingeschaltetem Warnblinker. Der Eingangsbereich hinter der Holztür war fensterlos und nur wenige Meter breit, gerade groß genug für ein paar Sessel und den Metalldetektor. Blums Blick wanderte zur Tür, hinter der das Hupen von der Straße anschwoll, dann zurück zu dem Beamten hinter der Glasscheibe, der angestrengt auf seinen Bildschirm starrte, immer wieder mit der Maus auf die Tischplatte klopfte. Schließlich drehte er sich zu Blum, blickte auf und zog die Mundwinkel bedauernd herunter.
„Tut mir leid“, meinte er durch die Gegensprechanlage, „der Betreffende ist nicht eingetroffen. Ist der Herr Amtsdirektor sicher, dass die Kollegen den Schubhäftling nicht zum Hernalser Gürtel gebracht haben?“

(S. 86-88)

 

© 2015 Verlag Kremayr & Scheriau, Wien.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 

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