Leseprobe:
1. Seeseits, Winter
Er hatte das Ferienhaus im Internet gefunden, wo es als Chalet am See für vier bis sechs Personen angeboten wurde. Zu seiner Überraschung war es über die Weihnachtsfeiertage noch frei gewesen und am nächsten Morgen hatte er gleich gebucht, ohne sich mit jemand aus der Familie abzusprechen. Bis sie zu einer Einigung gekommen wären, hätte ihnen bestimmt ein anderer das Häuschen weggeschnappt.
Zwei Tage vor Heiligabend fuhren er und Irene am Vormittag los, Matthias sollte mit seiner Freundin und Irenes Mutter am nächsten oder übernächsten Tag nachkommen. Ursprünglich hatte auch Josef, Jakobs ältester Freund, mit ihnen fahren wollen, in Matthias’ Van wäre Platz genug für alle gewesen, aber Joe hatte sich nicht mehr gemeldet.
Auf der Autobahn kamen sie schnell voran, es war weniger Verkehr, als Jakob sich vorgestellt hatte. Irene war auf dem Beifahrersitz eingenickt und erst wieder aufgewacht, als er auf einer Raststätte kurz vor ihrem Ziel anhielt, um sich Zigaretten zu kaufen. Er fragte im Shop nach dem kürzesten Weg zum See und als er zum Auto zurückkehrte, sah er Irene mit dem Tankwart sprechen, einem groß gewachsenen Schwarzen. Sie standen neben einer der Zapfsäulen und Irene schien zuzuhören, während der Tankwart ihr etwas erklärte. Er hielt die Zapfpistole in der einen Hand und zeigte mit der Spitze in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Dann beschrieb er mit seinem Arm eine Kurve und als Irene in dieselbe Richtung zeigte, wiederholte er seine ausladende Geste.
"Wir hätten bereits bei der letzten Abfahrt raus müssen", sagte Irene, als sie sich neben ihn in den Wagen setzte.
"Macht doch nichts", entgegnete Jakob, "Wir haben noch Zeit."
Der Besitzer des Ferienhauses erwartete sie, eingehüllt in Schal und dickem Lammfellmantel, an der Ecke, wo der Zufahrtsweg von der Uferstraße abzweigte. Er schimpfte über die Kälte, aber Jakob verstand gleich, dass damit ihre Verspätung gemeint war, und versuchte zu erklären, dass es gar nicht so einfach sei, hier heraufzufinden. Der Besitzer ließ sich die Miete für die zehn Tage aushändigen und übergab ihnen die Hausschlüssel. Sie würden schon zurechtkommen, sagte er, es sei alles an seinem Platz. Außerdem könnten sie ihn jederzeit anrufen, seine Nummer hätten sie ja. Dann sprang er in sein Auto, einen glänzenden neuen Landrover, ließ den Motor aufheulen und brauste davon.
(S. 7-8)
© 2017 Haymon Verlag, Innsbruck-Wien.