Man muß den Tod in ein Gespräch verwickeln, ihn ablenken. Er arbeitet weniger schnell, wenn man mit ihm spricht. Es müssen nicht Worte sein, er liebt auch Bilder von Schiffen, Delphinen und Seepferdchen. Manchmal genügt ihm die Farbe Schwarz, oder er riecht an weißen Lilien.
Da er eitel ist, bezieht er gerne alles auf sich: die konzentrischen Kreise auf dem Wasser, Trauerweiden, Mohnkapseln, Sensen und Sanduhren. Er erschien Adam in der Gestalt eines Bockes, Abraham als kranker Greis. Ich möchte nicht wissen, wie oft er sich verkleidet.
Wir haben ein Abkommen getroffen, das nur ich unterzeichnet habe: Solange ich mit ihm spreche, zeigt er Geduld. Eines Tages jedoch werde ich seiner Ungeduld nichts mehr entgegensetzen können, er wird seine Augen und Ohren jemand anderem schenken. Ich werde ausgedient haben.
Es ist nicht das erste Mal, daß er mich anherrscht, ich nach Worten ringe, mir überlege, wie ich ihn besänftigen kann. Ich habe ihn anfangs kaum bemerkt, obwohl wir uns schon begegnet sind, als ich noch ein Kind war; manchen nimmt er diese Unaufmerksamkeit übel, er revanchiert sich mit Schmerzen.
Ich habe keine; das, was mich erwartet, wird vielleicht Schmerz sein, aber jetzt fühle ich nichts. Ich habe nichts, was auf ein klar definiertes Übel verweist, nichts signalisiert, daß ich in Not bin; und dennoch ist es so, als verlange mein Körper Antworten, ohne vorher Fragen zu stellen.
Ich war nie schmerzblind, hatte Augen für meine aufgeschürften Knie nach einem Fahrradunfall, für den Schnitt in den Daumen, die roten Füße im kalten Bachwasser, die Kratzspuren am Oberarm nach dem Kampf um einen Ball - sie alle waren da und waren gleich wieder verschwunden.
Wie hätte ich den Tod wahrnehmen sollen; er war einer unter vielen und deswegen auch nicht zu sehen. Oder er war zu sehen, wie alle und alles zu sehen ist, und einige Male auch deutlicher. (S. 7 f)
© 2003, Verlag C.H. Beck, München.